Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band). Else UryЧитать онлайн книгу.
Spezialkollegin! I bin halt auch Mediziner. Der Krabbe studiert aufs liabe Viehle, und der Egerling wird halt geischtlich. Hören’s auch beim Bergholz?«
»Freilich, morgen früh hab’ ich mein erstes Kolleg.«
»Großartig – da treffe mer uns. Wo seid’s denn daheim?«
»In Berlin – waschecht mit Spreewasser getauft.«
»Brrr – für die Berliner Großschnäuz’ hab’ i nix nit übrig.« Das war Krabbe. »Aber weil’s gar so liab ausschaut, mag’s euch verziehe sein, daß ihr halt Berliner seid.«
»Erstens bin ich aus Charlottenburg, und wenn ihr die Berliner Großschnäuz’ nicht mögt, ich finde die schwäbische Großschnäuz’ nicht netter.« Annemarie war nicht auf den Mund gefallen. Von den dummen Jungens ließ sie sich noch lange nicht ihre Heimat schlecht machen.
»Kratzbürscht, kleine! ‘s ischt ja nur halb so schlimm g’meint«, begütigte Egerling.
»Wenn Sie für die Berliner nichts übrig haben, bitte sehr, Tübingen ist ja wohl groß genug, daß Sie uns bequem aus dem Wege gehen können«, sekundierte nun auch Marlene der Freundin.
»Hu – seid’s doch gemütlich, Kinder. Mit so a süßem Fratzerl darf man nit so arge Worte daherrede. Jetzt kommt die dritte der Grazien wohl gar auch noch heran, na, legt’s los. Wir halten still.«
Ilse, die dritte der Grazien, lachte nur und schüttelte den Kopf.
»Brav ischt’s, und nun kommt’s, Kinderle, gebt’s Patscherl und laßt uns halt Frieden schließe.« Treuherzig sah der lange Neumann sie an.
»Drei schmucke Berlinerinnen mag i halt lieber leide als sechs garstige Widerwurzen von Stuckart.« Krabbe schien der lustigste zu sein.
Da lachten sie alle miteinander, und der Frieden war wieder hergestellt.
»Jetzt kommt’s, Kinderle, daß wir euch mit eurer neuen Heimat bekannt mache.« Die Studenten gebrauchten ganz selbstverständlich das kameradschaftliche »Ihr«, das unter ihnen Sitte war, auch den jungen Mädchen gegenüber.
Selbst Marlene verlor diesem harmlos kollegialen Ton gegenüber ihre zugeknöpfte Zurückhaltung und wurde ebenfalls gemütlich.
»Also, luegt’s, erscht das Schloß. Der Herzog Ulrich von Württemberg hat den Bau begonnen. Das hat schon mehr Fehden mit anschaue müsse als halt die unsrige soeben. Dort in dem Seitenbau ischt die Universitätsbibliothek, wenn’s mal brav sein wollt und büffeln. Und dahier zu unserer Linken, das ischt halt der Haschpelturm, der altersgraue, verwitterte Gesell. Da hat man die Gefangenen früher mit einer Winde in den Hungerturm hinuntergehaschpelt. Daher der Name. Wenn’s wieder mal kratzbürschtig sein, kommt’s ihr da hinein.« Egerling machte ein strenges Gesicht.
»Himmlisch gruselig«, lachte Annemarie.
»Gruselig wird’s erscht. Kommt’s, wir steigen jetzt in die Unterwelt.«
»Was – da hinunter?« Ilse faßte ängstlich Marlenes Arm.
»Natürlich müssen wir das unterirdische Verlies sehen. Schade, daß man nicht mehr hinabgehaschpelt werden kann«, bedauerte Doktors Nesthäkchen aufrichtig.
»Das Mädle hat Kurasch’!« Bewundernde Studentenblicke folgten der mutig die verwitterten, ausgetretenen Steinstufen als erste Hinabsteigenden.
Bei dem unterirdischen grünlichen Dämmerlicht unterschied man in dem Kellergewölbe ein großes Faß.
»Gar so arg haben’s die Gefangenen hier im Hungerturm nicht gehabt. Für den Durst war wenigstens gesorgt«, meinte Marlene belustigt. Während Ilse an dem unheimlichen Orte krampfhaft den Arm der Cousine kniff.
