Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
ihn den Überraschungschef des Herrn Walter und veröffentlichte täglich Niederträchtigkeiten, boshafte Bemerkungen und Verleumdungen aller Art gegen ihn.
Eines Tages sagte Jaques Rival zu Duroy:
»Sie lassen sich viel gefallen.«
»Was wollen Sie,« stammelte der andere, »es sind keine direkten Angriffe.«
Als er eines Nachmittags den Redaktionssaal betrat, hielt ihm Boisrenard die letzte Nummer der »Feder« hin.
»Lesen Sie! Es steht schon wieder eine unangenehme Bemerkung gegen Sie darin.«
»Worüber denn?«
»Nichts von Bedeutung, über die Verhaftung einer Frau Aubert durch einen Agenten der Sittenpolizei.«
Georges Duroy nahm die Zeitung und las einen Artikel mit der Überschrift: »Duroy amüsiert sich.«
»Der prominente Reporter der Vie Française teilt heute der Welt mit, daß die Frau Aubert, deren Verhaftung durch einen Beamten der verhaßten Sittenpolizei wir gestern meldeten, nur in unserer Einbildung existiere. Nun wohnt aber die betreffende Person am Montmartre 18 Rue d’Ecureuil. Wir verstehen übrigens vollkommen, welche Vorteile die Agenten der ‘Walterbank’ daran haben können, die Interessen des Polizeipräfekten, der ihre Geschäfte begünstigt, in Schutz zu nehmen. Was aber den betreffenden Reporter angeht, so soll er uns lieber mitteilen, woher er alle seine wunderbaren Sensationsnachrichten bezieht: Todesnachrichten, die am nächsten Tage dementiert werden, Berichte über Schlachten, die nicht stattgefunden haben, oder ein Telegramm über die bedeutsame Ansprache irgendeines Monarchen, der überhaupt gar nicht gesprochen hat, kurz, alle die Mitteilungen, die so fruchtbringend für das Waltersche Geschäft sind. Oder auch ein paar kleine Indiskretionen über eine Soirée bei einer vielgenannten Dame oder schließlich die Lobreden auf gewisse neue Produkte, welche für einige unserer Kollegen eine so ergiebige Einnahmequelle bilden.«
Der junge Mann war bestürzt und sprachlos; er verstand nur, daß etwas für ihn sehr Unangenehmes in dem Artikel stand.
Boisrenard fuhr fort:
»Wer hat Ihnen diese Nachricht gebracht?«
Duroy dachte nach, konnte sich aber nicht gleich entsinnen. Dann fiel es ihm plötzlich ein:
»Ja … es war Saint-Potin.«
Darauf las er den Absatz der »Feder« nochmals und wurde plötzlich feuerrot und empört über den Vorwurf der Bestechlichkeit.
»Was,« rief er aus, »man behauptet, ich würde bezahlt für …«
Boisrenard unterbrach ihn:
»Ja, Gott, es ist sehr unangenehm für Sie, denn Sie wissen, der Chef ist in solchen Sachen sehr peinlich. So etwas könnte sich sonst wiederholen …«
Saint-Potin trat gerade herein; Duroy eilte ihm entgegen:
»Haben Sie den Artikel in der Feder gelesen?«
»Jawohl, und ich komme eben von der Frau Aubert. Sie existiert tatsächlich, ist aber nie verhaftet worden. Dies Gerücht ist gänzlich unbegründet.«
Duroy ging nunmehr zum Chef, der ihn etwas kühl und mißtrauisch empfing. Herr Walter hörte sich den Fall an und sagte:
»Gehen Sie selbst zu der Frau hin und dementieren Sie es in einer Weise, daß man nicht wieder so etwas über Sie schreibt; ich meine die Folgen; sie können sehr peinlich sein für die Zeitung, für mich und auch für Sie. Mehr noch als das Weib Cäsars muß der Journalist über jeden Verdacht erhaben sein.«
Duroy stieg mit Saint-Potin in eine Droschke und rief dem Kutscher zu:
»18 Rue de l’Ecureuil am Montmartre.«
Es war ein riesiges Mietshaus, in dem sie sechs Stockwerke hinaufklettern mußten. Eine alte Frau in einer wollenen Jacke öffnete ihnen die Tür:
»Was wollen Sie denn wieder von mir?« fragte sie, als sie Saint-Potin erblickte.
