Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
Fichte; was er nur konnte, weil es ihm nicht um die Wahrheit zu thun war, sondern um Aufsehn, zur Beförderung seiner persönlichen Zwecke. Demnach war er dreist und gedankenlos genug, das Ding an sich ganz abzuleugnen und ein System aufzustellen, in welchem nicht, wie bei Kant, das bloß Formale der Vorstellung, sondern auch das Materiale, der gesammte Inhalt derselben, vorgeblich a priori aus dem Subjekt abgeleitet wurde. Er rechnete dabei ganz richtig auf die Urtheilslosigkeit und Niaiserie des Publikums, welches schlechte Sophismen, bloßen Hokuspokus und unsinniges Wischiwaschi für Beweise hinnahm; so daß es ihm glückte, die Aufmerksamkeit desselben von Kant auf sich zu lenken und der Deutschen Philosophie die Richtung zu geben, in welcher sie nachher von Schelling weiter geführt wurde und endlich in der unsinnigen Hegelschen Afterweisheit ihr Ziel erreichte.
Ich komme jetzt auf den schon oben berührten großen Fehler Kants zurück, daß er die anschauliche und die abstrakte Erkenntniß nicht gehörig gesondert hat, woraus eine heillose Konfusion entstanden ist, die wir jetzt näher zu betrachten haben. Hätte er die anschaulichen Vorstellungen von den bloß in abstracto gedachten Begriffen scharf getrennt, so würde er dieseBeiden auseinander gehalten und jedesmal gewußt haben, mit welchen von Beiden er es zu thun hätte. Dies ist nun leider nicht der Fall gewesen, obgleich der Vorwurf darüber noch nicht laut geworden, also vielleicht unerwartet ist. Sein »Objekt der Erfahrung«, davon er beständig redet, der eigentliche Gegenstand der Kategorien, ist nicht die anschauliche Vorstellung, ist aber auch nicht der abstrakte Begriff, sondern von Beiden verschieden, und doch Beides zugleich, und ein völliges Unding. Denn es hat ihm, so unglaublich dies scheint, an Besonnenheit. oder aber an gutem Willen gefehlt, um hierüber mit sich selbst ins Reine zu kommen und sich und Andern deutlich zu erklären, ob sein »Gegenstand der Erfahrung, d.h. der durch Anwendung der Kategorien zu Stande kommenden Erkenntniß«, die anschauliche Vorstellung in Raum und Zeit (meine erste Klasse der Vorstellungen) ist, oder bloß der abstrakte Begriff. Ihm schwebt, so seltsam es auch ist, beständig ein Mittelding von Beiden vor, und daher kommt die unsälige Verwirrung, die ich jetzt ans Licht ziehn muß: zu welchem Zweck ich die ganze Elementarlehre im Allgemeinen durchzugehn habe.
Die transscendentale Aesthetik ist ein so überaus verdienstvolles Werk, daß es allein hinreichen könnte, Kants Namen zu verewigen. Ihre Beweise haben so volle Ueberzeugungskraft, daß ich die Lehrsätze derselben den unumstößlichen Wahrheiten beizähle, wie sie ohne Zweifel auch zu den folgenreichsten gehören, mithin als das Seltenste auf der Welt, nämlich eine wirkliche, große Entdeckung in der Metaphysik, zu betrachten sind. Die von ihm streng bewiesene Thatsache, daß ein Theil unserer Erkenntnisse uns a priori bewußt ist, läßt gar keine andere Erklärung zu, als daß diese die Formen unsers Intellekts ausmachen: ja, dies ist weniger eine Erklärung, als eben nur der deutliche Ausdruck der Thatsache selbst. Denn a priori bedeutet nichts Anderes, als »nicht auf dem Wege der Erfahrung gewonnen, also nicht von außen in uns gekommen«. Was nun aber, ohne von außen gekommen zu seyn, im Intellekt vorhanden ist, ist eben das ihm selbst ursprünglich Angehörige, sein eigenes Wesen. Besteht nun dies so in ihm selbst Vorhandene in der allgemeinen Art und Weise, wie alle seine Gegenstände ihm sich darstellen müssen; nun, so ist damit gesagt, daß es die Formen seines Erkennens sind, d.h. die ein für alle Mal festgestellte Art und Weise, wie er diese seine Funktion vollzieht. Demnach sind »Erkenntnisse a priori« und »selbsteigene Formen des Intellekts« im Grunde nur zwei Ausdrücke für die selbe Sache, also gewissermaaßen Synonyma.
Von den Lehren der transscendentalen Aesthetik wüßte ich daher nichts hinwegzunehmen, nur Einiges hinzuzusetzen. Besonders nämlich ist Kant mit seinen Gedanken nicht zu Ende gekommen darin, daß er nicht die ganze Eukleidische Demonstrirmethode verwarf, nachdem er doch S. 87; v, 120, gesagt hatte, alle geometrische Erkenntniß habe aus der Anschauung unmittelbare Evidenz. Es ist höchst merkwürdig, daß sogar einer seiner Gegner, und zwar der scharfsinnigste derselben, G. E. Schulze (Kritik der theoretischen Philosophie, 11, 241), den Schluß macht, daß aus Kants Lehre eine ganz andere Behandlung der Geometrie hervorgehn würde, als die wirklich übliche ist; wodurch er einen apagogischen Beweis gegen Kant zu führen vermeint, in der That aber gegen die Eukleidische Methode den Krieg anfängt, ohne es zu wissen. Ich berufe mich auf § 15 im ersten Buch gegenwärtiger Schrift.
