Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
nahm ihn beim Arm und sie schritten durch die Säle, die schon ziemlich leer waren.
Sie fragte:
»Wo ist Frau Walter? Ich möchte mich von ihr verabschieden.«
»Lieber nicht. Sie wird darauf bestehen, daß wir zum Ball bleiben und ich habe genug.«
»Das ist wahr, du hast recht.«
Während sie nach Hause fuhren, saßen sie schweigend nebeneinander, doch sobald sie in ihrem Zimmer waren, sagte Madeleine lächelnd, noch bevor sie ihren Schleier abgelegt hatte:
»Du weißt es noch nicht; ich habe eine Überraschung für dich.«
Er brummte launisch:
»Was denn?«
»Rate mal.«
»Nein, das ist mir zu anstrengend.«
»Also, übermorgen ist der 1. Januar.«
»Ja.«
»Der Tag der Neujahrsgeschenke.«
»Ja.«
»Hier hast du deins, das Laroche mir vorhin übergeben hat.«
Sie reichte ihm eine kleine schwarze Schachtel, die wie ein Schmucketui aussah.
Er öffnete sie gleichgültig und erblickte darin das Kreuz der Ehrenlegion.
Er wurde blaß, dann lächelte er und erklärte:
»Ich hätte zehn Millionen vorgezogen. Das hier wird ihn nicht viel gekostet haben.«
Sie hatte gedacht, er würde sich freuen. Seine Kälte ärgerte sie.
»Du bist wirklich unglaublich! Du bist jetzt mit nichts mehr zufrieden.«
Er antwortete ruhig:
»Dieser Mann bezahlt nur seine Schulden. Tatsächlich schuldet er mir viel mehr.«
Sie war erstaunt über den Ton seiner Worte und sagte:
»In deinem Alter ist das doch sehr hübsch.«
»Das eine hängt vom andern ab«, erwiderte er. »Ich könnte jetzt viel mehr besitzen.«
Er nahm das Kästchen, stellte es offen auf den Kamin hin und betrachtete einige Augenblicke das Kreuz, das darin blitzte, schloß es wieder, und ging dann achselzuckend zu Bett.
Der Officiel vom 1. Januar verkündete tatsächlich die Ernennung des Schriftstellers Herrn Prosper-Georges Du Roy zum Ritter der Ehrenlegion »wegen außergewöhnlicher Verdienste«. Der Name war in zwei Worten geschrieben und das machte Georges mehr Freude als der Orden selbst.
Eine Stunde später, nachdem er diese Nachricht gelesen hatte, erhielt er einen Brief von der Frau Direktor, worin sie ihn bat, denselben Abend noch zum Essen zu kommen, um die Auszeichnung zu feiern. Er zögerte eine Weile, dann warf er den in zweideutigen Ausdrücken geschriebenen Brief ins Feuer und sagte zu Madeleine:
»Wir wollen heute bei Walters essen.«
Sie war überrascht.
»Wieso? Ich dachte, du wolltest ihr Haus nicht mehr betreten.«
Er sagte leise:
»Ich habe es mir anders überlegt.«
Als sie erschienen, saß Frau Walter allein in dem kleinen Louis-XVI-Boudoir, das für den intimeren Verkehr bestimmt war. Sie war in Schwarz gekleidet und hatte ihr Haar gepudert, was ihr sehr gut stand. Von weitem sah sie alt, von nahe jung aus, und wenn man sie genau betrachtete, so wirkte sie wie ein schönes Bild.
»Sind Sie in Trauer?« fragte Madeleine.
Sie antwortete schwermütig:
»Ja und nein. Ich habe niemanden von meinen Angehörigen verloren. Aber ich bin bereits in dem Alter, wo man um sein Leben trauert. Ich habe das Kleid heute angezogen, um es einzuweihen. Fortan werde ich die Trauer in meinem Herzen tragen.«
Du Roy dachte:
»Wie lange wird sie wohl bei dem Entschluß bleiben?«
Das Diner verlief etwas langweilig. Nur Suzanne schwatzte unaufhörlich. Rose schien verstimmt zu sein. Man beglückwünschte den Journalisten.
