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Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.

Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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      Es war gerade Anfang des Monats, und obgleich Duroy sein Gehalt lange voraus bezog und von Tag zu Tag vom Gelde lebte, das er überall zusammenborgte, so befand er sich zufällig gerade bei Kasse, und es war ihm daher ganz recht, daß er mal Gelegenheit fand, etwas für sie auszugeben.

      Er antwortete: »Gewiß, Liebste, wohin du willst.«

      Sie gingen also um sieben Uhr fort und lenkten ihre Schritte nach den äußeren Boulevards. Sie schmiegte sich dicht an ihn und sagte ihm ins Ohr:

      »Du weißt gar nicht, wie glücklich ich bin, wenn ich so an deinem Arm gehe und deinen Körper neben mir fühle!«

      Er fragte: »Willst du zu Lathuille gehen?«

      »O nein,« erwiderte sie, »das ist viel zu vornehm. Ich möchte etwas Komisches, Ordinäres, ein Restaurant, in dem Kommis und Arbeiterinnen verkehren. Ich schwärme für solche Kneipen! Wenn wir nur aufs Land hinaus könnten!«

      Er kannte in der ganzen Gegend kein derartiges Lokal und so irrten sie den Boulevard entlang, bis sie schließlich in eine Weinstube gingen, wo in einem besonderen Zimmer auch Essen verabreicht wurde. Sie hatte durch die Fensterscheiben zwei Mädchen ohne Hut mit zwei Soldaten zusammen sitzen sehen.

      Im Hintergrund des schmalen, langen Raumes aßen drei Droschkenkutscher ihr Abendbrot, und noch ein anderes Menschenwesen, dessen Beruf nicht zu definieren war, saß weit zurückgelehnt auf dem Stuhl, mit ausgestreckten Beinen, die Hände im Hosengurt, und rauchte eine Pfeife. Seine Jacke war ein Sammelpunkt von Klecksen, und aus den Taschen, die wie dicke Bäuche geschwollen waren, steckte ein Flaschenhals, ein Stück Brot, ein in Zeitungspapier eingewickeltes Paket und ein Stück Bindfaden hervor. Sein Haar war dicht, kraus und grau vor Schmutz; seine Mütze lag unter dem Stuhl auf der Erde.

      Clotildes Eintreten erregte durch ihre elegante Kleidung Aufsehen. Die beiden Pärchen hörten auf zu flüstern, die Kutscher stritten sich nicht mehr und das allein sitzende Individuum nahm seine Pfeife aus dem Munde, spuckte kräftig aus und drehte sich um, um sie besser sehen zu können.

      »Hier ist es reizend«, flüsterte Madame de Marelle. »Wir sind hier gut aufgehoben. Das nächste Mal ziehe ich mich wie ein Nähmädchen an.«

      Sie setzte sich ungeniert und ohne jeden Widerwillen an den Tisch, dessen Holzplatte, über die der Kellner nur selten mal mit der Serviette fuhr, von Speisefett und verschüttetem Wein glänzte. Duroy war etwas verlegen und suchte vergeblich nach einem Haken, um seinen Zylinderhut aufzuhängen. Schließlich legte er ihn auf einen Stuhl.

      Sie aßen ein Ragout, dann Hammelkeule mit Salat.

      »So etwas habe ich zu gern«, wiederholte Clotilde immer wieder. »Ich habe manchmal pöbelhaften Geschmack. Ich amüsiere mich hier besser als im Café Anglais.«

      Dann setzte sie hinzu:

      »Wenn du mir noch eine Freude machen willst, dann führe mich in eine Tanzkneipe; ich kenne eine sehr amüsante hier in der Nähe. Sie heißt die ‘Weiße Königin’.«

      Duroy fragte erstaunt:

      »Mit wem warst du denn da?«

      Er sah sie an und bemerkte, daß sie errötete und verwirrt war, als hätte diese plötzliche Frage eine heikle Erinnerung wachgerufen. Nach einem ganz kurzen Zögern, an dem kaum etwas zu merken war, antwortete sie:

      »Es war ein Freund.«

      Und nach einer abermaligen kurzen Pause fügte sie hinzu:

      »… der schon gestorben ist.«

      Und sie senkte die Augen mit ganz natürlicher Schwermut.

      Zum ersten Male dachte Duroy an alles, was er von dem Vorleben dieser Frau nicht kannte und er begann zu grübeln. Sicherlich hatte sie schon Liebhaber gehabt. Aber welcher Art waren sie? Aus welchen Kreisen? Eine unbestimmte Eifersucht, eine starke Feindschaft gegen diese Frau erwachte in seinem Herzen, ein Haß, gegen alles, was er nicht wußte, gegen alles, was sie in ihrem Wesen und in ihrem Herzen trug, was ihm aber nicht gehörte. Er sah sie an, und die Geheimnisse, die dieser schöne, stumme Frauenkopf verbarg, reizten ihn. Vielleicht dachte sie jetzt gerade mit Bedauern an den anderen oder an die anderen? Wie gern hätte er in diese Gedanken hineingeblickt, sie durchwühlt, um alles zu wissen und alles zu erfahren!

