Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
Idee, welche, für die Erscheinung, die Form der Vielheit und Verschiedenheit angenommen hatte.43
Was nun, nach der oben gemachten Eintheilung, die zweite Art der Zweckmäßigkeit, die äußere betrifft, welche sich nicht in der innern Oekonomie der Organismen, sondern in der Unterstützung und Hülfe zeigt, welche sie von außen, sowohl von der unorganischen Natur, als einer vom andern erhalten; so findet dieselbe ihre Erklärung im Allgemeinen ebenfalls in der eben aufgestellten Erörterung, indem ja die ganze Welt, mit allen ihren Erscheinungen, die Objektität des einen und untheilbaren Willens ist, die Idee, welche sich zu allen andern Ideen verhält, wie die Harmonie zu den einzelnen Stimmen, daher jene Einheit des Willens sich auch in der Uebereinstimmung aller Erscheinungen desselben zu einander zeigen muß. Allein wir können diese Einsicht zu viel größerer Deutlichkeit erheben, wenn wir auf die Erscheinungen jener äußern Zweckmäßigkeit und Uebereinstimmung der verschiedenen Theile der Natur zu einander etwas näher eingehn, welche Erörterung zugleich auch auf die vorhergehende Licht zurückwerfen wird. Wir werden aber dahin am besten durch Betrachtung folgender Analogie gelangen.
Der Charakter jedes einzelnen Menschen kann, sofern er durchaus individuell und nicht ganz in dem der Species begriffen ist, als eine besondere Idee, entsprechend einem eigenthümlichen Objektivationsakt des Willens, angesehn werden. Dieser Akt selbst wäre dann sein intelligibler Charakter, sein empirischer aber die Erscheinung desselben. Der empirische Charakter ist ganz und gar durch den intelligibeln, welcher grundloser, d.h. als Ding an sich dem Satz vom Grund (der Form der Erscheinung) nicht unterworfener Wille ist, bestimmt. Der empirische Charakter muß in einem Lebenslauf das Abbild des intelligibeln liefern, und kann nicht anders ausfallen, als das Wesen dieses es erfordert. Allein diese Bestimmung erstreckt sich nur auf das Wesentliche, nicht auf das Unwesentliche des demnach erscheinenden Lebenslaufes. Zu diesem Unwesentlichen gehört die nähere Bestimmung der Begebenheiten und Handlungen, welche der Stoff sind, an dem der empirische Charakter sich zeigt. Diese werden von äußern Umständen bestimmt, welche die Motive abgeben, auf welche der Charakter seiner Natur gemäß reagirt, und da sie sehr verschieden seyn können, so wird sich nach ihrem Einfluß die äußere Gestaltung der Erscheinung des empirischen Charakters, also die bestimmte faktische oder historische Gestaltung des Lebenslaufes, richten müssen. Diese wird sehr verschieden ausfallen können, wenn gleich das Wesentliche dieser Erscheinung, ihr Inhalt, der selbe bleibt: so z.B. ist es unwesentlich, ob man um Nüsse oder Kronen spielt: ob man aber beim Spiel betrügt, oder ehrlich zu Werk geht, das ist das Wesentliche: dieses wird durch den intelligibeln Charakter, jenes durch äußern Einfluß bestimmt. Wie das selbe Thema sich in hundert Variationen darstellen kann, so der selbe Charakter in hundert sehr verschiedenen Lebensläufen. So verschiedenartig aber auch der äußere Einfluß seyn kann, so muß dennoch, wie er auch ausfalle, der sich im Lebenslauf ausdrückende empirische Charakter den intelligibeln genau objektiviren, indem er seine Objektivation dem vorgefundenen Stoffe faktischer Umstände anpaßt. – Etwas jenem Einfluß äußerer Umstände auf den im Wesentlichen durch den Charakter bestimmten Lebenslauf Analoges haben wir nun anzunehmen, wenn wir uns denken wollen, wie der Wille, im ursprünglichen Akt seiner Objektivation, die verschiedenen Ideen bestimmt, in denen er sich objektivirt, d.h. die verschiedenen Gestalten von Naturwesen aller Art, in welche er seine Objektivation vertheilt und die deswegen nothwendig eine Beziehung zu einander in der Erscheinung haben müssen. Wir müssen annehmen, daß zwischen allen jenen Erscheinungen des einen Willens ein allgemeines gegenseitiges sich Anpassen und Bequemen zu einander Statt fand, wobei aber, wie wir bald deutlicher sehn werden, alle Zeitbestimmung auszulassen ist, da die Idee außer der Zeit liegt. Demnach mußte jede Erscheinung sich den Umgebungen, in die sie eintrat, anpassen, diese aber wieder auch jener, wenn solche gleich in der Zeit eine viel spätere Stelle einnimmt; und überall sehn wir diesen consensus naturae. Angemessen darum ist jede Pflanze ihrem Boden und Himmelsstrich, jedes Thier seinem Element und der Beute, die seine Nahrung werden soll, ist auch irgendwie einigermaaßen geschützt gegen seinen natürlichen Verfolger; angemessen ist das Auge dem Licht und seiner Brechbarkeit, die Lunge und das