Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann StehrЧитать онлайн книгу.
sie das.
Griebel „hamsterte“ und plauderte dabei alles durcheinander.
Leonore litt an der großen Lücke ihres Lebens. Ihre Seele lag an fernen Gestaden und rang und schrie und betete und verzweifelte. Davon wurde die Farbe ihres Gesichtes immer blasser, die Haltung ihres Leibes immer starrer.
Die „Ja“ und „Nein“, die sie an oft unpassenden Stellen in das Gerede ihres Mannes streute, trugen die Farbe ihres Innersten: sie klangen zagend, fordernd, zitternd, peinvoll auch wie das Flüstern einer Verlorenen.
Griebel wurde es immer unbehaglicher dabei. Er erzählte mit stets längeren Unterbrechungen und schwieg endlich betroffen.
Da war es totenstill.
Und die Seelen der beiden Menschen litten in stummem Schauer untereinander.
Leonore kam zuerst in ihr Leben zurück, und noch unter dem Bann ihres Schicksals stehend, sagte sie tonlos und eisig-ernst:
„Du sitzst weit von mir — weit!“
Griebel erschrak vor den nachdenklichen Augen seines Weibes, und indem er an einem Fleck seiner Weste herumkratzte, sagte er unsicher:
„Jå, jå, ‘s is månchmål komsch, wås uns de Aja viermacha. Ich kennde auch Steckla drvone erzehla — — åber loon mr dås; ich bin heite mide.“
Dann erhoben sich beide und trafen Vorkehrungen zum Schlafengehen.
Leonore unterbrach sich dabei und frug zaghaft: „Kommt der Reisende auch ans Meer?“
„Dar aus Frankfort?“ lautete Griebels gelangweilte Gegenfrage. Dabei kraute er sich den Kopf.
„Nich der alleene; iberhaupt.“
„Ach nu freilich, ‘s håt ’r woll, die då hinkomma.“
„Das is tief — und — weit . . .“
„Jå, Lorla, nischt wie Himmel und Wåsser. De Schiffe komma und fåhrn fort und niemand weeß månchmål, ob ma de Leite wiedersieht, die droffe sein.“
Darauf blies er die Lampe aus und sie begaben sich auf ihr Lager.
Eine Zeitlang horchte Griebel besorgt auf den Atem seines Weibes, der kurz und schwer ging.
„Wenn se och gut schlofa kennde, då wär ålls wieder gut manne“ sann er. Plötzlich überfiel ihn die qualvolle Gewißheit, seine Frau kniee im Bette und ringe verzweifelt die Hände über ihrem Haupte.
Er dämpfte seine Stimme und frug anscheinend gleichgiltig:
„Liegst’n, Lorla?“
Doch die Antwort blieb aus.
Deswegen rief er stärker:
„Lorla!“
„Ja“, antwortete sie schwimmend-weich.
„Was machst ‘n?“
„Ich dåcht ans Meer. Mancher mag gerne fort fahrn, weil ihn niemand hält. Wie er aber draußen is und blos sein’ Herrgott und‘s Wasser rundum hat, da kommts doch ibern, daß sich niemand kimmert um ihn. Ein eenziges gudes Herze hätt’ ihn gehalten. Nu aber fährt er naus, ins Ungewisse unds graut ‘m dervier, in seiner Seele.“
Griebel vermochte nicht zu antworten. Die große, leere Stille, die sie den ganzen Abend getrennt hatte, wurde stärker zwischen ihnen.
Dahinein floß das eintönige Geräusch des schlafenden Hauses; es klang wie leise Wellengänge eines fernen Wassers.
————
X.
Lange lag über Leonore eine stille Ruhe, wie die Resignation des Wissenden, der sich bescheiden gelernt hat. Doch es war nur ihre Erschlaffung, die so aussah. Bald begann wieder ihr Pilgern nach dem innersten Glück.
Und Griebel mußte wieder wachen, auf der Hut sein, sie begütigen, einlenken, alles thun, um nicht die „Schande“ auf sich zu wälzen, daß seine Frau übergeschnappt sei.
