Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
nahm das Fach und setzte es auf einen Stuhl neben ihre Herrin, die nun anfing, langsam einen Brief nach dem andern zu lesen und von Zeit zu Zeit eine Thräne darauf fallen ließ.
Manchmal nahm Johanna Rosalies Stelle ein und führte Mutting spazieren, die ihr Erinnerungen aus ihrer Kindheit erzählte. Das junge Mädchen fand sich in allen diesen Geschichten wieder und wunderte sich über die Ähnlichkeit ihrer beiderseitigen Gedanken, über die Verwandtschaft ihrer Wünsche, denn jedes Herz bildet sich ein, zu allererst von einer Menge Dingen berührt worden zu sein, die doch schon die Herzen der ersten Menschen bewegten und noch die der letzten bewegen werden.
So langsam wie sie ging, erzählte sie auch, und manchmal mußte ein paar Sekunden inne gehalten werden. Dann entflohen Johannas Gedanken von der Erzählung, die sie gerade begonnen, und irrten in die frohe Zukunft hinaus und wiegten sich in allerhand Träumen.
Eines Nachmittags, als sie auf der Bank saßen, bemerkten sie plötzlich am andern Ende der Allee einen dicken Priester, der auf sie zukam.
Er grüßte von weitem, lächelte, grüßte wieder, als er auf drei Schritte herangekommen war, und rief:
– Nun Frau Baronin, wie geht es denn?
Es war der Pfarrer des Ortes, Mutting, die im Zeitalter der Philosophen geboren und von einem freisinnigen Vater erzogen war in den Tagen der Revolution, ging kaum in die Kirche, obgleich sie vermöge des instinktiven religiösen Gefühls der Frau die Priester verehrte.
Sie hatte den Abbé Picot, ihren Pfarrer, gänzlich vergessen und errötete, als sie ihn sah. Sie entschuldigte sich, daß sie seine Ankunft nicht bemerkt, aber der gute Mann schien gar nicht verletzt zu sein. Er sah Johanna an und sagte artig, daß sie gut aussähe; setzte sich, legte seinen dreieckigen Hut auf die Bank und betupfte sich die Stirn. Er war sehr dick und der Schweiß tropfte nur so herab.
Alle Augenblicke zog er ein gewürfeltes, buntes, schon ganz genäßtes Taschentuch hervor, mit dem er sich den Schweiß abtrocknete. Aber kaum war sein nasses Taschentuch in den Tiefen seines Priesterrockes verschwunden, als neue Tropfen auf der Stirn erschienen und auf das Priestergewand fielen, wo sie nun in kleinen, runden Flecken den Staub von der Straße festhielten.
Er war heiter, der richtige Landgeistliche, sehr tolerant, schwatzhaft, ein ganz braver Mann. Er erzählte Geschichten, sprach von den Leuten der Gegend und schien gar nicht gemerkt zu haben, daß seine beiden Gemeindemitglieder die Kirche noch nicht besucht hatten, denn bei der Baronin ward ihre geringe Gläubigkeit von ihrer Bequemlichkeit unterstützt, und Johanna war glücklich, aus dem Kloster erlöst zu sein, wo sie mit Gebeten gefüttert worden war.
Der Baron erschien. Seine pantheistische Weltanschauung machte ihn gegen die Kirche gleichgiltig. Er war aber liebenswürdig gegen den Geistlichen, den er oberflächlich kannte, und behielt ihn zum Essen.
Der Pfarrer wußte sich einzuschmeicheln, dank jener unbewußten Schlauheit, die das Seelenhirtenamt auch mäßig begabten Leuten verleiht, wenn sie durch den Lauf der Dinge dazu gekommen sind, über ihresgleichen eine Macht auszuüben.
Die Baronin verhätschelte ihn, vielleicht zog sie eine jener Wahlverwandtschaften, die ähnliche Naturen einander nähert, zu ihm. Das vollblütige Gesicht und der kurze Atem des Mannes gefielen ihrer asthmatischen Dicke.
Nach dem Diner war er aufgekratzt wie ein beschwipster Pfarrer und von jener familiären Formlosigkeit, wie sie sich am Ende eines heiteren Mahles einzustellen pflegt. Plötzlich rief er, als hätte er einen guten Gedanken:
– Aber ich habe ja ein neues Gemeindemitglied, das ich Ihnen vorstellen muß, den Herrn Vicomte Lamare.
Die Baronin, die den ganzen Adel der Provinz bis auf das Tz kannte, fragte:
– Ist es ein Lamare de L’Eure?
