Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
anführt82, auch wohl seitdem nicht widerlegt worden, daß nämlich kein Mensch existirt hat, der nicht mehr als ein Mal gewünscht hätte, den folgenden Tag nicht zu erleben. Danach möchte die so oft beklagte Kürze des Lebens vielleicht gerade das Beste daran seyn. – Wenn man nun endlich noch Jedem die entsetzlichen Schmerzen und Quaalen, denen sein Leben beständig offen steht, vor die Augen bringen wollte; so würde ihn Grausen ergreifen: und wenn man den verstocktesten Optimisten durch die Krankenhospitäler, Lazarethe und chirurgische Marterkammern, durch die Gefängnisse, Folterkammern und Sklavenställe, über Schlachtfelder und Gerichtsstätten führen, dann alle die finstern Behausungen des Elends, wo es sich vor den Blicken kalter Neugier verkriecht, ihm öffnen und zum Schluß ihn in den Hungerthurm des Ugolino blicken lassen wollte; so würde sicherlich auch er zuletzt einsehn, welcher Art dieser meilleur des mondes possibles ist. Woher denn anders hat Dante den Stoff zu seiner Hölle genommen, als aus dieser unserer wirklichen Welt? Und doch ist es eine recht ordentliche Hölle geworden. Hingegen als er an die Aufgabe kam, den Himmel und seine Freuden zu schildern, da hatte er eine unüberwindliche Schwierigkeit vor sich; weil eben unsere Welt gar keine Materialien zu so etwas darbietet. Daher blieb ihm nichts übrig, als, statt der Freuden des Paradieses, die Belehrung, die ihm dort von seinem Ahnherrn, seiner Beatrix und verschiedenen Heiligen ertheilt worden, uns wiederzugeben. Hieraus aber erhellt genugsam, welcher Art diese Welt ist. Freilich ist am Menschenleben, wie an jeder schlechten Waare, die Außenseite mit falschem Schimmer überzogen: immer verbirgt sich was leidet;hingegen was Jeder an Prunk und Glanz erschwingen kann, trägt er zur Schau, und je mehr ihm innere Zufriedenheit abgeht, desto mehr wünscht er, in der Meinung Anderer als ein Beglückter dazustehn: so weit geht die Thorheit, und die Meinung Anderer ist ein Hauptziel des Strebens eines Jeden, obgleich die gänzliche Nichtigkeit desselben schon dadurch sich ausdrückt, daß in fast allen Sprachen Eitelkeit, vanitas, ursprünglich Leerheit und Nichtigkeit bedeutet. – Allein auch unter allem diesen Blendwerk können die Quaalen des Lebens sehr leicht so anwachsen, und es geschieht ja täglich, daß der sonst über Alles gefürchtete Tod mit Begierde ergriffen wird. Ja, wenn das Schicksal seine ganze Tücke zeigen will, so kann selbst diese Zuflucht dem Leidenden versperrt und er, unter den Händen ergrimmter Feinde, grausamen, langsamen Martern ohne Rettung hingegeben bleiben. Vergebens ruft dann der Gequälte seine Götter um Hülfe an: er bleibt seinem Schicksal ohne Gnade Preis gegeben. Diese Rettungslosigkeit ist aber eben nur der Spiegel der Unbezwinglichkeit seines Willens, dessen Objektität seine Person ist. – So wenig eine äußere Macht diesen Willen ändern oder aufheben kann, so wenig auch kann irgend eine fremde Macht ihn von den Quaalen befreien, die aus dem Leben hervorgehn, welches die Erscheinung jenes Willens ist. Immer ist der Mensch auf sich selbst zurückgewiesen, wie in jeder, so in der Hauptsache. Vergebens macht er sich Götter, um von ihnen zu erbetteln und zu erschmeicheln was nur die eigene Willenskraft herbeizuführen vermag. Hatte das Alte Testament die Welt und den Menschen zum Werk eines Gottes gemacht; so sah das Neue Testament, um zu lehren, daß Heil und Erlösung aus dem Jammer dieser Welt nur von ihr selbst ausgehn kann, sich genöthigt, jenen Gott Mensch werden zu lassen. Des Menschen Wille ist und bleibt es, wovon Alles für ihn abhängt. Saniassis, Märtyrer, Heilige jedes Glaubens und Namens, haben freiwillig und gern jede Marter erduldet, weil in ihnen der Wille zum Leben sich aufgehoben hatte; dann aber war sogar die langsame Zerstörung seiner Erscheinung ihnen willkommen. Doch ich will der fernem Darstellung nicht vorgreifen. – Uebrigens kann ich hier die Erklärung nicht zurückhalten, daß mir der Optimismus, wo er nicht etwan das gedankenlose Reden Solcher ist, unter deren platten Stirnen nichts als Worte herbergen, nicht bloß als eine absurde, sondern auch als eine wahrhaft ruchlose Denkungsart erscheint, als ein bitterer Hohn über die namenlosen Leiden der Menschheit. – Man denke nur ja nicht etwan, daß die Christliche Glaubenslehre dem Optimismus günstig sei; da im Gegentheil in den Evangelien Welt und Uebel beinahe als synonyme Ausdrücke gebraucht werden.83
§ 60
Nachdem wir nunmehr die beiden Auseinandersetzungen, deren Dazwischentreten nothwendig war, nämlich über die Freiheit des Willens an sich, zugleich mit der Nothwendigkeit seiner Erscheinung, sodann über sein Loos in der sein Wesen abspiegelnden Welt, auf deren Erkenntniß er sich zu bejahen oder zu verneinen hat, vollendet haben; können wir diese Bejahung und Verneinung selbst, die wir oben nur allgemein aussprachen und erklärten, jetzt zu größerer Deutlichkeit erheben, indem wir die Handlungsweisen, in welchen allein sie ihren Ausdruck finden, darstellen und ihrer Innern Bedeutung nach betrachten.
