Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann StehrЧитать онлайн книгу.
Augen glommen, und wenn er ihr die Hand zum Abschied reichte, war sie welk, kalt und zitterte. Sie bekam jedesmal Beklemmungen, wenn sie den Schuster sah; aber trotz der Schmerzen, die es ihr verursachte, wenn er den Lahmen liebevoll bloßstellte, empfand sie bei dem verdeckten Schimpf gegen Exner doch eine Art Genugtuung, eine geheime Rache an ihrem Schicksal.
Das mochte der Schuster instinktiv fühlen, und sein »Schabernack« wird immer offener, seine Besuche häufiger, sein Lächeln trunken, und oft ohne Veranlassung nahm er sie an den Armen und drückte sie leidenschaftlich.
Endlich erkannte Marie, wohin das alles zielte, und wies ihm den Weg.
»Du bist besoffen, Guste!« redete sie eines Tages kalt zwischen seine Spaße.
»I hab' seit eener Woche noch keen gerochen, Marie. Überhaupt der Schnaps!« antwortete er in Bestürzung über ihr unbeweglich bitteres Gesicht.
»Nee, nee, das meen ich au nie. Wo sollst du au a Schnaps hernehmen. Das Gebasiel an den Krappen langt doch kaum of trocknes Brot. Nee, ich ha gehärt, wenn sich a Schuster besaufen will, da riecht er ei den Kleistertopp. Das bringt ihn drnach vierzehn Tage um den Verstand und is billig.«
Sie war blaß und sah Klose verächtlich von oben bis unten an.
»Du willst mich höhnern, weil ich arm bin?« fragte er traurig und sprang im Graben auf.
»Freilich will ich das!« erwiderte sie noch schneidender. »Sitzt er in allen Graben mit geflickten Hosen rum!«
Mit diesem Ausruf wandte sie sich an die Mägde, die von der Arbeit aufgestanden waren.
»Marie!!!« schrie der Schuster dazwischen, und Tränen rollten über seine Wangen. Als er fühlte, daß er weine, bückte er sich tief und kratzte sich aufs Geratewohl an seinen Hosen. Da er sich wieder erhob und, das Bündel fester unter den Arm drückend, sich zum Gehen anschickte, sah man es in seiner Brust stoßen, seine Wangen waren eingefallen und fahl. Plötzlich drehte er sich um und schüttelte eine Weile seine Faust in die Höhe nach Marie zu und machte Anstrengungen, zu sprechen. Lange brachten seine Lippen nichts als ein Blasen hervor. Endlich sagte er tonlos, stockend, ganz leise: »Ich bin ein unglücklicher Mensch!«
Sein Gesicht aber sah aus, als schreie er aus Leibeskräften.
Die Mägde lachten aus vollem Halse.
Marie rief: »Hops, Schuster meck, meck!«, als er in fluchtartiger Eile den Weg hinlief.
Weil die Worte des Bedauernswerten wie ein Stich in ihre Brust gefahren waren, gerade deswegen schrie sie ihm in übermütigem Hohne nach. Bald aber verfiel sie in Schweigen, die albernen Spaße der Mägde über Klose wurden ihr zuwider, unauffällig arbeitete sie sich abseits und hing einer Niedergeschlagenheit nach, die sie nicht verstand.
In derselben Nacht erwachte sie und hörte plötzlich die gepreßte Stimme des Schusters durch die finstere Stille reden. Voll unbegreiflicher Trauer begann sie verhalten zu weinen.
Von dem folgenden Morgen ab ward sie den Vorsatz, den Beleidigten zu versöhnen, lange nicht los. Aber ob sie auch unauffällig ausschaute, diesen und jenen nach ihm fragte: er schien verschwunden. Niemand wollte ihm begegnet sein; nur so viel erfuhr sie, daß das Licht in seiner Hütte wieder alle Nächte bis an den Morgen brenne, und die ganze Zeit gehe er auf und nieder, von Wand zu Wand, und lache plötzlich laut auf. Sie ward immer mißmutiger und von jeder Kleinigkeit verstimmt.
Selbst gegen Wende empfand sie geheime Feindseligkeit, denn im Vorübergehen neckte er sie mit dem Lahmen, wegen der Blässe ihres Gesichtes oder als zukünftige Bäuerin, und immer glaubte sie auf seinem papierweißen, krankhaften Gesicht einen hämischen Zug zu bemerken. Einmal konnte sie nicht an sich halten und gab ihm eine spitze Antwort. Daraufhin blickte sie der Großbauer eine Weile erstaunt an, und dann meinte er gedehnt: Marie habe wohl auch schon abgefärbt. Aber er sei nicht sein Vater und werde wissen, die Hand auf seinem Acker zu halten. Er spielte auf den notgedrungenen Verkauf jenes Teiles seines Gutes an, der Exners Wirtschaft ausmachte.
