Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
»Guten Tag, Made«, erwiderte er und schlang seinen Arm um ihre Hüfte.
In der Ferne sahen sie tief unten im Tal den großen Fluß wie ein silbernes Band in der Morgensonne leuchten, und die Fabrikschornsteine, die ihre schwarzen Rauchwolken zum Himmel hinaufbliesen, und alle spitzen Türme, die über der Stadt emporragten.
II.
Das Ehepaar Du Roy war seit zwei Tagen nach Paris zurückgekehrt und der Journalist hatte seine alte Tätigkeit wieder aufgenommen, in der Hoffnung, bald von der Redaktion des Lokalen Teils entbunden zu werden, um endgültig das Ressort Forestiers zu übernehmen und sich ganz der Politik widmen zu können.
Er ging abends mit frohem Herzen nach der Wohnung seines Vorgängers, um zu essen. Er sehnte sich nach seiner Frau, deren körperliche und seelische Reize ihn immer mehr fesselten. Als er an einem Blumenladen am Ende der Rue Notre Dame de Lorette vorbeikam, kam er auf die Idee, für Madeleine einen Strauß Blumen mitzunehmen und er kaufte ein großes Bund halbgeöffneter, duftender Rosenknospen.
Auf jedem Treppenabsatz seiner neuen Wohnung sah er sich selbstgefällig in dem Spiegel, der ihn jedesmal an seinen ersten Besuch in diesem Hause erinnerte.
Er hatte seinen Schlüssel vergessen und klingelte. Der Diener, den er auf Anraten seiner Frau behalten hatte, öffnete ihm.
Georges fragte:
»Ist meine Frau schon zurück?«
»Jawohl, mein Herr.«
Als er durchs Eßzimmer ging, wurde er stutzig, weil er drei Gedecke erblickte. Der Türvorhang zum Salon war zurückgeschlagen und er sah nebenan Madeleine, die einen Strauß ganz ähnlicher Rosen in eine Vase auf dem Kamin hineinsteckte. Er wurde verstimmt und mißvergnügt, als hätte ihn jemand um seine Idee und um die ganze Freude bestohlen, die er von dieser Aufmerksamkeit erwartete.
Er trat herein und fragte:
»Hast du denn jemand eingeladen?«
Sie antwortete, ohne sich umzuwenden, und ordnete weiter ihre Blumen:
»Ja und nein. Es ist mein alter Freund, der Graf de Vaudrec, der jeden Montag hier zu essen pflegt, und er kommt heute wie gewöhnlich.«
»Ah, sehr angenehm.«, murmelte Georges.
Er blieb hinter ihr stehen, mit seinem Strauß in der Hand; er hatte Lust, ihn zu verstecken oder wegzuwerfen. Trotzdem sagte er:
»Sieh mal, ich habe dir Rosen mitgebracht.«
Hastig drehte sie sich um und rief freudestrahlend:
»Wie reizend von dir, daß du daran gedacht hast.«
Und sie reichte ihm ihre Hände und Lippen mit einem so ungekünstelten Ausdruck der Freude, daß er gleich wieder getröstet war. Sie nahm seine Blumen, sog den Duft ein und stellte sie dann mit der Fröhlichkeit und Lebhaftigkeit eines beglückten Kindes in eine leere Vase gegenüber der anderen.
Sie betrachtete prüfend die Wirkung und murmelte:
»Es freut mich so, jetzt ist mein Kamin hübsch und anständig geschmückt.« Gleich darauf fügte sie mit innerer Überzeugung hinzu:
»Weißt du, Vaudrec ist reizend. Du wirst dich sehr rasch mit ihm befreunden.«
Die Klingel ertönte und kündete den Besuch des Grafen an. Er trat ein, ruhig und sicher, als sei er bei sich zu Hause. Nachdem er der Hausfrau galant die Finger geküßt hatte, wandte er sich zum Gatten, bot ihm die Hand und fragte:
»Nun, wie geht es, mein lieber Du Roy?«
Er hatte nicht mehr die steife, abweisende Art von früher, sondern sein entgegenkommendes Wesen gab deutlich zu erkennen, daß die Umstände nicht mehr die gleichen waren.
Der Journalist war überrascht, versuchte liebenswürdig zu sein, und nach wenigen Minuten hätte man glauben können, daß sie sich schon seit zehn Jahren gut kannten und schätzten.
