Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
Rache, gegen welche es keine Wehrmauer giebt, da Todesfurcht den Rächer nicht abschreckt, jeden künftigenFrevler schrecken. Der Wille zum Leben, obwohl sich noch bejahend, hängt hier nicht mehr an der einzelnen Erscheinung, dem Individuo, sondern umfaßt die Idee des Menschen und will ihre Erscheinung rein erhalten von solchem Ungeheuern, empörenden Unbild. Es ist ein seltener, bedeutungsvoller, ja erhabener Charakterzug, durch welchen der Einzelne sich opfert, indem er sich zum Arm der ewigen Gerechtigkeit zu machen strebt, deren eigentliches Wesen er noch verkennt.
§ 65
Durch alle bisherigen Betrachtungen über das menschliche Handeln haben wir die letzte vorbereitet und uns die Aufgabe sehr erleichtert, die eigentliche ethische Bedeutsamkeit des Handelns, welche man im Leben durch die Worte gut und böse bezeichnet und sich dadurch vollkommen verständigt, zu abstrakter und philosophischer Deutlichkeit zu erheben und als Glied unsers Hauptgedankens nachzuweisen.
Ich will aber zuvörderst jene Begriffe gut und böse, welche von den philosophischen Schriftstellern unserer Tage, höchst wunderlicherweise, als einfache, also keiner Analyse fähige Begriffe behandelt werden, auf ihre eigentliche Bedeutung zurückführen; damit man nicht etwan in einem undeutlichen Wahn befangen bleibe, daß sie mehr enthalten, als wirklich der Fall ist, und an und für sich schon alles hier Nöthige besagten. Dies kann ich thun, weil ich selbst so wenig gesonnen bin, in der Ethik hinter dem Worte Gut einen Versteck zu suchen, als ich solchen früher hinter den Worten Schön und Wahr gesucht habe, um dann etwan durch ein angehängtes »heit«, das heut zu Tage eine besondere semnotês haben und dadurch in mehreren Fällen aushelfen soll, und durch eine feierliche Miene glauben zu machen, ich hätte durch Aussprechung solcher Worte mehr gethan, als drei sehr weite und abstrakte, folglich gar nicht inhaltsreiche Begriffe bezeichnen, welche sehr verschiedenen Ursprung und Bedeutung haben. Wem in der That, der sich mit den Schriften unserer Tage bekannt gemacht hat, sind nicht jene drei Worte, auf so treffliche Dinge sie ursprünglich auch weisen, doch endlich zum Ekel geworden, nachdem er tausend Mal sehn mußte, wie jeder zum Denken Unfähigste nur glaubt, mit weitem Munde und der Miene eines begeisterten Schaafes, jene drei Worte vorbringen zu dürfen, um große Weisheit geredet zu haben?
Die Erklärung des Begriffes wahr ist schon in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, Kap. 5, § 29 ff., gegeben. Der Inhalt des Begriffs schön hat durch unser ganzes drittes Buch zum ersten Mal seine eigentliche Erklärung gefunden. Jetzt wollen wir den Begriff gut auf seine Bedeutung zurückführen, was mit sehr Wenigem geschehn kann. Dieser Begriff ist wesentlich relativ und bezeichnet die Angemessenheit eines Objekts zu irgend einer bestimmten Bestrebung des Willens. Also Alles, was dem Willen in irgend einer seiner Aeußerungen zusagt, seinen Zweck erfüllt, das wird durch den Begriff gut gedacht, so verschieden es auch im Uebrigen seyn mag. Darum sagen wir gutes Essen, gute Wege, gutes Wetter, gute Waffen, gute Vorbedeutung u.s.w., kurz, nennen Alles gut, was gerade so ist, wie wir es eben wollen; daher auch dem Einen gut seyn kann, was dem Andern gerade das Gegentheil davon ist. Der Begriff des Guten zerfällt in zwei Unterarten: nämlich die der unmittelbar gegenwärtigen und die der nur mittelbaren, auf die Zukunft gehenden Befriedigung des jedesmaligen Willens: d.h. das Angenehme und das Nützliche. – Der Begriff des Gegentheils wird, so lange von nichterkennenden Wesen die Rede ist, durch das Wort schlecht, seltener und abstrakter durch Uebel ausgedrückt, welches also alles dem jedesmaligen Streben des Willens nicht Zusagende bezeichnet. Wie alle andern Wesen, die in Beziehung zum Willen treten können, hat man nun auch Menschen, die den gerade gewollten Zwecken günstig, förderlich, befreundet waren, gut genannt, in der selben Bedeutung und immer mit Beibehaltung des Relativen, welches sich z.B. in der Redensart zeigt: »Dieser ist mir gut, dir aber nicht.