Er erwiderte:
»Der Herr hier ist Polizeiinspektor und möchte gern Näheres über Ihre Angelegenheit erfahren.«
Sie ließ sie hereintreten und erzählte:
»Es waren seitdem noch zwei Herren von einer Zeitung hier, ich weiß aber nicht von welcher.«
Dann wandte sie sich zu Duroy:
»Also der Herr wünscht es zu wissen?«
»Ist es wahr, daß Sie von einem Agenten, der Sittenpolizei festgenommen wurden?« fragte Duroy.
Sie warf die Hände hoch:
»Nie im Leben, mein lieber Herr, nie im Leben! So lag die Sache: Ich habe einen Schlächter, er ist ein ganz guter Schlächter, aber er wiegt die Ware nicht richtig ab. Ich habe es mehrere Male bemerkt, doch nichts gesagt, aber neulich lasse ich mir zwei Pfund Koteletts geben, weil nämlich meine Tochter und Schwiegersohn zum Essen kommen wollten, und da seh ich, wie er mir eine Menge Knochenabfälle zuwiegt. Es waren zwar Kotelettknochen, aber nicht von meinen Koteletten. Ich hätte ja ein Ragout daraus machen können, das ist wahr. Aber wenn ich Koteletts verlange, so will ich nicht die Knochenabfälle der anderen haben. Ich will sie also nicht nehmen, und da schimpft er auf mich: ,‘Alte Ratte’, sagt er; und ich antworte ihm: ‘Alter Gauner. ’ Kurz, ein Wort gab das andere und wir haben uns so beschimpft, daß bald etwa hundert Personen vor dem Laden standen, die lachten und lachten immerfort. Endlich kam ein Polizeibeamter und führte uns beide zum Revier, damit wir uns vor dem Kommissar verantworten sollten. Wir gingen hin und wurden bald entlassen, ohne uns jedoch miteinander auszusöhnen. Jetzt kaufe ich mein Fleisch wo anders und gehe auch nicht mal an der Tür vorbei, damit es nicht wieder Krach gibt.«
Sie schwieg und Duroy fragte:
»Ist das alles?«
»Das ist die ganze Wahrheit, mein guter Herr.«
Die Alte bot ihm ein Glas Johannisbeerwein an, das er jedoch dankend ablehnte, und verlangte, daß das Falschwiegen des Schlächters in dem Bericht erwähnt wurde. Sie kehrten auf die Redaktion zurück, und Duroy schrieb folgende Erwiderung:
»Ein anonymer Schmierer aus der Feder scheint mit mir Streit zu suchen wegen einer alten Frau, die nach seiner Behauptung von einem Agenten der Sittenpolizei verhaftet worden ist. Ich bestreite das. Ich war persönlich bei dieser Frau Aubert, die mindestens sechzig Jahre alt ist. Sie hat mir selbst genau über ihren Streit mit dem Schlächter, der ihr die Koteletts angeblich falsch gewogen hätte, erzählt, worauf beide vor den Polizeikommissar geführt wurden.
Das ist die ganze Wahrheit.
Was die übrigen Verdächtigungen des Redakteurs der Feder angeht, so übergehe ich sie mit tiefster Verachtung. Man antwortet grundsätzlich nicht auf solche Dinge, wenn sie anonym sind.
Georges Duroy.«
Herr Walter und Jaques Rival, die soeben erschienen, fanden beide die Notiz vollkommen ausreichend, und es wurde beschlossen, daß sie am selben Tage an den Schluß der Lokalnachrichten gesetzt würde.
Duroy ging frühzeitig nach Hause, er war erregt und unruhig. Was würde der andere antworten? Wer konnte es sein? Wozu dieser schamlose Angriff? Bei der rücksichtslosen Art der Journalisten konnten aus dieser dummen Geschichte böse, sehr böse Folgen entstehen. Er schlief schlecht. Als er am nächsten Morgen die Notiz in der Zeitung las, fand er sie gedruckt viel herausfordernder und aggressiver als im Manuskript. Er hätte, so schien es ihm, gewisse Ausdrücke mäßigen können.
Den ganzen Tag über war er wie im Fieber und schlief auch die folgende Nacht schlecht.
Er stand beim Morgengrauen auf, um sich die Nummer der Feder zu kaufen, die die Antwort auf seine Entgegnung bringen sollte.
Es war wieder kälter geworden; es fror. Das Wasser in den Rinnsteinen war gefroren, es schien aber, als fließe es und bildete um die Bürgersteige Eisbände.
Die Zeitungen waren bei den Händlern noch