Ein andermal sagte er scherzweise, sie werde sich künftig von der Laus auf seinem Leibe nähren, und deutete damit an, wie unbequem ihm des Lahmen Anwesen mitten in seinem Eigentum sei.
Wende fand in der Ehe, die die Folge eines Fehltrittes war, keinen Frieden. Deswegen rächte er sich an seinem Schicksal durch Nörgeleien und Reibereien, die er leidenschaftlich gern suchte und, wo es ging, zu Prozessen ausbaute.
Marie heischte von dem Lahmen keine Aufklärung über die vieldeutigen Worte des Freirichters, sondern behielt sie bei sich. Denn ihre letzte Rettung vor dem Klumpen war die Geheimhaltung ihres Innern. Aber obwohl sie so seelisch geschieden von ihm lebte und auch ferner leben wollte, konnte sie eine Verschiebung in ihrer Brust nicht hindern, vermöge deren sie sein Wohlergehen und das ihre gleichsetzte. Auch aus diesem Grunde sprach sie ihrem Verlobten gegenüber nicht von den Sticheleien Wendes.
Und jedesmal, wenn der Instinkt weiblicher Klugheit sie dazu verleitet hatte, war es ihr, als habe sie sich selbst mit einem neuen Band an ihn geschnürt. Der Spuk dieses unnatürlichen Verhältnisses entsog ihrem Leben immer mehr Blut und ward von Tag zu Tag greifbarere Wirklichkeit, als wuchere aus dem tiefen Spalt ihres verwundeten Daseins ein geiler Schwamm.
Dann half ihr auch die leidenschaftliche Störrigkeit bei den seltenen Zusammenkünften mit dem Lahmen nichts. Sie plagte ihn mit Grobheit, Sticheleien und Verspottungen und wartete mit bebender Sucht auf einen Ausbruch seiner Wildheit. Sie reizte ihn zum Stoß, von dem sie mit verheimlichter Hoffnung eine Erlösung erwartete. Aber kaum wankten die Augäpfel dieses ungefügen Mannes bei den Worten ihrer bitteren Härte, kaum kam ein Lächeln um seine Lippen auf, er sah sie nur von der Seite an, hielt eine Weile im Sprechen inne und leitete dann mit einem gleichgültigen: »Nu ja, ja!« die Unterhaltung wieder weiter.
So ward sie an ihm irr, und es gab Momente, in denen sie den Lahmen, entgegen dem Mund aller Leute, für einen starken und stillen Menschen hielt, den nur die unverschuldete Verstümmelung zu einem Sonderling gemacht habe. Wohl hatte er an dem Cäciliaball eine Probe seiner bestialischen Wildheit gegeben, aber das war doch nur um ihretwillen geschehen.
Diese freundlichen Gedanken vergingen jedoch immer sehr schnell und langten meistens gerade für eine gütige Antwort. Jedesmal aber fühlte sie, wie dem Lahmen davon das Herz aufging und seine Seele sich in plumper Zärtlichkeit in ihr Leben zu drangen suchte.
An einem Tage, es war unter dem Schuppen, wo sie auf einem Hackklotz saß und Rüben zerschnitt, die sie in den vor ihr stehenden Spreukorb fallen ließ: Frau Wende schritt über den Hof her an ihr vorüber, die blaue Schürze mit beiden Enden herausgesteckt, und nickte ihr freundlich zu.
»Ich wer a mal sehn, ob de Hühner noch nie aufs Legen vergessen haben«, sprach sie und lächelte ihr eigentümliches Lächeln, wobei ihr mageres Gesicht unter tausend Falten einsank, die lange Nase und das große Kinn noch mehr hervortraten und sich gegeneinanderschoben.
Marie holte eilig die kleine Leiter, lehnte sie an den Hühnerstall und faßte der Sicherheit halber einen Leiterbaum. Dabei sah sie die Herrin an, als wolle sie sagen: Nun können Sie ohne Sorge sein.
Frau Wende lüftete den Rock und setzte den rechten Fuß auf die ersten Sprossen, indem sie liebevoll dankte: »Du bist halt doch ein gutes Mädel!«
Plötzlich sanken Marie die Hände schlaff über die Hüften, und mit gramvoller Stimme sagte sie: »Frau, ich erstick!«
Da zog die Herrin ihren erhobenen Fuß wieder zurück und drehte sich lachend um.
»Na ja, das Brautfieber! Wo war' och eene, die vor ihrem Ehrentage nich weinte!«
»Frau, könn' Se mich leiden? Ich weeß wohl, daß ich miseldrähtig geworn bin, schon lange; aber hab' ich Se geärgert?«
»Aber tummes Ding! Ganz und gar nich!«
»Da weeß ich nie, wie ich das verdient hab', das: Ehrentage!...«
»Du bist halt jung und tumm.«
»Jung und tumm, alt und klug! – wenn mich dr Gedanke an de Klugheet schon aso elende macht, da wunder ich bloß,