Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
um nämlich ihre eigene Schwäche nicht zu verrathen: doch bleiben sie im Stillen stets bereit, ihr Verdammungsurtheil darüber auszusprechen, sobald man sie hoffen läßt, daß sie es können, ohne sich bloß zu stellen, wo dann ihr lang verhaltener Haß gegen alles Große und Schöne, das sie nie ansprach und eben dadurch demüthigte, undgegen die Urheber desselben, sich freudig Luft macht. Denn überhaupt um fremden Werth willig und frei anzuerkennen und gelten zu lassen, muß man eigenen haben. Hierauf gründet sich die Nothwendigkeit der Bescheidenheit bei allem Verdienst, wie auch der unverhältnißmäßig laute Ruhm dieser Tugend, welche allein, aus allen ihren Schwestern, von jedem der es wagt einen irgendwie ausgezeichneten Mann zu preisen, jedesmal seinem Lobe angehängt wird, um zu versöhnen und den Zorn der Werthlosigkeit zu stillen. Was ist denn Bescheidenheit Anderes, als geheuchelte Demuth, mittelst welcher man, in einer von niederträchtigem Neide strotzenden Welt, für Vorzüge und Verdienste die Verzeihung Derer erbetteln will, die keine haben? Denn wer sich keine anmaaßt, weil er wirklich keine hat, ist nicht bescheiden, sondern nur ehrlich.
Die Idee ist die, vermöge der Zeit- und Raumform unserer intuitiven Apprehension in die Vielheit zerfallene Einheit: hingegen der Begriff ist die, mittelst der Abstraktion unserer Vernunft, aus der Vielheit wieder hergestellte Einheit: sie kann bezeichnet werden als unitas post rem, jene als unitas ante rem, Endlich kann man den Unterschied zwischen Begriff und Idee noch gleichnißweise ausdrücken, indem man sagt: der Begriff gleicht einem todten Behältniß, in welchem, was man hineingelegt hat, wirklich neben einander liegt, aus welchem sich aber auch nicht mehr herausnehmen läßt (durch analytische Urtheile), als man hineingelegt hat (durch synthetische Reflexion): die Idee hingegen entwickelt in Dem, welcher sie gefaßt hat, Vorstellungen, die in Hinsicht auf den ihr gleichnamigen Begriff neu sind: sie gleicht einem lebendigen, sich entwickelnden, mit Zeugungskraft begabten Organismus, welcher hervorbringt, was nicht in ihm eingeschachtelt lag.
Allem Gesagten zufolge ist nun der Begriff, so nützlich er für das Leben, und so brauchbar, nothwendig und ergiebig er für die Wissenschaft ist, für die Kunst ewig unfruchtbar. Hingegen ist die aufgefaßte Idee die wahre und einzige Quelle jedes ächten Kunstwerkes. In ihrer kräftigen Ursprünglichkeit wird sie nur aus dem Leben selbst, aus der Natur, aus der Welt geschöpft, und auch nur von dem ächten Genius, oder von dem für den Augenblick bis zur Genialität Begeisterten. Nur aus solcher unmittelbaren Empfängniß entstehn ächte Werke, die unsterbliches Leben in sich tragen. Eben weil die Idee anschaulich ist und bleibt, ist sich der Künstler der Absicht und des Zieles seines Werkes nicht in abstracto bewußt; nicht ein Begriff, sondern eine Idee schwebt ihm vor: daher kann er von seinem Thun keine Rechenschaft geben: er arbeitet, wie die Leute sich ausdrücken, aus bloßem Gefühl und unbewußt, ja instinktmäßig. Hingegen Nachahmer, Manieristen, imitatores, servum pecus, gehn in der Kunst vom Begriff aus: sie merken sich was in ächten Werken gefällt und wirkt, machen sich es deutlich, fassen es im Begriff, also abstrakt, auf, und ahmen es nun, offen oder versteckt, mit kluger Absichtlichkeit nach. Sie saugen, gleich parasitischen Pflanzen, ihre Nahrung aus fremden Werken, und tragen, gleich den Polypen, die Farbe ihrer Nahrung. Ja, man könnte, im Vergleichen noch weiter gehend, behaupten, sie glichen Maschinen, die, was man hineinlegt, zwar sehr fein zerhacken und durch einander mengen, aber nie verdauen können, so daß sich die fremden Bestandtheile noch immer wiederfinden, aus der Mischung hervorsuchen und sondern ließen: der Genius allein gliche dagegen dem organischen, assimilirenden, umwandelnden und producirenden Leibe. Denn er wird von den Vorgängern und ihren Werken zwar erzogen und gebildet; aber befruchtet wird er nur vom Leben und der Welt selbst unmittelbar, durch den Eindruck des Anschaulichen: daher schadet auch die höchste Bildung doch nie seiner Originalität. Alle Nachahmer, alle Manieristen fassen das Wesen fremder musterhafter Leistungen im Begriffe auf; aber Begriffe können nie einem Werke inneres Leben ertheilen. Das Zeitalter, d.h. die jedesmalige stumpfe Menge, kennt selbst nur Begriffe und klebt daran, nimmt daher manierirte Werke mit schnellem und lautem Beifall auf: die selben Werke sind aber nach wenig Jahren schon