Blut der Luft, die Schwimmblase dem Wasser, das Auge des Seehundes dem Wechsel seines Mediums, die wasserhaltigen Zellen im Magen des Kameels der Dürre Afrikanischer Wüsten, das Segel des Nautilus dem Winde, der sein Schiffchen treiben soll, und so bis auf die speciellsten und erstaunlichsten äußeren Zweckmäßigkeiten herab44. Nun aber ist hiebei von allen Zeitverhältnissen zu abstrahiren, da solche nur die Erscheinung der Idee, nicht diese selbst betreffen können. Demgemäß ist jene Erklärungsart auch rückwärts zu gebrauchen und nicht nur anzunehmen, daß jede Species sich nach den vorgefundenen Umständen bequemte, sondern diese in der Zeit vorhergegangenen Umstände selbst eben so Rücksicht nahmen auf die dereinst noch kommenden Wesen. Denn es ist ja der eine und selbe Wille, der sich in der ganzen Welt objektivirt: er kennt keine Zeit, da diese Gestalt des Satzes vom Grunde nicht ihm, noch seiner ursprünglichen Objektität, den Ideen, angehört; sondern nur der Art und Weise, wie diese von den selbst vergänglichen Individuen erkannt werden, d.h. die Erscheinung der Ideen. Daher ist bei unserer gegenwärtigen Betrachtung der Art, wie die Objektivation des Willens sich in die Ideen vertheilt, die Zeitfolge ganz ohne Bedeutung, und die Ideen, deren Erscheinungen, dem Gesetz der Kausalität, dem sie als solche unterworfen sind, gemäß, früher in die Zeitfolge eintraten, haben dadurch kein Vorrecht vor denen, deren Erscheinung später eintritt, welche vielmehr gerade die vollkommensten Objektivationen des Willens sind, denen sich die früheren eben so sehr anpassen mußten, wie diese jenen. Also der Lauf der Planeten, die Neigung der Ekliptik, die Rotation der Erde, die Vertheilung des festen Landes und des Meeres, die Atmosphäre, das Licht, die Wärme und alle ähnlichen Erscheinungen, welche in der Natur das sind, was in der Harmonie der Grundbaß, bequemten sich ahndungsvoll den kommenden Geschlechtern lebender Wesen, deren Träger und Erhalter sie werden sollten. Eben so bequemte sich der Boden der Ernährung der Pflanzen, diese der Ernährung der Thiere, diese der Ernährung anderer Thiere, eben so wohl als umgekehrt alle diese wieder jenen. Alle Theile der Natur kommen sich entgegen, weil ein Wille es ist, der in ihnen allen erscheint, die Zeitfolge aber seiner ursprünglichen und allein adäquaten Objektität (diesen Ausdruck erklärt das folgende Buch), den Ideen, ganz fremd ist. Noch jetzt, da die Geschlechter sich nur zu erhalten, nicht mehr zu entstehn haben, sehn wir hin und wieder eine solche sich auf das Zukünftige erstreckende, eigentlich von der Zeitfolge gleichsam abstrahirende Vorsorge der Natur, ein Sichbequemen dessen was da ist, nach dem was noch kommen soll. So baut der Vogel das Nest für die Jungen, welche er noch nicht kennt; der Biber errichtet einen Bau, dessen Zweck ihm unbekannt ist; die Ameise, der Hamster, die Biene sammeln Vorräthe zu dem ihnen unbekannten Winter; die Spinne, der Ameisenlöwe errichten, wie mit überlegter List, Fallen für den künftigen, ihnen unbekannten Raub; die Insekten legen ihre Eier dahin, wo die künftige Brut künftig Nahrung findet. Wann, um die Blüthezeit, die weibliche Blume der diöcistischen Vallisneria die Spiralwindungen ihres Stängels, von denen sie bisher an den Grund des Wassers gehalten wurde, entwickelt und dadurch auf die Oberfläche hinaufsteigt, genau dann reißt die auf dem Grunde des Wassers an einem kurzen Stängel wachsende männliche Blume sich von diesem ab und gelangt so, mit Aufopferung ihres Lebens, auf die Oberfläche, woselbst sie umherschwimmend die weibliche Blume aufsucht, welche sodann, nach geschehener Befruchtung, sich wieder durch Kontraktion ihrer Spirale zurückzieht auf den Grund, woselbst die Frucht sich ausbildet45. Auch hier muß ich nochmals der Larve des männlichen Hirschschröters gedenken, die das Loch im Holze zu ihrer Metamorphose noch ein Mal so groß beißt, als die weibliche, um Raum für die künftigen Hörner zu gewinnen. Ueberhaupt also giebt uns der Instinkt der Thiere die beste Erläuterung zur übrigen Teleologie der Natur. Denn wie der Instinkt ein Handeln ist, gleich dem nach einem Zweckbegriff, und doch ganz ohne denselben; so ist alles Bilden der Natur gleich dem nach einem Zweckbegriff, und doch ganz ohne denselben. Denn in der äußern, wie in der innern Teleologie der Natur ist, was wir als Mittel und Zweckdenken müssen, überall nur die für unsere Erkenntnißweise in Raum und Zeit auseinandergetretene Erscheinung der Einheit des mit sich selbst soweit übereinstimmenden einen Willens.
Inzwischen kann das aus dieser Einheit entspringende sich wechselseitige Anpassen und