Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
zwischen zwei Gränzen, der des Kleinsten (Atom) und der des Größten (Weltgränzen in Zeit und Raum) gedacht wird. Diese müssen nun aus der Form des hypothetischen Schlusses hervorgehn. Dabei ist an sich kein sonderlicher Zwang nöthig. Denn das hypothetische Urtheil hat seine Form vom Satze des Grundes, und aus der besinnungslosen, unbedingten Anwendung dieses Satzes und sodann beliebiger Beiseitelegung desselben entstehn in der That alle jene sogenannten Ideen, nicht die kosmologischen allein: nämlich dadurch, daß, jenem Satze gemäß, immer nur die Abhängigkeit eines Objekts vom andern gesucht wird, bis endlich die Ermüdung der Einbildungskraft ein Ziel der Reise schafft: wobei aus den Augen gelassen wird, daß jedes Objekt, ja die ganze Reihe derselben und der Satz vom Grunde selbst in einer viel nähern und großem Abhängigkeit steht, nämlich in der vom erkennenden Subjekt, für dessen Objekte, d.h. Vorstellungen, jener Satz allein gültig ist, indem deren bloße Stelle in Raum und Zeit durch ihn bestimmt wird. Da also die Erkenntnißform, aus welcher hier bloß die kosmologischen Ideen abgeleitet werden, nämlich der Satz vom Grunde, der Ursprung aller vernünftelnden Hypostasen ist; so bedarf es dazu diesmal keiner Sophismen; desto mehr aber, um jene Ideen nach den vier Titeln der Kategorien zu klassificiren.
1) Die kosmologischen Ideen in Hinsicht auf Zeit und Raum, also von den Gränzen der Welt in Beiden, werden kühn angesehn als bestimmt durch die Kategorie der Quantität, mit der sie offenbar nichts gemein haben, als die in der Logik zufällige Bezeichnung des Umfangs des Subjektbegriffes im Urtheil durch das Wort Quantität, einen bildlichen Ausdruck, statt dessen eben so gut ein anderer hätte gewählt werden können. Aber für Kants Liebe zur Symmetrie ist dies genug, um den glücklichen Zufall dieser Namengebung zu benutzen und die transscendenten Dogmen von der Weltausdehnung daran zu knüpfen.
2) Noch kühner knüpft Kant an die Qualität, d.i. die Bejahung oder Verneinung in einem Urtheil, die transscendenten Ideen über die Materie, wobei nicht ein Mal eine zufällige Wortähnlichkeit zum Grunde liegt: denn gerade auf die Quantität und nicht auf die Qualität der Materie bezieht sich ihre mechanische (nicht chemische) Theilbarkeit. Aber, was noch mehr ist, diese ganze Idee von der Theilbarkeit gehört gar nicht unter die Folgerungen nach dem Satze vom Grunde, aus welchem, als dem Inhalt der hypothetischen Form, doch alle kosmologischen Ideen fließen sollen. Denn die Behauptung, auf welcher Kant dabei fußet, daß das Verhältniß der Theile zum Ganzen das der Bedingung zum Bedingten, also ein Verhältniß gemäß dem Satz vom Grunde sei, ist ein zwar feines, aber doch grundloses Sophisma. Jenes Verhältniß stützt sich vielmehr auf den Satz vom Widerspruch. Denn das Ganze ist nicht durch die Theile, noch diese durch jenes; sondern Beide sind nothwendig zusammen, weil sie Eines sind und ihre Trennung nur ein willkürlicher Akt ist. Darauf beruht es, nach dem Satz vom Widerspruch, daß, wenn die Theile weggedacht werden, auch das Ganze weggedacht ist, und umgekehrt; keineswegs aber darauf, daß die Theile als Grund das Ganze als Folge bedingten und wir daher, nach dem Satz vom Grunde, nothwendig getrieben würden, die letzten Theile zu suchen, um daraus, als seinem Grunde, das Ganze zu verstehn. – So große Schwierigkeiten überwältigt hier die Liebe zur Symmetrie.
3) Unter den Titel der Relation würde nun ganz eigentlich die Idee von der ersten Ursache der Welt gehören. Kant muß aber diese für den vierten Titel, den der Modalität, aufbewahren, für den sonst nichts übrig bliebe und unter welchen er jene Idee dann dadurch zwängt, daß das Zufällige (d.h. nach seiner, der Wahrheit diametral entgegengesetzten Erklärung, jede Folge aus ihrem Grunde) durch die erste Ursache zum Nothwendigen wird. – Als dritte Idee tritt daher, zu Gunsten der Symmetrie, hier der Begriff der Freiheit auf, womit aber eigentlich doch nur die nun ein Mal allein hieher passende Idee von der Weltursache gemeint ist, wie die Anmerkung zur Thesis des dritten Widerstreits deutlich aussagt. Der dritte und vierte Widerstreit sind also im Grunde tautologisch.
