Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
Jahr 1840 habe ich das wichtige Kapitel der Willensfreiheit gründlich und ausführlich behandelt, in meiner gekrönten Preisschrift über dieselbe, und habe namentlich den Grund der Täuschung aufgedeckt, in Folge welcher man eine empirisch gegebene absolute Freiheit des Willens, also ein liberum arbitrium indifferentiae, im Selbstbewußtseyn, als Thatsache desselben, zu finden vermeint: denn gerade auf diesen Punkt war, sehr einsichtig, die Preisfrage gerichtet. Indem ich also den Leser auf jene Schrift, imgleichen auf § 10 der mit derselben zusammen, unter dem Titel »Die beiden Grundprobleme der Ethik«, herausgegebenen Preisschrift über die Grundlage der Moral verweise, lasse ich die in der ersten Auflage an dieser Stelle gegebene, noch unvollkommene Darstellung der Nothwendigkeit der Willensakte jetzt ausfallen, und will statt dessen die oben erwähnte Täuschung noch durch eine kurze Auseinandersetzung erläutern, welche das neunzehnte Kapitel unsers zweiten Bandes zu ihrer Voraussetzung hat und daher in der erwähnten Preisschrift nicht gegeben werden konnte.
Abgesehn davon, daß, weil der Wille, als das wahre Ding an sich, ein wirklich Ursprüngliches und Unabhängiges ist, auch im Selbstbewußtseyn das Gefühl der Ursprünglichkeit und Eigenmächtigkeit seine, obwohl hier schon determinirten Akte begleiten muß, – entsteht der Schein einer empirischen Freiheit des Willens (statt der transscendentalen, die ihm allein beizulegen ist), also einer Freiheit der einzelnen Thaten, aus der im neunzehnten Kapitel des zweiten Bandes, besonders unter Nr. 3, dargelegten gesonderten und subordinirten Stellung des Intellekts gegen den Willen. Der Intellekt nämlich erfährt die Beschlüsse des Willens erst a posteriori und empirisch. Demnach hat er, bei einer vorliegenden Wahl, kein Datum darüber, wie der Wille sich entscheiden werde. Denn der intelligible Charakter, vermöge dessen, bei gegebenen Motiven, nur eine Entscheidung möglich und diese demnach eine nothwendige ist, fällt nicht indie Erkenntniß des Intellekts, sondern bloß der empirische wird ihm, durch seine einzelnen Akte, successiv bekannt. Daher also scheint es dem erkennenden Bewußtseyn (Intellekt), daß, in einem vorliegenden Fall, dem Willen zwei entgegengesetzte Entscheidungen gleich möglich wären. Hiemit aber verhält es sich gerade so, wie wenn man, bei einer senkrecht stehenden, aus dem Gleichgewicht und ins Schwanken gerathenen Stange, sagt »sie kann nach der rechten, oder nach der linken Seite umschlagen«, welches »kann« doch nur eine subjektive Bedeutung hat und eigentlich besagt »hinsichtlich der uns bekannten Data«: denn objektiv ist die Richtung des Falls schon nothwendig bestimmt, sobald das Schwanken eintritt. So demnach ist auch die Entscheidung des eigenen Willens bloß für seinen Zuschauer, den eigenen Intellekt, indeterminirt, mithin nur relativ und subjektiv, nämlich für das Subjekt des Erkennens; hingegen an sich selbst und objektiv ist, bei jeder dargelegten Wahl, die Entscheidung sogleich determinirt und nothwendig. Nur kommt diese Determination erst durch die erfolgende Entscheidung ins Bewußtseyn. Sogar einen empirischen Beleg hiezu erhalten wir, wann irgend eine schwierige und wichtige Wahl uns vorliegt, jedoch erst unter einer Bedingung, die noch nicht eingetreten ist, sondern bloß zu hoffen steht; so daß wir vor der Hand nichts darin thun können, sondern uns passiv verhalten müssen. Jetzt überlegen wir, wozu wir uns entschließen werden, wann die Umstände eingetreten seyn werden, die uns eine freie Thätigkeit und Entscheidung gestatten. Meistens spricht nun für den einen der Entschlüsse mehr die weitsehende, vernünftige Ueberlegung, für den andern mehr die unmittelbare Neigung, Solange wir, gezwungen, passiv bleiben, scheint die Seite der Vernunft das Uebergewicht behalten zu wollen; allein wir sehn voraus, wie stark die andere Seite ziehn wird, wann die Gelegenheit zum Handeln daseyn wird. Bis dahin sind wir eifrig bemüht, durch kalte Meditation des pro et contra, die beiderseitigen Motive ins hellste Licht zu stellen, damit jedes mit seiner ganzen Gewalt auf den Willen wirken könne, wann der Zeitpunkt daseyn wird, und nicht etwan ein Fehler von Seiten des Intellekts den Willen verleite, sich anders zu entscheiden, als er würde, wenn Alles gleichmäßig einwirkte. Dies deutliche Entfalten der gegenseitigen Motive ist nun aber Alles, was der Intellekt bei der Wahl thun kann. Die eigentliche Entscheidung wartet er so passiv und mit der selben gespannten Neugier ab, wie die eines fremden Willens. Ihm müssen daher, von seinem Standpunkt aus, beide Entscheidungen als gleich möglich erscheinen: dies nun eben ist der Schein der empirischen Freiheit des Willens. In die Sphäre des Intellekts tritt die Entscheidung freilich ganz empirisch, als endlicher Ausschlag der Sache; dennoch ist sie hervorgegangen aus der Innern Beschaffenheit, dem intelligibeln Charakter, des individuellen Willens, in seinem Konflikt mit gegebenen Motiven, und daher mit vollkommener Nothwendigkeit. Der Intellekt kann dabei nichts weiter thun, als die Beschaffenheit der Motive allseitig und scharf beleuchten; nicht aber vermag er den Willen selbst zu bestimmen; da dieser Ihm ganz unzugänglich, ja sogar, wie wir gesehn haben, unerforschlich ist.
