Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
gänzlich abgeschlossen. Nur die andere Seite unsers eigenen Wesens kann uns Aufschluß geben über die andere Seite des Wesens an sich der Dinge. Diesen Weg habe ich eingeschlagen. Einige Beschönigung gewinnt Kants von ihm selbst verpönter Schluß auf das Ding an sich jedoch durch Folgendes. Er setzt nicht, wie es die Wahrheit verlangte, einfach und schlechthin das Objekt als bedingt durch das Subjekt, und umgekehrt; sondern nur die Art und Weise der Erscheinung des Objekts als bedingt durch die Erkenntnißformen des Subjekts, welche daher auch a priori zum Bewußtsein kommen. Was nun aber, im Gegensatz hievon, bloß a posteriori erkannt wird, ist ihm schon unmittelbare Wirkung des Dinges an sich, welches nur im Durchgang durch jene a priori gegebenen Formen zur Erscheinung wird. Aus dieser Ansicht ist es einigermaaßen erklärlich, wie es ihm entgehn konnte, daß schon das Objektseyn überhaupt zur Form der Erscheinung gehört und durch das Subjektseyn überhaupt eben so wohl bedingt ist, als die Erscheinungsweise des Objekts durch die Erkenntnißformen des Subjekts, daß also, wenn ein Ding an sich angenommen werden soll, es durchaus auch nicht Objekt seyn kann, als welches er es jedoch immer voraussetzt, sondern ein solches Ding an sich in einem von der Vorstellung (dem Erkennen und Erkanntwerden) toto genere verschiedenen Gebiet liegen müßte, und es daher auch am wenigsten nach den Gesetzen der Verknüpfung der Objekte unter einander erschlossen werden könnte.
Mit der Nachweisung des Dinges an sich ist es Kanten gerade so gegangen, wie mit der der Apriorität des Kausalitätsgesetzes: Beide Lehren sind richtig, aber ihre Beweisführung falsch: sie gehören also zu den richtigen Konklusionen aus falschen Prämissen. Ich habe Beide beibehalten, jedoch sie auf ganz andere Weise und sicher begründet.
Das Ding an sich habe ich nicht erschlichen noch erschlossen, nach Gesetzen die es ausschließen, indem sie schon seiner Erscheinung angehören; noch bin ich überhaupt auf Umwegen dazu gelangt: vielmehr habe ich es unmittelbar nachgewiesen, da, wo es unmittelbar liegt, im Willen, der sich Jedem als das Ansich seiner eigenen Erscheinung unmittelbar offenbaret.
Und diese unmittelbare Erkenntniß des eigenen Willens ist es auch, aus der im menschlichen Bewußtsein der Begriff von Freiheit hervorgeht; weil aller dings der Wille als Weltschaffendes, als Ding an sich, frei vom Satz des Grundes und damit von aller Nothwendigkeit, also vollkommen unabhängig, frei, ja allmächtig ist. Doch gilt dies, der Wahrheit nach, nur vom Willen an sich, nicht von seinen Erscheinungen, den Individuen, die schon, eben durch ihn selbst, als seine Erscheinungen in der Zeit, unveränderlich bestimmt sind. Im gemeinen, nicht durch Philosophie geläuterten Bewußtseyn wird aber auch sogleich der Wille mit seiner Erscheinung verwechselt und was nur ihm zukommt, dieser beigelegt: wodurch der Schein der unbedingten Freiheit des Individuums entsteht. Spinoza sagt eben deswegen mit Recht, daß auch der geworfene Stein, wenn er Bewußtseyn hätte, glauben würde freiwillig zu fliegen. Denn allerdings ist das Ansich auch des Steines der alleinige freie Wille, aber, wie in allen seinen Erscheinungen, auch hier, wo er als Stein erscheint, schon völlig bestimmt. Doch von dem Allen ist im Haupttheile dieser Schrift schon zur Genüge geredet.
Kant, indem er diese unmittelbare Entstehung des Begriffs von Freiheit in jedem menschlichen Bewußtseyn verkennt und übersieht, setzt nun, S. 533; v, 561, den Ursprung jenes Begriffs in eine sehr subtile Spekulation, durch welche nämlich das Unbedingte, auf welches die Vernunft immer ausgehn soll, die Hypostasirung des Begriffs von Freiheit veranlaßt, und auf diese transscendente Idee der Freiheit soll sich allererst auch der praktische Begriff derselben gründen. In der Kritik der praktischen Vernunft, § 6, und S. 185 der vierten, S. 235 der Rosenkranzischen Ausgabe, leitet er diesen letztem Begriff jedoch wieder anders ab, daraus, daß der kategorische Imperativ ihn voraussetze: zum Behuf dieser Voraussetzung sei sonach jene spekulative Idee nur der erste Ursprung des Begriffs von Freiheit; hier aber erhalte er eigentlich Bedeutung und Anwendung. Beides ist jedoch nicht der Fall. Denn der Wahn einer vollkommenen Freiheit des Individuums in seinen einzelnen Handlungen ist am lebendigsten in der Ueberzeugung des rohesten Menschen, der nie nachgedacht hat, ist also auf keine Spekulation gegründet, wiewohl oft dahin hinübergenommen. Frei davon sind hingegen nur Philosophen und zwar die tiefsten, ebenfalls sind es auch die denkendesten und erleuchtetesten Schriftsteller der Kirche.