Abends spazierte man durch die Säle und den Wintergarten und unterhielt sich. Du Roy ging mit der Frau Direktor als letzter; sie hielt ihn am Arm zurück.
»Hören Sie,« sagte sie mit dumpfer Stimme, »ich will nie mehr mit Ihnen darüber reden, niemals. Aber kommen Sie mich besuchen. Sehen Sie, ich duze Sie gar nicht mehr. Es ist mir ganz unmöglich, ohne Sie zu leben, ich kann es nicht! Sie können sich gar nicht vorstellen, was für eine Qual das ist. Ich fühle Sie, ich habe Sie vor meinen Augen, in meinem Herzen, in meinem Fleisch und in meiner Seele, den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch. Mir ist es, als hätten Sie mich ein Gift trinken lassen, das mich nun innerlich verzehrt. Ich halte es nicht mehr aus. Nein, ich kann nicht mehr. Ich will für Sie nur eine alte Frau sein. Ich trage weiße Haare, um es Ihnen zu zeigen, aber kommen Sie zu mir. Kommen Sie von Zeit zu Zeit als Freund des Hauses.«
Sie ergriff seine Hand, preßte sie krampfhaft und drückte ihre Nägel in sein Fleisch.
Er antwortete ruhig:
»Schön. Es ist unnütz, darüber wieder Worte zu verlieren. Sie sehen doch, ich bin heute gleich auf Ihren Brief gekommen.«
Walter ging mit den beiden jungen Mädchen und Madeleine voran und wartete auf Du Roy vor dem Bilde »Jesus über die Fluten schreitend«.
»Stellen Sie sich vor,« sagte er lachend, »ich habe gestern meine Frau hier auf den Knien vor diesem Gemälde vorgefunden, wie in einer Kapelle. Sie betete. Wie ich gelacht habe!«
Madame Walter erwiderte mit fester Stimme, die jedoch einer gewissen zitternden Erregung nicht entbehrte:
»Dieser Christus wird meine Seele retten. Er gibt mir Mut und Kraft jedesmal, wenn ich ihn ansehe.«
Sie blieb vor dem auf dem Meere schreitenden Gott stehen und sagte leise:
»Wie schön ist es, wie diese Männer sich vor ihm fürchten und wie sie ihn lieben. Sehen Sie seine Augen, seinen Kopf, sehen Sie, wie schlicht und doch überirdisch er ist!«
Suzanne rief:
»Aber er hat doch Ähnlichkeit mit Ihnen, Bel-Ami, ich bin sicher, er ist Ihnen ähnlich! Wenn Sie so einen Doppelbart hätten oder wenn er rasiert wäre, dann würdet ihr beide ganz gleich aussehen. Oh, ist das auffällig.«
Sie wollte, daß er sich neben das Bild stellte, und alle erkannten tatsächlich, daß beide Gesichter miteinander Ähnlichkeit hatten.
Alles war überrascht. Walter fand die Sache sehr seltsam. Madeleine meinte lächelnd, daß Jesus männlicher aussehe.
Frau Walter rührte sich nicht, unbeweglich und mit starrem Blick betrachtete sie das Gesicht ihres Geliebten neben dem des Heilands. Sie war fast so weiß geworden wie ihr weißes Haar.
VIII.
In der zweiten Hälfte des Winters ging das Ehepaar Du Roy oft zu den Walters. Georges selbst war sehr häufig dort zu Tisch, während Madeleine erklärte, müde zu sein, und es vorzog, zu Hause zu bleiben. Sein fester Tag war Freitag, und die Frau Direktor lud an diesem Tage nie jemand anders ein. Er gehörte dem Bel-Ami, ihm allein. Nach dem Essen spielte man Karten, fütterte die chinesischen Fische, kurz man lebte und amüsierte sich im Familienkreise. Es gelang Frau Walter mehrere Male hinter einer Tür oder hinter einem dichten Gebüsch im Wintergarten oder in einer dunklen Ecke den jungen Mann stürmisch zu umarmen. Sie preßte ihn mit aller Kraft an ihre Brust und flüsterte ihm hastig ins Ohr: »Ich liebe dich!… Ich liebe dich!… Ich liebe dich zum Sterben!« Doch er wies sie jedesmal