Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
in Zeit und Raum mit allem Uebrigen ist ein bloßes Zusammentreffen, ohne nothwendige Verbindung: daher auch die Wörter Zufall, symptôma, contingens. So wenig daher, wie ein absolut Nothwendiges, ist ein absolut Zufälliges denkbar. Denn dieses Letztere wäre eben ein Objekt, welches zu keinem andern im Verhältniß der Folge zum Grunde stände. Die Unvorstellbarkeit eines solchen ist aber gerade der negativ ausgedrückte Inhalt des Satzes vom Grunde, welcher also erst umgestoßen werden müßte, um ein absolut Zufälliges zu denken: dieses selbst hätte aber alsdann auch alle Bedeutung verloren, da der Begriff des Zufälligen solche nur in Beziehung auf jenen Satz hat, und bedeutet, daß zwei Objekte nicht im Verhältniß von Grund und Folge zu einander stehn.
In der Natur, sofern sie anschauliche Vorstellung ist, ist Alles was geschieht nothwendig: denn es geht aus seiner Ursache hervor. Betrachten wir aber dieses Einzelne in Beziehung auf das Uebrige, welches nicht seine Ursache ist; so erkennen wir es als zufällig: dies ist aber schon eine abstrakte Reflexion. Abstrahiren wir nun ferner, bei einem Objekt der Natur, ganz von seinem Kausalverhältniß zu dem Uebrigen, also von seiner Nothwendigkeit und Zufälligkeit; so befaßt diese Art von Erkenntniß der Begriff des Wirklichen, bei welchem man nur die Wirkung betrachtet, ohne sich nach der Ursache umzusehn, in Beziehung auf welche man sie sonst nothwendig, in Beziehung auf alles Uebrige zufällig nennen müßte. Dieses Alles beruht zuletzt darauf, daß die Modalität des Unheils nicht sowohl die objektive Beschaffenheit der Dinge, als das Verhältniß unserer Erkenntniß zu derselben bezeichnet. Da aber in der Natur Jedes aus einer Ursache hervorgeht; so ist jedes Wirkliche auch nothwendig; aber wieder auch nur sofern es zu dieser Zeit, an diesem Ort ist: denn allein darauf erstreckt sich die Bestimmung durch das Gesetz der Kausalität. Verlassen wir aber die anschauliche Natur und gehn über zum abstrakten Denken; so können wir, in der Reflexion, alle Naturgesetze, die uns theils a priori, theils erst a posteriori bekannt sind, uns vorstellen, und diese abstrakte Vorstellung enthält Alles, was in der Natur zu irgend einer Zeit, an irgend einem Ort ist, aber mit Abstraktion von jedem bestimmten Ort und Zeit: und damit eben, durch solche Reflexion, sind wir ins weite Reich der Möglichkeit getreten. Was aber sogar auch hier keine Stelle findet, ist das Unmögliche. Es ist offenbar, daß Möglichkeit und Unmöglichkeit nur für die Reflexion, für die abstrakte Erkenntniß der Vernunft, nicht für die anschauliche Erkenntniß dasind; obgleich die reinen Formen dieser es sind, welche der Vernunft die Bestimmungen des Möglichen und Unmöglichen an die Hand geben. Je nachdem die Naturgesetze, von denen wir beim Denken des Möglichen und Unmöglichen ausgehn, a priori oder a posteriori erkannt sind, ist die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eine metaphysische, oder nur physische.
Aus dieser Darstellung, die keines Beweises bedarf, weil sie sich unmittelbar auf die Erkenntniß des Satzes vom Grunde und auf die Entwickelung der Begriffe des Nothwendigen, Wirklichen und Möglichen stützt, geht genugsam hervor, wie ganz grundlos Kants Annahme dreier besonderer Funktionen des Verstandes für jene drei Begriffe ist, und daß er hier abermals durch kein Bedenken sich hat stören lassen in der Durchführung seiner architektonischen Symmetrie.