Allem Gesagten zufolge ist also der eigentliche Ursprung des Begriffs der Freiheit auf keine Weise wesentlich ein Schluß, weder aus der spekulativen Idee einer unbedingten Ursache, noch daraus, daß ihn der kategorische Imperativ voraussetze; sondern er entspringt unmittelbar aus dem Bewußtseyn, darin sich Jeder selbst, ohne Weiteres, als den Willen, d.h. als dasjenige, was als Ding an sich nicht den Satz vom Grunde zur Form hat und das selbst von nichts, von dem vielmehr alles andere abhängt, erkennt, nicht aber zugleich mit philosophischer Kritik und Besonnenheit sich, als schon in die Zeit eingetretene und bestimmte Erscheinung dieses Willens, man könnte sagen Willensakt, von jenem Willen zum Leben selbst unterscheidet, und daher, statt sein ganzes Daseyn als Akt seiner Freiheit zu erkennen, diese vielmehr in seinen einzelnen Handlungen sucht. Hierüber verweise ich auf meine Preisschrift von der Freiheit des Willens.
Hätte nun Kant, wie er hier vorgiebt und auch scheinbar bei früheren Gelegenheiten that, das Ding an sich bloß erschlossen und dazu mit der großen Inkonsequenz eines von ihm selbst durchaus verpönten Schlusses; – welch ein sonderbarer Zufall wäre es dann, daß er hier, wo er zum ersten Mal näher an das Ding an sich herangeht und es beleuchtet, in ihm sogleich den Willen erkennt, den freien, in der Welt sich nur durch zeitliche Erscheinungen kund gebenden Willen! – Ich nehme daher wirklich an, obwohl es nicht zu beweisen ist, daß Kant, so oft er vom Ding an sich redete, in der dunkelsten Tiefe seines Geistes, immer schon den Willen undeutlich dachte. Einen Beleg hiezu giebt, in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, S. XXVII und XXVIII, in der Rosenkranzischen Ausgabe S. 677 der Supplemente.
Uebrigens ist es eben diese beabsichtigte Auflösung des vorgeblichen dritten Widerstreits, welche Kanten Gelegenheit giebt, die tiefsten Gedanken seiner ganzen Philosophie sehr schön auszusprechen. So im ganzen »sechsten Abschnitt der Antinomie der reinen Vernunft«; vor allem aber die Auseinandersetzung des Gegensatzes zwischen empirischem und intelligibelem Charakter, S. 534-550; v, 562-578, welche ich dem Vortrefflichsten beizähle, das je von Menschen gesagt worden (als ergänzende Erläuterung dieser Stelle ist anzusehn eine ihr parallele in der »Kritik der praktischen Vernunft«, S. 169-179 der vierten, oder S. 224-231 der Rosenkranzischen Ausgabe). Es ist jedoch um so mehr zu bedauern, daß solches hier nicht am rechten Orte steht, sofern nämlich, als es theils nicht auf dem Wege gefunden ist, den die Darstellung angiebt und daher auch anders, als geschieht, abzuleiten wäre, theils auch nicht den Zweck erfüllt, zu welchem es dasteht, nämlich die Auflösung der vorgeblichen Antinomie. Es wird von der Erscheinung auf ihren intelligibeln Grund, das Ding an sich, geschlossen, durch den schon genugsam gerügten inkonsequenten Gebrauch der Kategorie der Kausalität über alle Erscheinung hinaus. Als dieses Ding an sich wird für diesen Fall des Menschen Wille (den Kant höchst unstatthaft, mit unverzeihlicher Verletzung alles Sprachgebrauchs, Vernunft betitelt) aufgestellt, mit Berufung auf ein unbedingtes Sollen, den kategorischen Imperativ, der ohne Weiteres postulirt wird.
Statt alles diesen nun wäre das lautere, offene Verfahren gewesen, unmittelbar vom Willen auszugehn, diesen nachzuweisen als das ohne alle Vermittelung erkannte Ansich unserer eigenen Erscheinung, und dann jene Darstellung des empirischen und intelligibeln Charakters zu geben, darzuthun, wie alle Handlungen, obwohl durch Motive necessitirt, dennoch, sowohl von ihrem Urheber, als vom fremden Beurtheiler, jenem selbst und allein, nothwendig und schlechthin zugeschrieben werden, als lediglich von ihm abhängend, dem sonach Schuld und Verdienst ihnen gemäß zuerkannt werden. – Dieses allein war der gerade Weg zur Erkenntniß Dessen, was nicht Erscheinung ist, folglich auch nicht nach den Gesetzen der Erscheinung gefunden wird, sondern Das ist, was durch die Erscheinung sich offenbart, erkennbar wird, sich objektivirt, der Wille zum Leben. Derselbe hätte sodann, bloß nach Analogie, als das Ansich jeder Erscheinung dargestellt werden müssen. Dann hätte aber freilich nicht (S. 546; v, 574) gesagt werden können, bei der leblosen, ja der thierischen Natur, sei kein Vermögen anders als sinnlich bedingt zu denken; womit in Kants Sprache eigentlich gesagt ist, die Erklärung nach dem Gesetze der Kausalität erschöpfe auch das Innerste Wesen jener Erscheinungen, wodurch sodann, sehr inkonsequent, das Ding an sich bei ihnen wegfällt. – Durch die unrechte Stelle und die ihr gemäße umgehende Ableitung, welche die Darstellung des Dinges an sich bei Kant erhalten hat,