Könnte ein Mensch, unter gleichen Umständen, das eine Mal so, das andere Mal anders handeln; so müßte sein Wille selbst sich inzwischen geändert haben und daher in der Zeit liegen, da nur in dieser Veränderung möglich ist: dann aber müßte entweder der Wille eine bloße Erscheinung, oder die Zeit eine Bestimmung des Dinges an sich seyn. Demnach dreht jener Streit über die Freiheit des einzelnen Thuns, über das liberum arbitrium indifferentiae, sich eigentlich um die Frage, ob der Wille in der Zeit liege, oder nicht. Ist er, wie es sowohl Kants Lehre, als meine ganze Darstellung nothwendig macht, als Ding an sich, außer der Zeit und jeder Form des Satzes vom Grunde; so muß nicht allein das Individuum in gleicher Lage stets auf gleiche Weise handeln, und nicht nur jede böse That der feste Bürge für unzählige andere seyn, die es vollbringen muß und nicht lassen kann; sondern es ließe sich auch, wie Kant sagt, wenn nur der empirische Charakter und die Motive vollständig gegeben wären, des Menschen Verhalten, auf die Zukunft, wie eine Sonnen- oder Mondfinsterniß ausrechnen. Wie die Natur konsequent ist, so ist es der Charakter: ihm gemäß muß jede einzelne Handlung ausfallen, wie jedes Phänomen dem Naturgesetz gemäß ausfällt: die Ursache Im letztem Fall und das Motiv im erstem sind nur die Gelegenheitsursachen, wie im zweiten Buch gezeigt worden. Der Wille, dessen Erscheinung das ganze Seyn und Leben des Menschen ist, kann sich im einzelnen Fall nicht verleugnen, und was der Mensch im Ganzen will, wird er auch stets im Einzelnen wollen.
Die Behauptung einer empirischen Freiheit des Willens, eines liberi arbitrii indifferentiae, hängt auf das Genaueste damit zusammen, daß man das Wesen des Menschen in eine Seele setzte, die ursprünglich ein erkennendes, ja eigentlich ein abstrakt denkendes Wesen wäre und erst in Folge hievon auch ein wollendes, daß man also den Willen sekundärer Natur machte, statt daß, in Wahrheit, die Erkenntniß dies ist. Der Wille wurde sogar als ein Denkakt betrachtet und mit dem Urtheil identificirt, namentlich bei Cartesius und Spinoza. Danach nun wäre jeder Mensch Das, was er ist, erst in Folge seiner Erkenntniß geworden: er käme als moralische Null auf die Welt, erkennte die Dinge in dieser, und beschlösse darauf. Der oder Der zu seyn, so oder so zu handeln, könnte auch, in Folge neuer Erkenntniß, eine neue Handlungsweise ergreifen, also wieder ein Anderer werden. Ferner würde er danach zuvörderst ein Ding für gut erkennen und in Folge hievon es wollen; statt daß er zuvörderst es will und in Folge hievon es gut nennt. Meiner ganzen Grundansicht zufolge nämlich ist jenes Alles eine Umkehrung des wahren Verhältnisses. Der Wille ist das Erste und Ursprüngliche, die Erkenntniß bloß hinzugekommen, zur Erscheinung des Willens, als ein Werkzeug derselben, gehörig. Jeder Mensch ist demnach Das, was er ist, durch seinen Willen, und sein Charakter ist ursprünglich; da Wollen die Basis seines Wesens ist. Durch die hinzugekommene Erkenntniß erfährt er, im Laufe der Erfahrung, was er ist, d.h. er lernt seinen Charakter kennen. Er erkennt sich also in Folge und Gemäßheit der Beschaffenheit seines Willens; statt daß er, nach der alten Ansicht, will in Folge und Gemäßheit seines Erkennens. Nach dieser dürfte er nur überlegen, wie er am liebsten seyn möchte, und er wäre es: das ist ihre Willensfreiheit. Sie besteht also eigentlich darin, daß der Mensch sein eigenes Werk ist, am Lichte der Erkenntniß. Ich hingegen sage: er ist sein eigenes Werk vor aller Erkenntniß, und diese kommt bloß hinzu, es zu beleuchten. Darum kann er nicht beschließen, ein Solcher oder Solcher zu seyn, noch auch kann er ein Anderer werden; sondern er ist, ein für alle Mal, und erkennt successive was er ist. Bei Jenen will er was er erkennt; bei mir erkennt er was er will.
Die Griechen nannten den Charakter êthos und die Aeußerungen desselben, d.i. die Sitten êthê dieses Wort kommt aber von ethos, Gewohnheit: sie hatten es gewählt, um die Konstanz des Charakters metaphorisch durch die Konstanz der Gewohnheit