Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
auch weil jeder Besitz und jedes Glück nur vom Zufall auf unbestimmte Zeit geliehn ist, und daher in der nächsten Stunde wieder zurückgefordert werden kann. Jeder Schmerz aber beruht auf dem Verschwinden eines solchen Wahns: Beide also entstehn aus fehlerhafter Erkenntniß: dem Weisen bleibt daher Jubel wie Schmerz immer fern, und keine Begebenheit stört seine ataraxia.
Diesem Geist und Zweck der Stoa gemäß, fängt Epiktet damit an und kommt beständig darauf zurück, als auf den Kern seiner Weisheit, daß man wohl bedenken und unterscheiden solle, was von uns abhängt und was nicht, daher auf Letzteres durchaus nicht Rechnung machen; wodurch man zuverlässig frei bleiben wird von allem Schmerz, Leiden und Angst. Was nun aber von uns abhängt, ist allein der Wille: und hier geschieht nun ein allmäliger Uebergang zur Tugendlehre, indem bemerkt wird, daß, wie die von uns nicht abhängige Außenwelt Glück und Unglück bestimmt, so aus dem Willen innere Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit uns selbst hervorgehe. Nachher aber ward gefragt, ob man den beiden ersteren oder den beiden letzteren die Namen bonum et malum beilegen solle? Das war eigentlich willkürlich und beliebig und that nichts zur Sache. Aber dennoch stritten hierüber unaufhörlich die Stoiker mit Peripatetikern und Epikuräern, unterhielten sich mit der unstatthaften Vergleichung zweier völlig inkommensurabeler Größen und den daraus hervorgehenden, entgegengesetzten, paradoxen Aussprüchen, die sie einander zuwarfen. Eine interessante Zusammenstellung dieser, von der stoischen Seite aus, liefern uns die Paradoxa des Cicero.
Zenon, der Stifter, scheint ursprünglich einen etwas andern Gang genommen zu haben. Der Ausgangspunkt war bei ihm dieser: daß man zur Erlangung des höchsten Gutes, d.h. der Glücksäligkeit durch Geistesruhe, übereinstimmend mit sich selbst leben solle.(homologoumenôs zên; touto d' esti kath hena logon kai symphônon zên. – Consonanter vivere: hoc est secundum unam rationem et concordem sibi vivere. Stob. Ecl. eth., L. II, c. 7, p. 132. Imgleichen: Aretên diathesin einai psyxês symphônon heautê peri holon ton bion. Virtutem esse animi affectionem secum per totam vitam consentientem, ibid., p. 104.) Nun war aber dieses allein dadurch möglich, daß man durchaus vernünftig, nach Begriffen, nicht nach wechselnden Eindrücken und Launen sich bestimmte; da aber nur die Maxime unsers Handelns, nicht der Erfolg, noch die äußern Umstände, in unserer Gewalt sind: so mußte man, um immer konsequent bleiben zu können, allein jene, nicht diese sich zum Zwecke machen; wodurch wieder die Tugendlehre eingeleitet wird.
Aber schon den unmittelbaren Nachfolgern des Zenon schien sein Moralprincip – übereinstimmend zu leben – zu formal und inhaltsleer. Sie gaben ihm daher materialen Gehalt, durch den Zusatz: »übereinstimmend mit der Natur zu leben« (homologoumenos tê physei zên); welches, wie Stobäos a.a.O. berichtet, zuerst vom Kleanthes hinzugesetzt wurde und die Sache sehr ins Weite schob, durch die große Sphäre des Begriffs und die Unbestimmtheit des Ausdrucks. Denn Kleanthes meinte die gesammte allgemeine Natur, Chrysippos aber die menschliche Natur insbesondere (Diog. Laert., 7, 89). Das dieser letzteren allein Angemessene sollte nachher die Tugend seyn, wie den thierischen Naturen Befriedigung thierischer Triebe, wodurch wieder gewaltsam zur Tugendlehre eingelenkt, und, es mochte biegen oder brechen, die Ethik durch die Physik begründet werden sollte. Denn die Stoiker giengen überall auf Einheit des Princips: wie denn auch Gott und die Welt bei ihnen durchaus nicht zweierlei war.
