Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann StehrЧитать онлайн книгу.
zuschritt.
Lang und schwer atmeten die Kronen, und ihre dumpfe Klage rann an den Stämmen herunter, daß das Dämmern noch dichter ward.
Diese Luft gefiel dem Klumpen. Er suchte sich einen moosigen Stein aus, der eine bequeme Sitzflache bot, und verfiel ins Grübeln.
Bis zu seiner Separierung mußte ihm sein jüngerer Bruder, der die väterliche Besitzung übernommen hatte, Kost und freie Wohnung geben, wofür die dreitausend Mark, die dem Klumpen testamentarisch vermacht und auf dem väterlichen Anwesen eingetragen waren, zinsfrei standen. In bedrängten Zeiten sollte er in der Wirtschaft aushelfen, die ein kümmerliches Auskommen abwarf, weil alle zugunsten des Klumpen benachteiligt worden waren. Mürrisch griff der Lahme in der Heu- oder Getreideernte wohl mit zu, schmälte aber unausgesetzt über das »Geprudel und Gemudel«, wie er die gleichmäßig ruhige Arbeitsweise seines Bruders nannte, die so sehr von seinem wilden, leidenschaftlichen Fleiße abstach, der mehr das Gepräge eines zornigen Kampfes trug. »Sechshundert Mark hat er schon geschluckt die vier Jahre für die Brotkrusten, die ich freß, und die Neigel Milch«, sann er, »sechshundert Mark, dreißig Zwanzigmarkla!« Und ärgerlich schlug er den Absatz seines Stiefels in das Moos. »Nun will er am liebsten noch mein Geld und meine Wirtschaft und mein sauer Erspartes, daß er so gemächlich weiterfaulenzen kann.«
Dieser Gedanke an sein Erspartes, das durch die schleichende Habgier seines Bruders gefährdet schien, brachte eine solche Erregung über ihn, daß er aufspringen und gehen mußte, um Atem zu bekommen.
Durch mühsame, schwere Waldarbeit hatte er sich fünfhundert Mark erworben, die er in einem Strumpf unter dem Strohsack seines Bettes aufbewahrte. Mit heißem Herzen gedachte er seines Schatzes, und aus dem goldenen Scheine der Doppelkronen wob er sich seine Zukunft, den großen Bauernhof, die endlosen Ährenweiten und die Reihe feister bunter Rinder.
Der Wald war licht; nach einigen Schritten stand er auf dem geneigten Felde draußen, über dem wie ein milchweißer Schleier das verhaltene Winterlicht lag. »Und zum Frühjahr heirat ich sie. Da wern euch die Augen aufgehn, ihr ...!« sann er und sah mit trotzigem Auge in die müde Schönheit. Damit war er wieder in der Festtagsstimmung seiner Frühe, und sicher und ernst näherte er sich mit rüstigem Holpern auf einem Seitenwege dem Dorfe. Nachdem er noch einmal seine Wirtschaft abgeschritten und vergnügt in den Brunnen geschaut hatte, bestellte er bei Freiwald ein Pumpenhäuschen, schön grün gestrichen, sechseckig, mit roten Deckleisten und einer ebensolchen Kugel als Krönung des Dächleins.
»Freilich, freilich, scheen muß sein«, lächelte Freiwald listig, »wenn soll's 'n da losgehn?« Er meinte die Hochzeit.
»Vielleicht noch eh de Stare vor dem Neste pfeifen, denk ich«, antwortete der Klumpen, duckte den Kopf und trat durch die niedrige Tür in die enge Hausflur der Hütte. Der Alte folgte ihm.
»Hast 'r denn aber auch alles gut überlegt, Karle?« fragte er, ehe der Lahme die Haustür öffnen konnte. Zornig sah ihn der statt aller Antworten an.
»Du hast mit Blut geworben«, fuhr Freiwald unbeirrt fort, »und das kann euch alle mitsammen fressen, wenn du nich milde Hände kriegst.
Denn Blut is wie Feuer. A so lange es im Leibe ...«
Mit einer Verwünschung trat der Klumpen aus der Haustür und ging ohne Gruß davon.
Freiwald sah ihm gedankenvoll nach. Sein Gesicht hatte den milden Ernst des reinen Alters, als er mit eingebogenem Kopfe sich wieder in sein Stübchen zurückwandte.
7
Die tödlichen Blitze pflegen aus dem blauen Himmel zu fallen, und oft bricht eine Wolke, die allein in der Höhe zieht, harmlos und ruhig, kaum so dunkel, daß über unser Stübchen ein leises Dämmern kommt, oft bricht diese stille Wolke plötzlich los, der Sturm springt mit der Wildheit eines Löwen auf, der in der Glut geschlafen, und in wenigen Augenblicken hat der schreckliche Guß einen Strich blühenden Landes in eine Einöde verwandelt.