Hiezu kommt nun aber noch der sehr große Fehler, daß er, freilich nach dem Vorgang der frühem Philosophie, die Begriffe des Nothwendigen und Zufälligen mit einander verwechselt hat. Jene frühere Philosophie nämlich hat die Abstraktion zu folgendem Mißbrauch benutzt. Es war offenbar, daß Das, dessen Grund gesetzt ist, unausbleiblich folgt, d.h. nicht nichtseyn kann, also nothwendig ist. An diese letzte Bestimmung aber hielt man sich ganz allein und sagte: nothwendig ist, was nicht anders seyn kann, oder dessen Gegentheil unmöglich. Man ließ aber den Grund und die Wurzel solcher Nothwendigkeit aus der Acht, übersah die daraus sich ergebende Relativität aller Nothwendigkeit und machte dadurch die ganz undenkbare Fiktion von einem absolut Nothwendigen, d.h. von einem Etwas, dessen Daseyn so unausbleiblich wäre, wie die Folge aus dem Grunde, das aber doch nicht Folge aus einem Grunde wäre und daher von nichts abhienge; welcher Beisatz eben eine absurde Petition ist, weil sie dem Satz vom Grunde widerstreitet. Von dieser Fiktion nun ausgehend erklärte man, der Wahrheit diametral entgegen, gerade Alles was durch einen Grund gesetzt ist, für das Zufällige, indem man nämlich auf das Relative seiner Nothwendigkeit sah und diese verglich mit jener ganz aus der Luft gegriffenen, in ihrem Begriff sich widersprechenden absoluten Nothwendigkeit105. Diese grundverkehrte Bestimmung des Zufälligen behält nun auch Kant bei und giebt sie als Erklärung: »Kritik der reinen Vernunft«, v, S. 289-291; 243. v, 301; 419, 458, 460. v, 447, 486, 488. Er geräth dabei sogar in den augenfälligsten Widerspruch mit sich selbst, indem er S. 301 sagt: »Alles Zufällige hat eine Ursache«, und hinzufügt: »Zufällig ist, dessen Nichtseyn möglich.« Was aber eine Ursache hat, dessen Nichtseyn ist durchaus unmöglich: also ist es nothwendig. – Uebrigens ist der Ursprung dieser ganzen falschen Erklärung des Nothwendigen und Zufälligen schon bei Aristoteles zu finden und zwar »De generatione et corruptione«, Lib. II, c. 9 et 11, wo nämlich das Nothwendige erklärt wird als Das, dessen Nichtseyn unmöglich ist: ihm steht gegenüber Das, dessen Seyn unmöglich ist; und zwischen diesen Beiden liegt nun Das, was seyn und auch nichtseyn kann, – also das Entstehende und Vergehende, und dieses wäre denn das Zufällige. Nach dem oben Gesagten ist es klar, daß diese Erklärung, wie so viele des Aristoteles, entstanden ist aus dem Stehnbleiben bei abstrakten Begriffen, ohne auf das Konkrete und Anschauliche zurückzugehn, in welchem doch die Quelle aller abstrakten Begriffe liegt, durch welches sie daher stets kontrolirt werden müssen. »Etwas, dessen Nichtseyn unmöglich ist« – läßt sich allenfalls in abstracto denken; aber gehn wir damit zum Konkreten, Realen, Anschaulichen, so finden wir nichts, den Gedanken, auch nur als ein Mögliches, zu belegen, – als eben nur die besagte Folge eines gegebenen Grundes, deren Nothwendigkeit jedoch eine relative und bedingte ist.
Ich füge bei dieser Gelegenheit noch einige Bemerkungen über jene Begriffe der Modalität hinzu. – Da alle Nothwendigkeit auf dem Satze vom Grunde beruht, und eben deshalb relativ ist; so sind alle apodiktischen Urtheile ursprünglich und ihrer letzten Bedeutung nach hypothetisch. Sie werden kategorisch nur durch den Zutritt einer assertorischen Minor, also im Schlußsatz. Ist diese Minor noch unentschieden, und wird diese Unentschiedenheit ausgedrückt; so giebt dieses das problematische Urtheil.
Was im Allgemeinen (als Regel) apodiktisch ist (ein Naturgesetz), ist in Bezug auf einen einzelnen Fall immer nur problematisch, weil erst die Bedingung wirklich eintreten muß, die den Fall unter die Regel setzt. Und umgekehrt, was im Einzelnen als solches nothwendig (apodiktisch) ist (jede einzelne Veränderung, nothwendig durch ihre Ursache), ist überhaupt und allgemein ausgesprochen wieder nur problematisch; weil die eingetretene Ursache nur den einzelnen Fall traf, und das apodiktische, immer hypothetische Unheil stets nur allgemeine Gesetze aussagt, nicht unmittelbar einzelne Fälle. – Dieses Alles hat seinen Grund darin, daß die Möglichkeit nur im Gebiet der Reflexion und für die Vernunft daist, das Wirkliche im Gebiet der Anschauung und für den Verstand; das Nothwendige für Beide. Sogar ist eigentlich der Unterschied zwischen nothwendig, wirklich und möglich nur in abstracto und dem Begriffe nach vorhanden; in der realen Welt hingegen fallen alle Drei in Eins zusammen. Denn Alles, was geschieht, geschieht nothwendig; weil es aus Ursachen geschieht, diese aber selbst wieder Ursachen haben; so daß sämmtliche Hergänge der Welt, große wie kleine, eine strenge Verkettung des nothwendig Eintretenden sind. Demgemäß ist alles Wirkliche zugleich eine Nothwendiges, und in der Realität zwischen Wirklichkeit und Nothwendigkeit kein Unterschied; und eben so keiner zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit: denn was nicht geschehn, d.h. nicht wirklich geworden ist, war auch nicht möglich; weil die Ursachen, ohne welche es nimmermehr eintreten konnte, selbst nicht eingetreten sind, noch eintreten konnten, in der großen Verkettung der Ursachen: es war also ein Unmögliches. Jeder Vorgang ist demnach entweder nothwendig, oder unmöglich. Dieses Alles jedoch gilt bloß von der empirisch realen Welt, d.h. dem Komplex der einzelnen Dinge, also vom ganz Einzelnen als solchem. Betrachten wir hingegen, mittelst der Vernunft, die Dinge im Allgemeinen, sie in abstracto auffassend; so treten Nothwendigkeit, Wirklichkeit und Möglichkeit wieder aus einander: wir erkennen dann alles den unserm Intellekt angehörenden Gesetzen a priori Gemäße als überhaupt möglich; das den empirischen Naturgesetzen Entsprechende als in dieser Welt möglich, auch wenn