Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
mit Zukunft, einen neuen verbesserten Forestier? Hatte sie bestimmte Hoffnungen, Pläne, Absichten? Wie gern hätte er das erfahren! Aber warum zerbrach er sich den Kopf über ihre Zukunft? Er dachte darüber nach und es wurde ihm klar, daß seine Beunruhigung aus jenen dunklen, verborgenen Gedanken kam, die man vor sich selbst geheimhält und dann entdeckt, wenn man tief ins Innerste seiner Seele eindringt. Ja. warum sollte er nicht versuchen, sie zu erobern? Wie stark und unüberwindlich würde er an ihrer Seite sein? Wie sicher und schnell würde er vorwärts kommen, und wie weit würde er es bringen? Und warum sollte es nicht gelingen? Er wußte ganz genau, daß er ihr gefiel, daß sie mehr für ihn empfand als bloß Sympathie, daß sie eine Neigung für ihn hegte, wie sie zwischen zwei gleichgearteten Naturen entsteht und ebensosehr auf einem gegenseitigen Gefallen wie auf einem geheimen Einvernehmen beruht. Sie kannte ihn als klug, zäh und entschlossen, sie konnte zu ihm Vertrauen haben.
Hatte sie ihn denn nicht in dieser so schweren Lage zu sich gerufen? Und warum gerade ihn? Lag darin nicht schon eine Art Wahl, eine Art Geständnis? Vielleicht sogar Entschluß? Wenn sie gerade an ihn in dem Augenblick dachte, wo sie Witwe werden sollte, hatte sie da nicht vielleicht auch gedacht, daß er ihr ein neuer Lebensgefährte und Bundesgenosse sein sollte?
Eine ungeduldige Neugier quälte ihn, er wollte sie befragen, ihre Absichten kennenlernen. Übermorgen würde er abreisen, denn er konnte nicht allein in einem Hause mit dieser Frau wohnen. Er mußte sich beeilen, er mußte noch vor seiner Rückkehr nach Paris ihre Absichten geschickt und feinfühlig ergründen, er durfte sie nicht zurückkehren lassen, damit sie nicht auf Drängen eines anderen nachgäbe und sich endgültig binde.
Tiefes Schweigen herrschte im Zimmer. Man hörte nur das metallische, regelmäßige Ticken der Uhr, die auf dem Kamin stand.
»Sie müßten wohl sehr müde sein?« murmelte er.
»Ja,« sagte sie, »und vor allem tief traurig.«
Der Ton ihrer Stimme klang so seltsam in diesem düsteren Raum, daß sie beide erstaunt waren. Und sie blickten plötzlich das Antlitz des Toten an, als hätten sie erwartet, daß er sich bewegte, sie anredete, wie er es noch vor wenigen Stunden tat.
Duroy sprach weiter:
»Oh! Es ist ein schwerer Verlust für Sie und eine völlige Veränderung in Ihrem Leben, eine wirkliche Umwälzung Ihres ganzen Daseins.«
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, ohne zu antworten.
»Es ist traurig für eine junge Frau, so allein im Leben zu stehen, wie Sie jetzt«, fuhr er fort.
Dann schwieg er wieder. Sie sagte nichts. Er stammelte:
»Jedenfalls wissen Sie, welches Abkommen wir getroffen haben. Sie können über mich verfügen, wie Sie wollen. Ich gehöre Ihnen.«
Sie reichte ihm die Hand und sah ihn mit so sanften, traurigen Augen an, daß er bis ins Innerste seiner Seele ergriffen wurde.
»Ich danke Ihnen«, sagte sie. »Sie sind überaus gut. Wenn ich für Sie was tun dürfte und könnte, ich würde auch sagen: Verlassen Sie sich auf mich.«
Er hatte ihre Hand ergriffen und behielt sie in der seinen. Er preßte sie mit dem heißen Verlangen, sie zu küssen. Endlich entschloß er sich dazu, näherte sie langsam seinem Munde und drückte die zarte, etwas heiße, parfümierte und fieberische Hand an seine Lippen. Als er dann fühlte, daß dieser zärtliche Freundschaftskuß etwas zu lange dauerte, ließ er die kleine Hand wieder fallen. Sie sank langsam zurück auf das Knie der jungen Frau, die in ernstem Ton versetzte:
»Ja, ich werde mich sehr einsam fühlen, aber ich will versuchen, tapfer zu sein.«
Er wußte nicht recht, wie er es ihr begreiflich machen sollte, daß er sehr glücklich sein würde, wenn sie seine Frau werden wollte. Gewiß konnte er es ihr zu dieser Stunde angesichts dieses Toten nicht sagen, doch er hoffte, eine jener vielsagenden, doppelsinnigen, anständigen Redensarten zu finden, die alles durchblicken lassen, ohne etwas direkt auszusprechen.