Kein Grün weit und breit, wie riesige Schaufeln graben die Fluten die Krume weg bis auf den toten Stein; die Wege verschwemmt; die entwurzelten Bäume liegen zerpeitscht umher, und selten besucht ein Vogel diesen getroffenen Ort, bald auch schwingt er sich mit einem scheuen Schrei davon. Und die Menschen finden kaum die Stelle, wo noch eben ihre Früchte der Reife entgegenwogten; ihr Hoffen zerrissen wie ihr Haus; wo ihr Herz sonst rüstig läutete, tragen sie den dumpfen Schmerz einer unheilbaren Wunde.
Ein so schnelles Wetter hatte die Seele Maries verheert, und von der ganzen Welt ihrer blühenden Hoffnung war nichts geblieben als ein dumpfes Gefühl.
Umsonst bemühte sie sich die folgenden Tage, ihre Lage zu überschauen. Sie kam dabei nicht weiter als zu einer schweren Trauer, und immer, wenn doch noch eine Kraft, die in einem Winkel der Seele zurückgeblieben war, sich leidenschaftlich aufrecken und nach Widerstand rufen wollte, sank sie in Erinnerung an ihre Flucht zurück in Schwermut. Es kam ihr nicht einmal der Gedanke, nach der wahren Bedeutung aller Erlebnisse zu fragen, sondern sie empfand nur, öffentlich beschimpft, verleumdet, entheiligt worden zu sein, wie geschändet. In Gram ging sie umher.
Der Freirichter sah ihre Gebrochenheit und stellte es ihr anheim, zu gehen, wenn sie wolle. »Wohin soll ich gehn?« sprach sie müde, »meine Geschwister sind alle im Dienst, und mei Onkel! – – – Was sollte ich da sagen, warum ich komm? Nee, nee, Herr, ich seh's, es gieht bloß auf eene Weise, daß ich rauskomm ...«
Um sie zu schonen, hatte man sie von dem übrigen Gesinde getrennt und ihr eine einsame Arbeit in dem alten Auszugshause angewiesen. Dort schaufelte sie das in den verwahrlosten Zimmern aufgeschüttete Getreide um. Aus dem Hofe drang das tiefe Brummen der Dreschmaschine gedämpft durch die geschlossenen Fenster.
Hier war es so still, das Leben aus allen Winkeln gewichen. Verlassene Spinnennester hingen in den Ecken, zerflatterte, bestaubte Erinnerungen eines verschollenen Lebens. Ruhlos rührte ihre Schaufel in dem Getreide, der Haufen wurde nicht kleiner.
So erging es ihrem Sinnen.
Zuletzt kam sie zu der Überzeugung, Gott habe ihr diese Prüfung gesendet, und beschloß als gläubige Katholikin, Sonntag zu den heiligen Sakramenten zu gehen und nach der Kommunion um Erleuchtung zu beten. Sie wußte, daß in diesem heiligen Augenblicke der Ewige oft unmittelbar zu der reinen Menschenseele redet. Wie das Wasser dem Wehr zufließt, leiser als sonst, so rüstig, daß man kaum das Zögern unter der Oberfläche bemerkt, so ging sie dem Tag der Entscheidung entgegen. Niemand wußte von ihrer Absicht; niemand sah sie in der Frühe des Sonntags davongehen.
Es war noch ganz finster, eine nasse Kälte, alles erfüllt von dichtem Nebel, dessen rauhe Feuchtigkeit binnen kurzem Gesicht und Hände mit kleinen Tröpfchen übersäte. Nur an dem Schall ihrer Schritte merkte sie die Nähe der Häuser, die noch alle dunkel dalagen.
Als sie sich einmal umdrehte, sah sie hinter sich in ferner Augenhöhe einen blassen Streifen in der Nacht, der von Zeit zu Zeit erlosch, als sei es der Atem eines trabenden Pferdes im Lichte einer verborgenen Laterne.
Sie hielt sich an der Grabenwand hin, wo sie die Stämme der Chausseebäume sah, die wie Seile aus der Höhe herabzuhängen schienen. Aber kein Trappeln, kein Pferdegeschnauf drang in dem Nebel auf, der sich lautlos aus der kalten Erde wand. Als sie sich wieder umdrehte, sah sie an jener Stelle, von wo sie das Nahen eines Gefährtes erwartet hatte, einen blassen Schein in der Luft, wie die weiße Wand eines fernen Hauses.
Nun wußte sie, daß es das Licht des untergehenden Mondes sei, und fuhr fort, im Hinschreiten über die Sünden nachzudenken, die sie zu beichten hatte. –
Es war ganz finster in der Kirche. Eine kalte Moderluft erfüllte das niedrige Schiff, das in der Dunkelheit wie eine geräumige Höhle aussah. Da und dort saßen Beter zusammengesunken vor ihren kleinen Wachslichtern, und wenn der Odem ihres Mundes wie ein blasser Rauch durch den roten Dunstkreis strich, konnte man meinen, sie seien ermüdete Flüchtlinge und kauerten vor Feuern, deren winzige Flamme sie aufzublasen bemüht