ungenießbar, weil der Zeitgeist, d.h. die herrschenden Begriffe, sich geändert haben, auf denen allein jene wurzeln konnten. Nur die ächten Werke, welche aus der Natur, dem Leben, unmittelbar geschöpft sind, bleiben, wie diese selbst, ewig jung und stets urkräftig. Denn sie gehören keinem Zeitalter, sondern der Menschheit an: und wie sie eben deshalb von ihrem eigenen Zeitalter, welchem sich anzuschmiegen sie verschmähten, lau aufgenommen, und, weil sie die jedesmalige Verirrung desselben mittelbar und negativ aufdeckten, spät und ungern anerkannt wurden; so können sie dafür auch nicht veralten, sondern sprechen auch in der spätesten Zeit immer noch frisch und immer wieder neu an: dann sind sie auch dem Uebersehn- und Verkanntwerden nicht ferner ausgesetzt, da sie gekrönt und sanktionirt dastehn durch den Beifall der wenigen urtheilsfähigen Köpfe, die einzeln und sparsam in den Jahrhunderten erscheinen66 und ihre Stimmen ablegen, deren langsam wachsende Summe die Auktorität begründet, welche ganz allein jener Richterstuhl ist, den man meint, wenn man an die Nachwelt appellirt. Jene successiv erscheinenden Einzelnen sind es ganz allein: denn die Masse und Menge der Nachwelt wird allezeit eben so verkehrt und stumpf seyn und bleiben, wie die Masse und Menge der Mitwelt allezeit war und allezeit ist. – Man lese die Klagen großer Geister, aus jedem Jahrhundert, über ihre Zeitgenossen: stets lauten sie wie von heute; weil das Geschlecht immer das selbe ist. Zu jeder Zeit und in jeder Kunst vertritt Manier die Stelle des Geistes, der stets nur das Eigenthum Einzelner ist: die Manier aber ist das alte, abgelegte Kleid der zuletzt dagewesenen und erkannten Erscheinung des Geistes. Dem Allen gemäß wird, in der Regel, der Beifall der Nachwelt nicht anders, als auf Kosten des Beifalls der Mitwelt erworben; und umgekehrt.67
§ 50
Wenn nun der Zweck aller Kunst Mittheilung der aufgefaßten Idee ist, welche eben in solcher Vermittelung durch den Geist des Künstlers, in der sie von allem Fremdartigen gesäubert und isolirt erscheint, nunmehr auch Dem faßlich wird, der schwächere Empfänglichkeit und keine Produktivität hat; wenn ferner das Ausgehn vom Begriff in der Kunst verwerflich ist, so werden wir es nicht billigen können, wenn man ein Kunstwerk absichtlich und eingeständlich zum Ausdruck eines Begriffes bestimmt: dieses ist der Fall in der Allegorie. Eine Allegorie ist ein Kunstwerk, welches etwas Anderes bedeutet, als es darstellt. Aber das Anschauliche, folglich auch die Idee, spricht unmittelbar und ganz vollkommen sich selbst aus, und bedarf nicht der Vermittelung eines Ändern, wodurch es angedeutet werde. Was also, auf diese Weise, durch ein ganz Anderes angedeutet und repräsentirt wird, weil es nicht selbst vor die Anschauung gebracht werden kann, ist allemal ein Begriff. Durch die Allegorie soll daher immer ein Begriff bezeichnet und folglich der Geist des Beschauers von der dargestellten anschaulichen Vorstellung weg, auf eine ganz andere, abstrakte, nicht anschauliche, geleitet werden, die völlig außer dem Kunstwerke liegt: hier soll also Bild oder Statue leisten, was die Schrift, nur viel vollkommener, leistet. Was nun wir für den Zweck der Kunst erklären, Darstellung der nur anschaulich aufzufassenden Idee, ist hier nicht der Zweck. Für das, was aber hier beabsichtigt wird, ist auch gar keine große Vollendung des Kunstwerks erforderlich; sondern es reicht hin, daß man sehe, was das Ding seyn soll, da, sobald dies gefunden ist, der Zweck erreicht ist und der Geist nun auf eine ganz anderartige Vorstellung, auf einen abstrakten Begriff geführt wird, welcher das vorgesetzte Ziel war. Allegorien in der bildenden Kunst sind folglich nichts Anderes, als Hieroglyphen: der Kunstwerth, den sie übrigens als anschauliche Darstellungen haben mögen, kommt ihnen nicht als Allegorien, sondern anderweitig zu. Daß die Nacht von Correggio, der Genius des Ruhmes von Hannibal Carracci, die Hören von Poussin, sehr schöne Bilder sind, ist ganz davon zu trennen, daß sie Allegorien sind. Als Allegorien leisten sie nicht mehr, als eine Inschrift, ja eher weniger. Wir werden hier wieder an die oben gemachte Unterscheidung zwischen der realen und der nominalen Bedeutung eines Bildes erinnert. Die nominale ist hier eben das Allegorische als solches, z.B. der Genius des Ruhmes; die reale das wirklich Dargestellte: hier ein schöner geflügelter Jüngling, von schönen Knaben umflogen: dies spricht eine Idee aus: diese reale Bedeutung wirkt aber nur solange man die nominale, allegorische vergißt: