Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
Nein, nein, das erlaube ich nie!
Er sagte ungeduldig:
– Nu, da giebt es gar nichts weiter zu reden, es muß sein! Der Lump hat uns aber rein gelegt. Jedenfalls ist er ein toller Kerl! Wir hätten vielleicht ein bessern Mann finden können, aber nicht einen, der schlauer ist und eine glänzendere Carrière vor sich hat. Der ist der Mann der Zukunft! Der wird noch Abgeordneter und Minister!
Frau Walter rief mit wilder Erregung:
– Ich gebe nie zu, daß er Susanne heiratet, hörst Du, nie!
Nun ward er wütend und nahm schließlich, als praktischer Mann, sogar des Lieblings Partei:
– Aber so sei doch ruhig, ich sage Dir, es muß sein, es muß durchaus sein! Und wer weiß, am Ende bereuen wir es nicht. Mit einem Manne dieses Schlags weiß man nie, was geschehen kann. Du hast doch gesehen, wie er mit drei Artikeln diesen impertinenten Laroche-Mathieu gestürzt hat und wie er sich mit Anstand aus der Angelegenheit gezogen hat, was doch für ihn als Ehemann sehr schwierig war. Nun wir werden ja sehen. Die Hauptsache ist, wir sitzen drin und sitzen uns nicht ‘raus.
Es kam ihr die Lust an zu schreien, sich auf der Erde zu wälzen, sich die Haare zu raufen, und sie sagte nochmals mit verzweifelter Stimme:
– Er wird sie nicht bekommen, ich … will … es … nicht!
Walter stand auf, nahm seine Lampe und sagte:
– Ach, Du bist albern, wie alle Frauenzimmer, ihr handelt immer bloß aus Leidenschaft, ihr wißt euch den Umständen nie unterzuordnen. Ihr seid dämlich. Ich sage Dir, er wird sie heiraten … er muß.
Und mit den Pantoffeln klappend ging er davon. Wie ein lächerliches Gespenst durchschritt er im Nachthemd den weiten Flur des schlafenden Palais und ging lautlos in sein Zimmer.
Frau Walter blieb stehen, unsäglicher Schmerz zerriß ihre Seele. Sie verstand noch immer nicht, sie litt nur. Dann war es ihr, als könne sie nicht hier bleiben unbeweglich, bis Tagesanbruch. Sie fühlte das Bedürfnis davon zu laufen, um Rettung und Hilfe zu suchen.
Sie überlegte, wen sie sich zur Hilfe holen sollte, aber sie wußte es nicht. Einen Priester, ja einen Priester! Sie würde sich ihm zu Füßen werfen, ihm alles gestehen, in Verzweiflung beichten, und er würde es einsehen, daß dieser Elende Susanne nicht heiraten konnte und würde es hindern.
Sie mußte einen Priester haben, sofort! Aber wo sollte sie einen finden? Wohin gehen? Doch so konnte sie es nicht aushalten.
Da erschien vor ihr wie eine Vision das ernste Antlitz des Jesus auf dem Meere. Sie erblickte ihn vor sich, als sähe sie das Bild, er rief sie und sprach also zu ihr:
– Komm zu mir, kniee nieder zu meinen Füßen, ich will Dich trösten und Dir sagen, was Du zu thun hast!
Sie nahm ihr Licht und ging hinunter in das Palmenhaus. Der Jesus war ganz am Ende in einem kleinen Raum, den eine Glasthür abschloß, damit die Nässe dem Bild nicht schaden sollte. Das machte den Eindruck einer Kapelle in einem Walde seltener Bäume.
Als Frau Walter in den Wintergarten trat, den sie nur in voller Beleuchtung gesehen, war sie erschrocken über das tiefe Dunkel. Die mächtigen Pflanzen des Südens strömten berückende Düfte aus, und da die Thüren nicht mehr offen waren, konnte man in der Luft dieses seltsamen Waldes, der unter einer Glashalle verschlossen lag, nur mühsam atmen, und das Atmen berauschte, verwirrte, that wohl und weh und hatte etwas von entnervender Wollust und vom Sterben.
Die arme Frau ging in tiefer Bewegung langsam dahin durch das Dunkel, in dem beim Hin-und Herflackern des Lichtes die Pflanzen riesige Größe gewannen, wie mächtige Ungetüme, wie seltsame Verzerrungen.
Plötzlich gewahrte sie das Bild, sie öffnete die Thür, die sie von ihm trennte, und fiel auf die Kniee.
Zuerst betete sie wie wahnsinnig, stammelte Worte der Liebe, der Leidenschaft, der Verzweiflung. Als sie dann ruhiger ward, blickte sie auf und blieb erstarrt vor Angst. Beim zitternden Schein des einzigen Lichts, das nur schwach von unten auf das Jesusantlitz fiel, sah es dem Liebling so ähnlich, daß es nicht mehr der Gott war, sondern der Geliebte, der sie anblickte. Es waren seine Augen, seine Stirn, seine Züge, sein kalter hochmütiger Ausdruck.