Der Priester nickte:
– Jawohl gnädige Frau, er ist der Sohn des Vicomte Johann von Lamare, der voriges Jahr starb.
Da fing Frau Adelaide, die den Adel über alles liebte, an, eine Menge Fragen zu stellen, und erfuhr, daß sich der junge Mann, nachdem er die Schulden seines Vaters bezahlt und sein Stammschloß verkauft, eine Wohnung in einem der drei Meierhöfe, die er in der Gemeinde Etouvent besaß, eingerichtet hatte. Im ganzen mochte sein Besitz wohl fünf-bis sechstausend Franken Rente abwerfen; aber der Vicomte war sparsam und vernünftig und wollte so zwei oder drei Jahre lang bescheiden leben, um etwas zusammen zu kratzen, damit er dann in Gesellschaft eine gute Figur machen und sich vorteilhaft verheiraten könnte, ohne Schulden oder Hypotheken auf seine Pachthöfe aufzunehmen.
Der Pfarrer fügte hinzu:
– Er ist ein sehr netter Herr, so ruhig und vernünftig, aber er amüsiert sich nicht gerade übermäßig hier.
Der Baron sagte:
– Herr Pfarrer, bringen Sie ihn uns nur, vielleicht giebt ihm das ab und zu eine Zerstreuung.
Und man sprach von andern Dingen.
Als sie in den Salon hinüber gingen, nachdem sie den Kaffee getrunken, bat der Pfarrer um die Erlaubnis, da er die Gewohnheit habe, nach Tisch sich Bewegung zu machen, in den Garten zu gehen.
Der Baron begleitete ihn. Langsam schritten sie die lange, weiße Fassade des Schlusses ab, um denselben Weg wieder zurück zu machen.
Ihre Schatten, der eine mager, der andere rund, mit einem flachen Hut auf dem Kopfe, kamen und gingen mit, bald vor, bald hinter ihnen, je nachdem sie der Sonne den Rücken kehrten, oder ihr entgegen schritten.
Der Pfarrer hatte eine Cigarette in der Hand, die er aus der Tasche gezogen. Mit der Offenheit eines Landbewohners setzte er den Nutzen derselben auseinander: – Ich brauche das, um den Stuhlgang zu befördern, denn ich habe etwas schwere Verdauung.
Dann plötzlich blickte er zum Himmel auf, an dem das klare Gestirn dahinzog und sagte:
– Daran kann man sich nie satt sehen!
Und er ging hinein, um sich von den Damen zu verabschieden.
III
Am folgenden Sonntag gingen die Baronin und Johanna zur Messe aus zartfühlender Rücksicht gegen ihren Pfarrer.
Nach dem Gottesdienst erwarteten sie ihn, um ihn für Donnerstag zum Frühstück zu laden. Er trat mit einem großen, jungen, eleganten Herrn, der ihm freundschaftlich den Arm gab, aus der Sakristei.
Sobald er die beiden Damen sah, machte er eine Bewegung frohen Erstaunens und rief:
– Nein, wie sich das trifft! Frau Baronin und Fräulein Johanna erlauben Sie mir, Ihnen Ihren Nachbarn vorzustellen, Vicomte Lamare.
Der Vicomte verbeugte sich, sagte, es wäre bereits längst sein Wunsch gewesen, die Damen kennen zu lernen, und fing an sich zu unterhalten wie ein gebildeter Mann, der weiß was sich gehört. Er hatte eines jener glücklichen Gesichter, die alle Frauen in Entzücken versetzen und allen Männern fatal sind.
Sein schwarzes, wohlfrisiertes Haar umrahmte die glatte, gebräunte Stirn, und zwei starke Augenbrauen, so regelmäßig, als wären sie künstlich gezogen, gaben seinen dunklen Augen, deren Weiß einen leichten blauen Schimmer hatte, etwas Tiefes und Zartes.
Dichte, lange Wimpern verliehen seinem Blick jene Beredtsamkeit der Leidenschaft, die sowohl im Salon schönen, hochmütigen Damen gefällt, wie das gewöhnliche Mädchen auf der Straße, mit dem Henkelkorb am Arm, dem Manne nachblicken lässt.
Der schmachtende Reiz dieses Auges ließ Gedankentiefe vermuten und gab jedem seiner Worte eine gewisse Wichtigkeit.
Sein dichter, glänzender, feiner Bart verbarg ein etwas zu starkes Gebiss.
Nach vielen gegenseitigen Artigkeiten trennte man sich. Zwei Tage später machte der Vicomte seinen Antrittsbesuch.
Als er