Dann sagte Madeleine, deren Gesicht vor Freude strahlte:
»Ich lasse euch allein. Ich muß einen Blick in die Küche werfen.«
Sie ging hinaus und die beiden Männer blickten ihr nach.
Als sie zurückkam, unterhielten sie sich vom Theater; es handelte sich um ein neues Stück, das kurz zuvor aufgeführt war; sie waren so völlig einer Meinung, daß sie, wenn sie sich anblickten, ein plötzliches Freundschaftsgefühl verspürten, so sehr stimmten ihre Ideen überein.
Das Diner war reizend intim und herzlich. Der Graf blieb bis spät in die Nacht, so wohl fühlte er sich in diesem reizenden, neuen Haushalt.
Als er fort war, sagte Madeleine zu ihrem Mann:
»Ist er nicht ein entzückender Mensch? Er gewinnt ungeheuer, wenn man ihn besser kennt. Er ist ein zuverlässiger, guter, ergebener und treuer Freund. Ach! Ohne ihn …«
Sie führte ihren Gedanken nicht zu Ende und Georges erwiderte:
»Ja, ich finde ihn sehr angenehm. Ich glaube, wir werden uns gut verstehen.«
»Weißt du,« fuhr sie sogleich fort, »wir haben heute abend noch zu arbeiten, bevor wir zu Bett gehen. Ich hatte keine Zeit, es dir vor Tisch zu sagen, weil Vaudrec gleich kam. Ich habe sehr wichtige Nachrichten über Marokko erhalten. Der Abgeordnete Laroche-Mathieu, der zukünftige Minister, hat sie mir gebracht. Wir müssen einen richtigen, großen Sensationsartikel schreiben. Die Tatsachen und die Zahlen habe ich alle. Komm, wir wollen uns gleich an die Arbeit setzen. Da, nimm die Lampe.«
Er nahm die Lampe und sie gingen ins Arbeitszimmer.
Dieselben Bücher standen reihenweise im Bücherschrank, den jetzt die drei Vasen schmückten, die Forestier am Tage vor seinem Tode am Golf Juan gekauft hatte. Unter dem Tisch lag der Fußsack des Verstorbenen für die Beine Du Roys bereit, und als er Platz genommen hatte, griff er zur Elfenbeinfeder, die sein Vorgänger mit seinen Zähnen an der Spitze angekaut hatte. Madeleine lehnte sich an den Kamin und steckte eine Zigarette an. Sie erzählte, was sie Neues erfahren hatte, entwickelte ihre Gedanken und den Plan des Artikels, wie sie ihn zu schreiben beabsichtigte.
Er hörte aufmerksam zu und machte sich einige Notizen. Als sie fertig war, erhob er einige Einwendungen; er faßte die Frage anders auf, erweiterte sie und entwickelte seinerseits einen Plan, nicht bloß zu dem Artikel, sondern zu einem Feldzug gegen das jetzige Ministerium. Dieser Angriff sollte den Kampf eröffnen. Seine Frau hörte so aufmerksam und gespannt zu, daß sie sogar zu rauchen aufhörte; sie verfolgte Georges’ Gedankengang, ihr eröffneten sich weite Perspektiven und hin und wieder murmelte sie:
»Ja … richtig … sehr gut … Tadellos … sehr stark.«
Als er zu sprechen aufhörte, sagte sie:
»Nun wollen wir schreiben.«
Aber der Anfang fiel ihm noch immer sehr schwer und er mußte mit größter Mühe die Worte zusammensuchen. Da neigte sie sich sanft über seine Schulter und begann ihm leise die Sätze ins Ohr zu flüstern. Von Zeit zu Zeit hielt sie inne und fragte:
»Ist das richtig, wie du es gemeint hast?«
Er antwortete:
»Ja, vortrefflich.«
Sie fand scharfe Wendungen und giftige Bosheiten, um den Ministerpräsidenten zu treffen. Sie verquickte, wie es nur eine Frau vermag, spöttische Bemerkungen über sein Gesicht mit denen über seine Politik in so komischer und geistreicher Weise, daß man lachen und zugleich die Richtigkeit und Schärfe ihrer Beobachtung billigen mußte. Du Roy setzte zuweilen einige Zeilen hinzu, die die Tragweite und Wirkung des Angriffs vertieften und verschärften. Er verstand sich vortrefflich auf die Kunst, versteckte und zweideutige Bosheiten anzubringen; er hatte es gelernt, als