Sie stammelte:
– Jesus, Jesus, Jesus! – Und das Wort »Georg« kam ihr auf die Lippen. Plötzlich dachte sie daran, daß in diesem Augenblick vielleicht Georg bei ihrer Tochter weilte, allein mit ihr, irgendwo in einem Zimmer. Er mit Susanne!
Sie wiederholte: »Jesus, Jesus, Jesus!« Aber sie dachte an die beiden, an ihre Tochter und ihren Geliebten. Ja, sie waren allein in einem Raum … und es war Nacht. Sie sah sie, sah sie so deutlich vor sich, daß sie sich hier an Stelle des Bildes vor ihr erhoben. Sie lächelten sich an, sie küßten sich, das Zimmer war dunkel, das Bett abgedeckt. Sie erhob sich, um auf sie zu zu gehen, ihre Tochter bei den Haaren zu fassen, sie dieser Umarmung zu entreißen; sie wollte sie an der Kehle packen, um sie zu würgen, ihre Tochter, die sie haßte, ihre Tochter, die sich diesem Manne überließ. Jetzt berührte sie sie, … ihre Hände trafen die Leinwand, heftig stieß sie gegen die Füße Christi.
Mit einem Schrei sank sie hinten über, fiel auf den Rücken und das umgestürzte Licht erlosch.
Was geschah dann? Lange träumte sie von seltsamen, schrecklichen Dingen. Immer kamen Susanne und Georg an ihr vorüber, Arm in Arm mit Jesus Christus, und er segnete ihre furchtbare Liebe.
Sie empfand, daß sie nicht in ihrem Zimmer war, sie wollte aufstehen, entfliehen, sie konnte es nicht. Sie war gelähmt, sodaß sie ihre Glieder nicht bewegen konnte und nur unbestimmte Gedanken hatte, von phantastischen entsetzlichen, unmöglichen Bildern gequält, einen Fiebertraum, den seltsamen und oft tötlichen Traum, den die einschläfernden Pflanzen des Südens in das Menschenhirn treiben, mit ihren phantastischen Formen und ihrem berauschenden Duft.
Als es Tag geworden, fand man Frau Walter besinnungslos, halb erstarrt vor »Jesus wandelt auf dem Meere«. Sie war so krank, daß man für ihr Leben fürchtete, und erst am Tage darauf kam sie wieder zur Besinnung. Dann fing sie an zu weinen.
Der Dienerschaft wurde das Verschwinden Susannes damit erklärt, daß man sie plötzlich ins Kloster geschickt, und Herr Walter beantwortete einen langen Brief Du Roys, indem er ihm die Hand seiner Tochter bewilligte.
Der Liebling hatte diesen Brief im Augenblick als er Paris verließ, in den Kasten geworfen, denn er hatte ihn am Abend der Entführung schon vorher geschrieben. Er sagte darin mit respektvollen Worten, daß er das junge Mädchen schon seit langer Zeit liebe, daß zwischen ihnen nie ein Einverständnis stattgefunden, aber da sie zu ihm gekommen sei aus freiem Antriebe und gesagt habe: »Ich will Deine Frau werden,« er das Recht zu haben meine, sie zu behalten, sie sogar zu verstecken, bis er eine Antwort der Eltern erhalten, deren Zustimmung für ihn sogar einen geringern Wert besäße, als der Wille seiner Braut.
Er bat, Herr Walter möge postlagernd antworten; ein Freund würde ihm den Brief zukommen lassen.
Als er erlangt hatte, was er wollte, brachte er Susanne nach Paris zurück und schickte sie zu ihren Eltern. Er selbst blieb einige Zeit dem Hause fern.
Sie hatten sechs Tage in La Roche-Guyon am Ufer der Seine zugebracht. Das junge Mädchen hatte sich noch nie so gut unterhalten. Sie hatte sich als Landmädchen verkleidet. Da er sie für seine Schwester ausgab, lebten sie in freier und keuscher Intimität wie ein paar zärtliche Kameraden. Er hielt es für klug, sie nicht zu berühren. Am Morgen, nach ihrer Ankunft, hatte er ihr Wäsche gekauft und bäuerliche Kleidung, und sie vergnügte sich mit Angeln, einen Riesenstrohhut mit einem Strauß Feldblumen auf dem Kopf. Sie fand die Gegend reizend, es gab da einen alten Turm und ein altes Schloß, wo wundervolle Stickereien zu sehen waren.
Georg trug einen Matrosenkittel, den er dort bei einem Kaufmann erworben und machte mit Susanne zu Fuß oder zu Boot Ausflüge längs der Ufer. Zitternd umarmten sie sich immerfort, sie unschuldig, er nahe daran seine Zurückhaltung zu verlieren.
Aber er wußte sich zu beherrschen, und als er zu ihr sagte:
–