Die Stoische Ethik, im Ganzen genommen, ist in der That ein sehr schätzbarer und achtungswerther Versuch, das große Vorrecht des Menschen, die Vernunft, zu einem wichtigen und heilbringenden Zweck, zu benutzen, nämlich um ihn über die Leiden und Schmerzen, welchen jedes Leben anheimgefallen ist, hinauszuheben, durch eine Anweisung
»Qua ratione queas traducere leniter aevum: Ne te semper inops agitet vexetque cupido, Ne pavor et rerum mediocriter utilium spes.«
und ihn eben dadurch im höchsten Grade der Würde theilhaft zu machen, welche ihm, als vernünftigem Wesen, im Gegensatz des Thieres zusteht, und von der in diesem Sinn allerdings die Rede seyn kann, nicht in einem andern. – Diese meine Ansicht der Stoischen Ethik brachte es mit sich, daß sie hier bei Darstellung dessen, was die Vernunft ist und zu leisten vermag, erwähnt werden mußte. So sehr aber auch jener Zweck, durch Anwendung der Vernunft und durch eine bloß vernünftige Ethik in gewissem Grade erreichbar ist, wie denn auch die Erfahrung zeigt, daß jene rein vernünftigen Charaktere, die man gemeinhin praktische Philosophen nennt – und mit Recht, weil, wie der eigentliche, d.i. der theoretische Philosoph das Leben in den Begriff überträgt, sie den Begriff ins Leben übertragen, – wohl die glücklichsten sind; so fehlt dennoch sehr viel, daß etwas Vollkommenes in dieser Art zu Stande kommen und wirklich die richtig gebrauchte Vernunft uns aller Last und allen Leiden des Lebens entziehn und zur Glücksäligkeit führen könnte. Es liegt vielmehr ein vollkommener Widerspruch darin, leben zu wollen ohne zu leiden, welchen daher auch das oft gebrauchte Wort »säliges Leben« in sich trägt: dieses wird demjenigen gewiß einleuchtend seyn, der meine folgende Darstellung bis ans Ende gefaßt haben wird. Dieser Widerspruch offenbart sich auch schon in jener Ethik der reinen Vernunft selbst, dadurch, daß der Stoiker genöthigt ist, seiner Anweisung zum glücksäligen Leben (denn das bleibt seine Ethik immer) eine Empfehlung des Selbstmordes einzuflechten (wie sich unter dem prächtigen Schmuck und Geräth orientalischer Despoten auch ein kostbares Fläschchen mit Gift findet), für den Fall nämlich, wo die Leiden des Körpers, die sich durch keine Sätze und Schlüsse wegphilosophiren lassen, überwiegend und unheilbar sind, sein alleiniger Zweck, Glücksäligkeit, also doch vereitelt ist, und nichts bleibt, um dem Leiden zu entgehn, als der Tod, der aber dann gleichgültig, wie Jede andere Arzenei, zu nehmen ist. Hier wird ein starker Gegensatz offenbar, zwischen der Stoischen Ethik und allen jenen oben erwähnten, welche Tugend an sich und unmittelbar, auch mit den schwersten Leiden, zum Zweck machen und nicht wollen, daß man, um dem Leiden zu entfliehn, das Leben endige; obgleich keine von ihnen allen den wahren Grund zur Verwerfung des Selbstmordes auszusprechen wußte, sondern sie mühsam allerhand Scheingründe zusammensuchen: im vierten Buch wird jener Grund im Zusammenhang unserer Betrachtung sich ergeben. Aber obiger Gegensatz offenbart und bestätigt eben den wesentlichen, im Grundprincip liegenden Unterschied zwischen der Stoa, die eigentlich doch nur ein besonderer Eudämonismus ist, und jenen erwähnten Lehren, obgleich Beide oft in den Resultaten zusammentreffen und scheinbare Verwandtschaft haben. Der oben erwähnte innere Widerspruch aber, mit welchem die Stoische Ethik, selbst in ihrem Grundgedanken, behaftet ist, zeigt sich ferner auch darin, daß ihr Ideal, der Stoische Weise, in ihrer Darstellung selbst, nie Leben oder innere poetische Wahrheit gewinnen konnte, sondern ein hölzerner, steifer Gliedermann bleibt, mit dem man nichts anfangen kann, der selbst nicht weiß wohin mit seiner Weisheit, dessen vollkommene Ruhe, Zufriedenheit, Glücksäligkeit dem Wesen der Menschheit geradezu widerspricht und uns zu keiner anschaulichen Vorstellung davon kommen läßt. Wie ganz anders erscheinen, neben ihn gestellt, die Weltüberwinder und freiwilligen Büßer, welche die Indische Weisheit uns aufstellt und wirklich hervorgebracht hat, oder gar der Heiland des Christenthums, jene vortreffliche Gestalt, voll tiefen Lebens, von größter poetischer Wahrheit und höchster Bedeutsamkeit, die jedoch, bei vollkommener Tugend, Heiligkeit und Erhabenheit, im Zustande des höchsten Leidens vor uns steht30.
Zweites Buch
Der Welt als Wille erste Betrachtung:
Die Objektivation des Willens.
Nos habitat, non tartara, sed nec sidera coeli:
Spiritus, in nobis qui viget, illa facit .
§ 17
Wir haben im ersten Buche die Vorstellung nur als solche, also nur der allgemeinen Form nach, betrachtet. Zwar, was die abstrakte Vorstellung,