»Ganz ähnlich wie das Heidelberger Faß. Gibt’s hier auch einen Zwerg Perkeo mit dem Fuchsschwanz, der einem plötzlich ins Gesicht fährt? Mein Bruder Hans hat mir davon erzählt.«
»Hier saßen halt andere zu Gericht. Die heilige Feme hatte dereinscht hier ihre gefürchtete Stätte.« Mit Grabesstimme sagte es einer der Studenten, um den Mädchen Angst zu machen. Bei Ilse gelang ihm das auch vollkommen.
»O Gott – ich halt’s hier nicht mehr aus. Ich glaub’, sie hat mich schon am Schlafittchen, die heilige Feme!« Ilse zog mit Gewalt die voller Interesse lauschende Marlene zum Tageslicht zurück.
»Hasenfuß!« lachte sie Annemarie aus. »Hast selbst bei der heiligen Feme zu unserm Abiturientenfest mitgespielt, und jetzt bist du bange davor. Wehe – wehe – wehe!« Mit erhobenen Händen folgte Annemarie der unbehaglich Zurückweichenden.
»Famoses Mädle!« Die Studenten waren begeistert von Annemaries Lebhaftigkeit.
Dann standen sie wieder draußen am Schloßaltan und blickten über den Burggraben hinweg in die verdämmernde Landschaft.
»Schaut’s, da ganz in der Ferne das Schiefergebirg. Die flache Kuppe, das ischt die Achalm. Der Dichter Ludwig Finkh, der hier in Reutlinge daheim gewese, erzählt von der Achalm, daß sie in Urzeiten die Schiefertafel unseres Herrgotts gewese sei. Und hier – – –.«
»Und hier ist mein Fenster – ich kann mein Fenster sehen«, unterbrach Annemarie den Vortrag des Studenten mit gewohnter Lebhaftigkeit. »Gleich da unten hinter dem Burggraben das weinumrankte Häuschen.«
»Gut, daß mer’s weiß, wenn mer euch halt wieder amal a Ständche bringe will«, lachte Egerling.
»Ich glaub’, ich erkenn’ das Vronli und das Kaschperle im Gärtchen. Gewiß schauen sie schon nach uns aus!« rief Annemarie wieder.
»Ich sehe sogar, daß die Zwetschenspätzli unserer Frau Kirchmäuser gerade fertig sind und daß es Zeit zum Heimgehen ist«, scherzte Ilse hungrig.
»Wollt’s wirklich schon heim? Das ischt schad! Aber freili, die Spätzli dürfe nit stehe. Dann schließ i für heut’ mein Kolleg hier. Alsdann auf morgen beim Bergholz!« Man schüttelte sich freundschaftlich die Hände und ging auseinander in dem Bewußtsein, gute Kameraden gefunden zu haben.
Ausgelassen wie junge Füllen sprangen die drei Musentöchter den Burgberg hinab und die Treppchen zum Marktplatz hinunter.
»Ein Kolleg haben wir heute schon bei unserer Kirchenmaus gehört, eins soeben bei den netten Studenten auf Hohentübingen geschunden – ich glaube, wir werden hier nicht verbummeln, Kinder«, lachte Doktors Nesthäkchen. »Mehr kann man für den ersten Tag eines Studienjahres nicht verlangen.«
5. Kapitel
‘s gibt kein schöner Leben, als Studentenleben
Ohne die pünktliche Marlene wäre Annemarie sicher zu ihrem ersten Kolleg bei Professor Bergholz zu spät gekommen. Denn mit der Zeit konnte Annemarie nun mal nicht rechnen. Sie setzte stets zu wenig für den Weg fest und hatte gerade im letzten Augenblick meist noch Unaufschiebbares zu erledigen. Diesmal war die wichtige Angelegenheit, die Annemarie säumen ließ, ein flachshaariges Dirnlein und ein schwarzäugiges Bübchen. Vronli und Kaschperle bezeigten ihre innige Freundschaft für die neue Hausgenossin, indem sie ihr schon in aller Herrgottsfrühe Fensterpromenade machten.
»Tanteli – Tanteli – stehst nimmer auf? Bischt noch arg müd? Die Sonn’ ischt halt schon aufg’stande.« So klang es im Duett in Annemaries Morgenträume.
Da mußte das »Tanteli«, nachdem es endlich aus den Federn gekrochen, doch unbedingt als heiliger Nikolaus wieder einen Spendenregen herniedergehen lassen.
»Lueg’, Büble, das Tanteli – ich hab’s am Fenster g’schaut, das Tanteli ischt der heilige Nikolaus!« Das schlaue Vronli hatte die Sache durchschaut.
»Annemie, bist du denn noch nicht fertig?« klang’s aus dem Nebenzimmer.
»Wir haben schon