Ueber alles dieses aber finde und behaupte ich, daß die ganze Antinomie eine bloße Spiegelfechterei, ein Scheinkampf ist. Nur die Behauptungen der Antithesen beruhen wirklich auf den Formen unsers Erkenntnißvermögens, d.h. wenn man es objektiv ausdrückt, auf den nothwendigen, a priori gewissen, allgemeinsten Naturgesetzen. Ihre Beweise allein sind daher aus objektiven Gründen geführt. Hingegen haben die Behauptungen und Beweise der Thesen keinen andern als subjektiven Grund, beruhen ganz allein auf der Schwäche des vernünftelnden Individuums, dessen Einbildungskraft bei einem unendlichen Regressus ermüdet und daher demselben durch willkürliche Voraussetzungen, die sie bestens zu beschönigen sucht, ein Ende macht, und dessen Urtheilskraft noch überdies durch früh und fest eingeprägte Vorurtheile an dieser Stelle gelähmt ist. Dieserwegen ist der Beweis für die Thesis in allen vier Widerstreiten überall nur ein Sophisma; statt daß der für die Antithesis eine unvermeidliche Folgerung der Vernunft aus den uns a priori bewußten Gesetzen der Welt als Vorstellung ist. Auch hat Kant nur mit vieler Mühe und Kunst die Thesis aufrecht erhalten können und sie scheinbare Angriffe auf den mit ursprünglicher Kraft begabten Gegner machen lassen. Hiebei nun ist sein erster und durchgängiger Kunstgriff dieser, daß er nicht, wie man thut, wenn man sich der Wahrheit seines Satzes bewußt ist, den nervus argumentationis hervorhebt und so isolirt, nackt und deutlich, als nur immer möglich, vor die Augen bringt; sondern vielmehr führt er auf beiden Seiten denselben, unter einem Schwall überflüssiger und weitläuftiger Sätze verdeckt und eingemengt ein.
Die hier nun so im Widerstreit auftretenden Thesen und Antithesen erinnern an den dikaios und adikos logos, welche Sokrates in den Wolken des Aristophanes streitend auftreten läßt. Jedoch erstreckt sich diese Aehnlichkeit nur auf die Form, nicht aber auf den Inhalt, wie wohl Diejenigen gern behaupten möchten, welche diesen spekulativesten aller Fragen der theoretischen Philosophie einen Einfluß auf die Moralität zuschreiben und daher im Ernst die These für den dikaios die Antithese aber für den adikos logos halten. Auf solche beschränkte und verkehrte kleine Geister Rücksicht zu nehmen, werde ich mich hier jedoch nicht bequemen und nicht ihnen, sondern der Wahrheit die Ehre gebend, die von Kant geführten Beweise der einzelnen Thesen als Sophismen aufdecken, während die der Antithesen ganz ehrlich, richtig und aus objektiven Gründen geführt sind. – Ich setze voraus, daß man bei dieser Prüfung die Kantische Antinomie selbst immer vor sich habe.
Wollte man den Beweis der Thesis im ersten Widerstreit gelten lassen; so bewiese er zu viel, indem er eben so gut auf die Zeit selbst, als auf den Wechsel in ihr anwendbar wäre und daher beweisen würde, daß die Zeit selbst: angefangen haben muß, was widersinnig ist. Uebrigens besteht das Sophisma darin, daß statt der Anfangslosigkeit der Reihe der Zustände, wovon zuerst die Rede, plötzlich die Endlosigkeit (Unendlichkeit) derselben untergeschoben und nun bewiesen wird, was Niemand bezweifelt, daß dieser das Vollendetseyn logisch widerspreche und dennoch jede Gegenwart das Ende der Vergangenheit sei. Das Ende einer anfangslosen Reihe läßt sich aber immer denken, ohne ihrer Anfangslosigkeit Abbruch zu thun: wie sich auch umgekehrt der Anfang einer endlosen Reihe denken läßt. Gegen das wirklich richtige Argument der Antithesis aber, daß die Veränderungen der Welt rückwärts eine unendliche Reihe von Veränderungen schlechthin nothwendig voraussetzen, wird gar nichts vorgebracht. Die Möglichkeit, daß die Kausalreihe dereinst in einen absoluten Stillstand endige, können wir denken; keineswegs aber die Möglichkeit eines absoluten Anfangs108.
In Hinsicht auf die räumlichen Gränzen der Welt wird bewiesen, daß wenn sie ein gegebenes Ganzes heißen soll, sie nothwendig Gränzen haben muß: die Konsequenz ist richtig, nur war eben ihr vorderes Glied das, was zu beweisen war, aber unbewiesen bleibt. Totalität setzt Gränzen, und Gränzen setzen Totalität voraus: Beide zusammen werden hier aber willkürlich vorausgesetzt. – Die Antithesis liefert für diesen zweiten Punkt jedoch keinen so befriedigenden Beweis, als für den ersten, weil das Gesetz der Kausalität bloß in Hinsicht auf die Zeit, nicht auf den Raum, nothwendige Bestimmungen an die Hand giebt und uns zwar a priori die Gewißheit ertheilt, daß keine erfüllte Zeit je an eine ihr vorhergegangene leere gränzen und keine Veränderung die erste seyn konnte, nicht aber darüber, daß ein erfüllter Raum keinen leeren neben sich haben kann. Insofern wäre über Letzteres keine Entscheidung a priori möglich. Jedoch liegt die Schwierigkeit, die Welt im Räume als begränzt zu denken, darin, daß der Raum selbst nothwendig unendlich ist, und daher eine begränzte endliche Welt in ihm, so groß sie