Doch die Leiche genierte ihn, die starre, kalte Leiche, die vor ihm lag, und die sie zwischen sich fühlten.
Übrigens glaubte er seit einiger Zeit zu bemerken, daß die Luft des geschlossenen Zimmers einen verdächtigen Geruch annahm, der aus jener stillen, zusammengesunkenen Brust zu kommen schien, der erste Hauch der Verwesung, den die Toten auf die Überlebenden ausströmen, der schreckliche Duft, mit dem sie dann bald den engen Raum ihres Sarges erfüllen.
»Können wir nicht das Fenster etwas öffnen?« fragte Duroy, »es scheint mir, daß die Luft schlecht ist.«
Sie antwortete:
»Gewiß, mir ist es auch so vorgekommen;«
Er ging zum Fenster und öffnete es. Ein Hauch der frischen, duftigen Nacht wehte herein und ließ die beiden Kerzen neben dem Bett flackern. Draußen breitete wie am Tage vorher der Mond sein ruhig flutendes Licht auf die weißen Mauern der Villen und die breite, leuchtende Fläche des Meeres. Duroy atmete tief; er fühlte sich jetzt von neuen Hoffnungen erfüllt und belebt vom Herannahen des Glücks.
Er drehte sich um:
»Kommen Sie doch etwas frische Luft schöpfen,« sagte er, »es ist herrlich draußen.«
Ruhig kam sie an ihn heran und lehnte sich neben ihn ans Fenster.
Und mit leiser Stimme flüsterte er:
»Hören Sie mich an und verstehen Sie recht, was ich Ihnen sage. Zürnen Sie mir bitte nicht, daß ich in diesem Augenblick von solchen Dingen mit Ihnen zu sprechen wage, aber übermorgen schon muß ich Sie verlassen, und wenn Sie nach Paris zurückkommen, wird es vielleicht zu spät sein. Sehen Sie … ich bin ein armer Teufel, ich besitze kein Vermögen, und meine Stellung muß ich mir noch erkämpfen, das wissen Sie. Doch ich habe Willenskraft, etwas Verstand — so glaube ich wenigstens — und ich bin auf dem richtigen Wege. Bei einem Manne, der sich schon durchgesetzt hat, weiß man, woran man ist, bei einem Anfänger weiß man nicht, wie weit man kommt. Das ist vielleicht schlimmer, vielleicht besser. Als ich einmal bei Ihnen war, sagte ich Ihnen, daß. es mein höchster Traum wäre, einmal eine Frau wie Sie zu heiraten. Heute sage ich Ihnen das noch einmal. Antworten Sie mir noch nicht, lassen Sie mich ausreden. Ich richte an Sie keine Frage, der Ort und die Zeit würden schlecht dazu passen. Mir liegt nur daran, daß Sie wissen, wie glücklich Sie mich mit einem einzigen Wort machen können, daß ich ganz nach Ihrem Belieben Ihr brüderlicher Freund und auch Ihr Gatte sein werde, daß ich mit Leib und Seele Ihnen gehöre. Ich will nicht, daß Sie mir jetzt schon antworten, und noch weniger, daß dieser Gegenstand hier erörtert wird. Wenn wir uns in Paris wiedersehen werden, werden Sie mir Ihren Entschluß mitteilen. Bis dahin kein Wort mehr. Einverstanden?«
Er hatte gesprochen, ohne sie anzublicken, als streue er seine Worte in die Nacht hinaus. Und sie schien ihn nicht gehört zu haben, so unbeweglich war sie geblieben, und sie starrte mit ruhigem Blick in die weite Mondlandschaft hinaus. So blieben sie lange nebeneinander, Schulter an Schulter, schweigsam und nachdenklich stehen.
Schließlich murmelte sie:
»Es wird kühl.«
Und sie drehte sich um und trat an das Bett. Er folgte ihr.
Wie er näher herantrat, merkte er, daß der Körper Forestiers tatsächlich Leichengeruch ausströmte. Er rückte seinen Sessel weiter ab, denn lange hätte er diesen Geruch nicht ertragen können.
»Er muß gleich morgen früh in den Sarg gelegt werden«, sagte er.
»Ja, es ist schon abgemacht,« erwiderte sie, »der Tischler kommt gegen acht Uhr.«
»Armer Charles!« seufzte Duroy, und sie stieß auch einen Seufzer der schmerzlichen Ergebung aus.
Sie blickten jetzt nicht so oft zu ihm hinüber, sie hatten sich an die Tatsache gewöhnt, daß er nun tot sei, und begannen, sich in Gedanken schon mit seinem Verschwinden abzufinden, mit dem, was sie eben noch so schmerzlich ergriffen und entsetzt hatte, weil sie auch nur sterbliche Menschen waren.
Sie sprachen jetzt nicht mehr und fuhren