Die Bejahung des Willens ist das von keiner Erkenntniß gestörte beständige Wollen selbst, wie es das Leben der Menschen im Allgemeinen ausfüllt. Da schon der Leib des Menschen die Objektität des Willens, wie er auf dieser Stufe und in diesem Individuo erscheint, ist; so ist sein in der Zeit sich entwickelndes Wollen gleichsam die Paraphrase des Leibes, die Erläuterung der Bedeutung des Ganzen und seiner Theile, ist eine andere Darstellungsweise des selben Dinges an sich, dessen Erscheinung auch schon der Leib ist. Daher können wir, statt Bejahung des Willens, auch Bejahung des Leibes sagen. Das Grundthema aller mannigfaltigen Willensakte ist die Befriedigung der Bedürfnisse, welche vorn Daseyn des Leibes in seiner Gesundheit unzertrennlich sind, schon in ihm ihren Ausdruck haben und sich zurückführen lassen auf Erhaltung des Individuums und Fortpflanzung des Geschlechts. Allein mittelbar erhalten hiedurch die verschiedenartigsten Motive Gewalt über den Willen und bringen die mannigfaltigsten Willensakte hervor. Jeder von diesen ist nur eine Probe, ein Exempel, des hier erscheinenden Willens überhaupt: welcher Art diese Probe sei, welche Gestalt das Motiv habe und ihr mittheile, ist nicht wesentlich; sondern nur, daß überhaupt gewollt wird, und mit welchem Grade der Heftigkeit, ist hier die Sache. Der Wille kann nur an den Motiven sichtbar werden, wie das Auge nur am Lichte seine Sehkraft äußert. Das Motiv überhaupt steht vor dem Willen als vielgestaltiger Proteus: es verspricht stets völlige Befriedigung, Löschung des Willensdurstes; ist es aber erreicht, so steht es gleich in anderer Gestalt da und bewegt in dieser aufs Neue den Willen, immer seinem Grade der Heftigkeit und seinem Verhältniß zur Erkenntniß gemäß, die eben durch diese Proben und Exempel als empirischer Charakter offenbar werden.
Der Mensch findet, vom Eintritt seines Bewußtseins an, sich als wollend, und in der Regel bleibt seine Erkenntniß in beständiger Beziehung zu seinem Willen. Er sucht erst die Objekte seines Wollens, dann die Mittel zu diesen, vollständig kennen zu lernen. Jetzt weiß er, was er zu thun hat, und nach anderm Wissen strebt er, in der Regel, nicht. Er handelt und treibt: das Bewußtsein, immer nach dem Ziele seines Wollens hinzuarbeiten, hält ihn aufrecht und thätig: sein Denken betrifft die Wahl der Mittel. So ist das Leben fast aller Menschen: sie wollen, wissen was sie wollen, streben danach mit so vielem Gelingen, als sie vor Verzweiflung, und so vielem Mißlingen, als sie vor Langerweile und deren Folgen schützt. Daraus geht eine gewisse Heiterkeit, wenigstens Gelassenheit hervor, an welcher Reichthum oder Armuth eigentlich nichts ändern: denn der Reiche und der Arme genießen nicht was sie haben, da dies, wie gezeigt, nur negativ wirkt; sondern was sie durch ihr Treiben zu erlangen hoffen. Sie treiben vorwärts, mit vielem Ernst, ja mit wichtiger Miene: so treiben auch die Kinder ihr Spiel. – Es ist immer eine Ausnahme, wenn so ein Lebenslauf eine Störung erleidet dadurch, daß aus einem vom Dienste des Willens unabhängigen und auf das Wesen der Welt überhaupt gerichteten Erkennen, entweder die ästhetische Aufforderung zur Beschaulichkeit, oder die ethische zur Entsagung hervorgeht. Die Meisten jagt die Noth durchs Leben, ohne sie zur Besinnung kommen zu lassen. Hingegen entzündet sich oft der Wille zu einem die Bejahung des Leibes weit übersteigenden Grade, welchen dann heftige Affekte und gewaltige Leidenschaften zeigen, in welchen das Individuum nicht bloß sein eigenes Daseyn bejaht, sondern das der übrigen verneint und aufzuheben sucht, wo es ihm im Wege steht.
Die Erhaltung des Leibes durch dessen eigene Kräfte ist ein so geringer Grad der Bejahung des Willens, daß, wenn es freiwillig bei ihm bliebe, wir annehmen könnten, mit dem Tode dieses Leibes sei auch der Wille erloschen, der in ihm erschien. Allein schon die Befriedigung des Geschlechtstriebes geht über die Bejahung der eigenen