Nach der in der transscendentalen Aesthetik gegebenen, ausführlichen Erörterung der allgemeinen Formen aller Anschauung muß man erwarten, doch einige Aufklärung zu erhalten über den Inhalt derselben, über die Art wie die empirische Anschauung in unser Bewußtsein kommt, wie die Erkenntniß dieser ganzen, für uns so realen und so wichtigen Welt in uns entsteht. Allein darüber enthält die ganze Lehre Kants eigentlich nichts weiter, als den oft wiederholten, nichtssagenden Ausdruck: »Das Empirische der Anschauung wird von außen gegeben.« – Dieserhalb gelangt Kant denn auch hier von den reinen Formen der Anschauung, durch einen Sprung, zum Denken, zur transscendentalen Logik. Gleich am Eingange derselben (Kritik der reinen Vernunft, S. 50; v, 74), wo Kant den materialen Gehalt der empirischen Anschauung zu berühren nicht umhin kann, thut er den ersten falschen Schritt, begeht das prôton pseudos. »Unsere Erkenntniß«, sagt er, »hat zwei Quellen, nämlich Receptivität der Eindrücke und Spontaneität der Begriffe: die erste ist die Fähigkeit Vorstellungen zu empfangen, die zweite die, einen Gegenstand durch diese Vorstellungen zu erkennen: durch die erste wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweite wird er gedacht.« – Das ist falsch: denn danach wäre der Eindruck, für den allein wir bloße Receptivität haben, der also von außen kommt und allein eigentlich »gegeben« ist, schon eine Vorstellung, ja sogar schon ein Gegenstand. Er ist aber nichts weiter, als eine bloße Empfindung im Sinnesorgan, und erst durch Anwendung des Verstandes (d. i. des Gesetzes der Kausalität) und der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit wandelt unser Intellekt diese bloße Empfindung in eine Vorstellung um, welche nunmehr als Gegenstand in Raum und Zeit dasteht und von letzterem (dem Gegenstand) nicht anders unterschieden werden kann, als sofern man nach dem Dinge an sich fragt, außerdem aber mit ihm identisch ist. Diesen Hergang habe ich ausführlich dargelegt in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 21. Damit ist aber das Geschäft des Verstandes und der anschauenden Erkenntniß vollbracht, und es bedarf dazu keiner Begriffe und keines Denkens; daher diese Vorstellungen auch das Thier hat. Kommen Begriffe, kommt Denken hinzu, welchem allerdings Spontaneität beigelegt werden kann; so wird die anschauende Erkenntniß gänzlich verlassen, und eine völlig andere Klasse von Vorstellungen, nämlich nichtanschauliche, abstrakte Begriffe, tritt ins Bewußtsein: dies ist die Thätigkeit der Vernunft, welche Jedoch den ganzen Inhalt ihres Denkens allein aus der diesem vorhergegangenen Anschauung und Vergleichung desselben mit andern Anschauungen und Begriffen hat. So aber bringt Kant das Denken schon in die Anschauung und legt den Grund zu der heillosen Vermischung der intuitiven und abstrakten Erkenntniß, welche zu rügen ich hier beschäftigt bin. Er läßt die Anschauung, für sich genommen, verstandlos, rein sinnlich, also ganz passiv seyn, und erst durch das Denken (Verstandeskategorie) einen Gegenstand aufgefaßt werden: so bringt er das Denken in die Anschauung. Dann ist aber wiederum der Gegenstand des Denkens ein einzelnes, reales Objekt; wodurch das Denken seinen wesentlichen Charakter der Allgemeinheit und Abstraktion einbüßt und statt allgemeiner Begriffe einzelne Dinge zum Objekt erhält, wodurch er wieder das Anschauen in das Denken bringt. Daraus entspringt die besagte heillose Vermischung, und die Folgen dieses ersten falschen Schrittes erstrecken sich über seine ganze Theorie des Erkennens. Durch das Ganze derselben zieht sich die gänzliche Vermischung der anschaulichen Vorstellung mit der abstrakten zu einem Mittelding von beiden, welches er als den Gegenstand der Erkenntniß durch den Verstand und dessen Kategorien darstellt und diese Erkenntniß Erfahrung nennt. Es ist schwer zu glauben, daß Kant selbst sich etwas völlig Bestimmtes und eigentlich Deutliches bei diesem Gegenstand des Verstandes gedacht habe: dieses werde ich jetzt beweisen, durch den Ungeheuern Widerspruch, der durch die ganze transscendentale Logik geht und die eigentliche Quelle der Dunkelheit ist, die sie umhüllt.
Nämlich in der »Kritik der reinen Vernunft«, S. 67-69; v, 92-94; S. 89, 90; v, 122, 123; ferner v, 135, 139, 153, wiederholt er und schärft ein: der Verstand sei kein Vermögen der Anschauung, seine Erkenntniß sei nicht intuitiv, sondern diskursiv; der Verstand sei das Vermögen zu urtheilen (S. 69, v, 94), und ein Unheil sei mittelbare Erkenntniß, Vorstellung einer Vorstellung (S. 68;