      Sie fragte nochmals:

      »Wollen wir nach der ‘Weiße Königin’ gehen? Das wäre die Krone dieses Abends.«

      Er dachte: »Ach was, was geht mich ihre Vergangenheit an? Es ist einfach dumm, mich darüber aufzuregen!«

      Er antwortete lächelnd:

      »Aber gewiß, mein Liebling.«

      Auf der Straße sagte sie ganz leise in jenem geheimnisvollen Ton, in dem man Geheimnisse zu sagen pflegt:

      »Bisher wagte ich nicht, dich darum zu bitten. Aber du ahnst nicht, wie gern ich solche Junggesellenausflüge nach solchen Lokalen mitmache, wo Damen eigentlich nicht hingehen dürfen. Während des Karnevals werde ich mich als Student verkleiden. Dieses Kostüm steht mir fabelhaft.«

      Als sie das Ballokal betraten, schmiegte sie sich erschrocken und doch vergnügt an ihn. Sie betrachtete entzückt die Kokotten und die Zuhälter, und als wollte sie sich über eine etwaige Gefahr beruhigen, sah sie sich hin und wieder nach dem ernsten, unbeweglichen Polizisten um und sagte: »Der Mann sieht zuverlässig aus.« Nach einer Viertelstunde hatte sie genug und er führte sie nach Hause.

      Nun begann eine Reihe von Ausflügen in alle möglichen verdächtigen Lokale, wo sich das einfache Volk amüsiert, und Duroy überzeugte sich mehr und mehr, wie begeistert seine Geliebte für solche Bummelfahrten nach Studentenart war.

      Das folgende Mal kam sie zu dem gewöhnlichen Stelldichein in einem Leinenkleid mit einer Haube auf dem Kopf, wie sie die Dienstmädchen tragen. Trotz der gesuchten Schlichtheit ihrer Toilette hatte sie aber ihre Ringe, Armbänder und Brillantohrringe anbehalten. Als er sie bat, diese abzutun, erwiderte sie: »Ach was, man wird sie für Rheinkiesel halten!« Sie fand ihre Verkleidung großartig, und obwohl sie sich tatsächlich nicht besser versteckte als der Strauß, der seinen Kopf in den Sand steckt, besuchte sie ruhig die Kneipen von übelstem Ruf,

      Sie wollte, daß Duroy sich auch als Arbeiter anzöge.

      Er ging aber darauf nicht ein, behielt seinen eleganten Straßenanzug an und wollte nicht einmal seinen Zylinder gegen einen weichen Filzhut eintauschen.

      Sie hatte sich über seinen Eigensinn mit der Begründung hinweggetröstet: »Man wird mich für ein Kammermädchen halten, das ein Verhältnis mit einem jungen Lebemann hat«, und diese Komödie fand sie herrlich.

      Sie kamen in die gewöhnlichsten Kneipen, saßen in den verräucherten Spelunken auf wackligen Stühlen und vor schmutzigen, alten Tischen. Scharfer Tabaksqualm und widriger Küchengeruch von gebackenem Fisch erfüllte die Luft. Männer in Arbeiterblusen brüllten und tranken Schnäpse, und der Kellner betrachtete erstaunt das seltsame Paar, dem er zwei Kirschenschnäpse hinstellte.

      Sie zitterte vor Angst und Entzücken, schlürfte den roten Saft mit kleinen Schlucken und sah dabei mit weit geöffneten, funkelnden Augen um sich. Bei jedem Schnaps, den sie hinunterschluckte, hatte sie das Gefühl, als begehe sie ein Verbrechen, und jeder Tropfen der brennenden, gepfefferten Flüssigkeit, der über ihre Zunge rann, gewährte ihr ein scharfes und aufregendes Vergnügen, den sündhaften Genuß einer verbotenen Frucht. Dann sagte sie halblaut: »Komm, wir wollen gehen.« Und sie brachen auf. Mit niedergeschlagenen Augen und zierlichen Schritten ging sie rasch wie eine Schauspielerin mitten durch die Trinker, die mit aufgestemmten Armen dasaßen und ihr mißtrauisch und unzufrieden nachsahen. Wenn sie die Schwelle überschritten hatte, atmete sie gewöhnlich tief auf, als wäre sie glücklich irgendeiner furchtbaren Gefahr entronnen.

      Bisweilen richtete sie an Duroy zitternd die Frage: »Was tätest du, wenn man mich in so einem Lokal belästigte?«

      »Natürlich würde ich dich beschützen!« erwiderte er energisch.

      Sie preßte


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