« Diejenigen aber, deren Charakter es mit sich brachte, überhaupt die fremden Willensbestrebungen als solche nicht zu hindern, vielmehr zu befördern, die also durchgängig hülfreich, wohlwollend, freundlich, wohlthätig waren, sind, wegen dieser Relation ihrer Handlungsweise zum Willen Anderer überhaupt, gute Menschen genannt worden. Den entgegengesetzten Begriff bezeichnet man im Deutschen und seit etwan hundert Jahren auch im Französischen, bei erkennenden Wesen (Thieren und Menschen) durch ein anderes Wort als bei erkenntnißlosen, nämlich durch böse, méchant, während in fast allen andern Sprachen dieser Unterschied nicht Statt findet und kakos, malus, cattivo, bad von Menschen wie von leblosen Dingen gebraucht werden, welche den Zwecken eines bestimmten individuellen Willens entgegen sind. Also ganz und gar vom passiven Theil des Guten ausgegangen, konnte die Betrachtung erst später auf den aktiven übergehn und die Handlungsweise des gut genannten Menschen nicht mehr in Bezug auf Andere, sondern auf ihn selbst untersuchen, besonders sich die Erklärung aufgebend, theils der rein objektiven Hochachtung, die sie in Andern, theils der eigenthümlichen Zufriedenheit mit sich selbst, die sie in ihm offenbar hervorbrachte, da er solche sogar mit Opfern anderer Art erkaufte; so wie auch im Gegentheil des innern Schmerzes, der die böse Gesinnung begleitete, so viel äußere Vortheile sie auch Dem brachte, der sie gehegt. Hieraus entsprangen nun die ethischen Systeme, sowohl philosophische, als auf Glaubenslehren gestützte. Beide suchten stets die Glücksäligkeit mit der Tugend irgendwie in Verbindung zu setzen, die ersteren entweder durch den Satz des Widerspruchs, oder auch durch den des Grundes, Glücksäligkeit also entweder zum Identischen, oder zur Folge der Tugend zu ma chen, immer sophistisch: die letzteren aber durch Behauptung anderer Welten, als die der Erfahrung möglicherweise bekannte.91 Hingegen wird, unserer Betrachtung zufolge, sich das innere Wesen der Tugend ergeben als ein Streben in ganz entgegengesetzter Richtung als das nach Glücksäligkeit, d.h. Wohlseyn und Leben.
Dem Obigen zufolge ist das Gute, seinem Begriffe nach, tôn pros ti, also jedes Gute wesentlich relativ: denn es hat sein Wesen nur in seinem Verhältniß zu einem begehrenden Willen. Absolutes Gut ist demnach ein Widerspruch: höchstes Gut, summum bonum, bedeutet das Selbe, nämlich eigentlich eine finale Befriedigung des Willens, nach welcher kein neues Wollen einträte, ein letztes Motiv, dessen Erreichung ein unzerstörbares Genügen des Willens gäbe. Nach unserer bisherigen Betrachtung in diesem vierten Buch ist dergleichen nicht denkbar. Der Wille kann so wenig durch irgend eine Befriedigung aufhören stets wieder von Neuem zu wollen, als die Zeit enden oder anfangen kann: eine dauernde, sein Streben vollständig und auf immer befriedigende Erfüllung giebt es für ihn nicht. Er ist das Faß der Danaiden: es giebt kein höchstes Gut, kein absolutes Gut für ihn; sondern stets nur ein einstweiliges. Wenn es indessen beliebt, um einem alten Ausdruck, den man aus Gewohnheit nicht ganz abschaffen möchte, gleichsam als emeritus, ein Ehrenamt zu geben; so mag man, tropischerweise und bildlich, die gänzliche Selbstaufhebung und Verneinung des Willens, die wahre Willenslosigkeit, als welche allein den Willensdrang für immer stillt und beschwichtigt, allein jene Zufriedenheit giebt, die nicht wieder gestört werden kann, allein welterlösend ist, und von der wir jetzt bald, am Schluß unserer ganzen Betrachtung, handeln werden, – das absolute Gut, das summum bonum nennen, und sie ansehn als das einzige radikale Heilmittel der Krankheit, gegen welche alle andern Güter, nämlich alle erfüllten Wünsche und alles erlangte Glück, nur Palliativmittel, nur Anodyna sind. In diesem Sinne entspricht das Griechische telos, wie auch finis bonorum, der Sache sogar noch besser. – So viel von den Worten Gut und Böse; jetzt aber zur Sache.
Wenn ein Mensch, sobald Veranlassung daist und ihn keine äußere Macht abhält, stets geneigt ist Unrecht zu thun, nennen wir ihn böse. Nach unserer Erklärung des Unrechts heißt dieses, daß ein solcher nicht allein den Willen zum Leben, wie er in seinem Leibe erscheint, bejaht; sondern in dieser Bejahung so weit geht, daß er den in andern Individuen erscheinenden Willen verneint; was sich darin zeigt, daß er ihre Kräfte zum Dienste seines Willens verlangt und ihr Daseyn zu vertilgen sucht, wenn sie den Bestrebungen seines Willens entgegenstehn. Die letzte Quelle hievon ist ein hoher Grad des Egoismus, dessen Wesen oben auseinandergesetzt ist. Zweierlei ist hier sogleich offenbar: erstlich, daß in einem solchen Menschen ein überaus heftiger, weit über die Bejahung seines eigenen Lebens hinausgehender Wille