Diese vollständige Entäußerung seiner Überzeugung ward ihm schon oft sehr schwer. Manchmal quoll eine nicht zu bezwingende Erregung in ihm auf, eine Wut. Dann tobte er förmlich über Verdruß im Geschäft, Überbürdung der Arbeit und Ärger mit den Leuten. Denn er ahnte nicht, daß diese Zornmütigkeit nichts war als der Schmerz seines Innern, das um den Frieden schrie, den er seinen Vater in diesen Lebensjahren hatte genießen sehen.
Eine gegenstandslose Spannung zwischen den Ehegatten nahm an Schärfe täglich zu und in Griebels Stirn grub sich eine senkrechte, mürrische Falte immer tiefer.
Die beiden Menschen rangen miteinander wie zwei Kranke in irrer, beißender Bitterkeit; wie zwei vom Wege verschlagene redeten sie dazwischen in Güte und kummervollem Mitleid zu einander.
Aber alles förderte sie nur unaufhaltsam auf dem Wege ihres unerbittlichen Schicksals.
Am Tage nach Aschermittwoch, der auf den 16. Februar fiel, kam Griebel ärgerlicher als sonst nach Hause, warf seinen Hut auf die Kommode und begann sofort zu fluchen und erregt in der Stube auf- und abzuschreiten, Anna, die ihm in den Weg kam, drohte er, „bale of de Gåsse zu schmeißen, dåß kracht“. Er reckte sich auf, rüttelte mit energischem Schlenkern seiner kurzen Beine die Hosen tiefer, spuckte aus, blieb stehen, schüttelte mit einer furchtbaren Gebärde die Faust in die Höhe und begann wieder in der Stube umherzulaufen, versetzte fortwährend die Stühle und stieß sie dann fluchend aus dem Wege.
„Eine scheene Ordnung!“ schrie er kochend dazu.
„Na nu?“ frug die eintretende Leonore und blieb unter der geöffneten Thür stehen.
„Mach de Thire zu!“ knurrte Griebel dumpf, und als dies geschehen war, trat er hart an sie heran und schrie:
„Oan du, — — kimmer dich um Hihnermilch! — verstanden . . . . wenn de mich auch noch ärgern wellst,“ fügte er ruhiger hinzu und begann seine wilde Wanderung an hin- und hergestoßenen Stühlen vorüber von neuem.
Mit einem Gefühl peinlicher Kälte beobachtete Leonore lange den unwürdigen Ausbruch seiner Erregung. Dann frug sie langsam, hart und gezwungen:
„Da sag mir doch wenigstens, was hat?!“
Griebel setzte seinen polternden Rundgang fort, als habe er die Worte seines Weibes nicht gehört, um sie zu einer nochmaligen, dringenderen Frage zu nötigen. Als aber diese nicht erfolgte, blieb er stehen, maß sie mit einem erstaunten Blick und begann dann mit gewaltsamer Sammlung wirr zu erzählen. Dabei lief er wieder auf und zu. Sein Weib hatte Mühe zu verstehen, um was es sich handelte: Ein Ballen Lodenstoff war aus Versehen zu kurz geschoren worden, so daß das grobe Gewebe durchschlug.
„Alle Knochen brech ich dem langlodigen Affenpinscher, so wahr ich Griebel heiß!“ schloß er seine Erzählung. Er rüttelte beide Fäuste nach unten, sein Gesicht war weiß, und die Lippen bebten.
„Erreg dich doch nicht so, dich kann ja der Schlag treffen!“ ermahnte Leonore, nun schon in wärmerem Mitgefühl.
„Ja — verknucht! — erreg dich — Himmelschock . . . hast recht Lordl, der Kerl is nich wert. Ich wer ganz trangil morgen hingehn, mach de Thire uf, tret ei de Werkstelle, ruf mrs und sags’m dem . . . dem . . . hm! — dem — nä! — dem Rindsviehche hier, wenn er da wär, die Ohrn dreh‘ ich‘m aus’m Leibe!“
„Aber Joseph, is‘n der Kerle wert, daß de dich krank machst?“
„Krank hin, krank her! — Ich bin ein Mann und laß mr nich of dr Nase rumspielen, vo keenem nich, merk drsch. Verstanden?“
Und er pflanzte sich drohend vor ihr auf. Nachdem er sie eine Weile vernichtend angesehen hatte, begann er von neuem:
„Punktum!