Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
coming.87 Wenn ein Fürst einen mit Recht verurtheilten Verbrecher zu begnadigen wünscht, wird sein Minister ihm einwenden, daß alsdann dies Verbrechen sich bald wiederholen würde. – Zweck für die Zukunft unterscheidet Strafe von Rache, und diesen hat die Strafe nur dann, wann sie zur Erfüllung eines Gesetzes vollzogen wird, welche, nur eben dadurch als unausbleiblich auch für jeden künftigen Fall sich ankündigend, dem Gesetze die Kraft abzuschrecken erhält, worin eben sein Zweck besteht. – Hier würde nun ein Kantianer unfehlbar einwenden, daß ja, nach dieser Ansicht, der gestrafte Verbrecher »bloß als Mittel« gebraucht würde. Aber dieser von allen Kantianern so unermüdlich nachgesprochene Satz, »man dürfe den Menschen immer nur als Zweck, nie als Mittel behandeln«, ist zwar ein bedeutend klingender und daher für alle die, welche gern eine Formel haben mögen, die sie alles fernem Denkens überhebt, überaus geeigneter Satz; aber beim Lichte betrachtet ist es ein höchst vager, unbestimmter, seine Absicht ganz indirekt erreichender Ausspruch, der für jeden Fall seiner Anwendung erst besonderer Erklärung, Bestimmung und Modifikation bedarf, so allgemein genommen aber ungenügend, wenigsagend und noch dazu problematisch ist. Der dem Gesetze zufolge der Todesstrafe anheimgefallene Mörder muß jetzt allerdings und mit vollem Recht als bloßes Mittel gebraucht werden. Denn die öffentliche Sicherheit, der Hauptzweck des Staats, ist durch ihn gestört, ja sie ist aufgehoben, wenn das Gesetz unerfüllt bleibt: er, sein Leben, seine Person, muß jetzt das Mittel zur Erfüllung des Gesetzes und dadurch zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit seyn, und wird zu solchem gemacht mit allem Recht, zur Vollziehung des Staatsvertrages, der auch von ihm, sofern er Staatsbürger war, eingegangen war, und demzufolge er, um Sicherheit für sein Leben, seine Freiheit und sein Eigenthum zu genießen, auch der Sicherheit Aller sein Leben, seine Freiheit und sein Eigenthum zum Pfande gesetzt hatte, welches Pfand jetzt verfallen ist.
Diese hier aufgestellte, der gesunden Vernunft unmittelbar einleuchtende Theorie der Strafe ist freilich, in der Hauptsache, kein neuer Gedanke, sondern nur ein durch neue Irrthümer beinahe verdrängter, dessen deutlichste Darstellung insofern nöthig war. Dieselbe ist, dem Wesentlichen nach, schon in dem enthalten, was Pufendorf, »De officio hominis et civis«, Buch 2, Kap. 13, darüber sagt. Mit ihr stimmt ebenfalls Hobbes überein: »Leviathan«, Kap. 15 u. 28. In unsern Tagen hat sie bekanntlich Feuerbach verfochten. Ja, sie findet sich schon in den Aussprüchen der Philosophen des Alterthums: Plato legt sie deutlich dar im Protagoras (S. 114, edit. Bip.), auch im Gorgias (S. 168), endlich im elften Buch von den Gesetzen (S. 165). Seneka spricht Plato's Meinung und die Theorie aller Strafe vollkommen aus, in den kurzen Worten: Nemo prudens punit, quia peccatum est; sed ne peccetur (De ira, I,16).
Wir haben also im Staat das Mittel kennen gelernt, wodurch der mit Vernunft ausgerüstete Egoismus seinen eigenen, sich gegen ihn selbst wendenden schlimmen Folgen auszuweichen sucht, und nun Jeder das Wohl Aller befördert, weil er sein eigenes mit darin begriffen sieht. Erreichte der Staat seinen Zweck vollkommen, so könnte gewissermaaßen, da er, durch die in ihm vereinigten Menschenkräfte, auch die übrige Natur sich mehr und mehr dienstbar zu machen weiß, zuletzt, durch Fortschaffung aller Arten von Uebel, etwas dem Schlaraffenlande sich Annäherndes zu Stande kommen. Allein, theils ist er noch immer sehr weit von diesem Ziel entfernt geblieben; theils würden auch noch immer unzählige, dem Leben durchaus wesentliche Uebel, unter denen, wären sie auch alle fortgeschafft, zuletzt die Langeweile jede von den andern verlassene Stelle sogleich okkupirt, es nach wie vor im Leiden erhalten; theils ist auch sogar der Zwist der Individuen nie durch den Staat völlig aufzuheben, da er im Kleinen neckt, wo er im Großen verpönt ist; und endlich wendet sich die aus dem Innern glücklich vertriebene Eris zuletzt nach außen: als Streit der Individuen durch die Staatseinrichtung verbannt, kommt sie von außen als Krieg der Völker wieder, und fordert nun im Großen und mit einem Male, als aufgehäufte Schuld, die blutigen Opfer ein, welche man ihr durch kluge Vorkehrung im Einzelnen entzogen hatte. Ja gesetzt, auch dieses Alles wäre endlich, durch eine auf die Erfahrung von Jahrtausenden gestützte Klugheit, überwunden und beseitigt; so würde am Ende die wirkliche Uebervölkerung des ganzen Planeten das Resultat seyn, dessen entsetzliche Uebel sich jetzt nur eine kühne Einbildungskraft zu vergegenwärtigen vermag.88
§ 63
Wir haben die zeitliche Gerechtigkeit, welche im Staat ihren Sitz hat, kennen gelernt, als vergeltend oder strafend, und gesehn, daß eine solche allein durch die Rücksicht auf die Zukunft zur Gerechtigkeit wird; da ohne solche Rücksicht alles Strafen und Vergelten eines Frevels ohne Rechtfertigung bliebe, ja, ein bloßes Hinzufügen eines zweiten Uebels zum Geschehenen wäre, ohne Sinn und Bedeutung. Ganz anders aber ist es mit der ewigen Gerechtigkeit, welche schon früher erwähnt wurde, und welche nicht den Staat, sondern die Welt beherrscht, nicht von menschlichen Einrichtungen abhängig, nicht dem Zufall und der Täuschung unterworfen, nicht unsicher, schwankend und irrend, sondern unfehlbar, fest und sicherist. – Der Begriff der Vergeltung schließt schon die Zeit in sich: daher kann die ewige Gerechtigkeit keine vergeltende seyn, kann also nicht, wie diese, Aufschub und Frist gestatten und, nur mittelst der Zeit die schlimme That mit der schlimmen Folge ausgleichend, der Zeit bedürfen um zu bestehn. Die Strafe muß hier mit dem Vergehn so verbunden seyn, daß Beide Eines sind.
Dokeite pêdan t' adikêmat' eis theous Pteroisi, kapeit' en Dios deltou ptychais Graphein tin' auta, Zêna d' eisorônta nin Thnêtois dikazein; Oud' ho pas uranos, Dios graphontos tas brotôn hamartias, Exarkeseien, oud' ekeinos an skopôn Pempein hekastô zêmian; all' hê Dikê Entautha pou stin engys, ei boulesth' horan. Eurip., ap. Stob. Ecl., I, c. 4.
(Volare pennis scelera ad aetherias domus Putatis, illic in Jovis tabularia Scripto referri; tum Jovem lectis super Sententiam proferref – sed mortalium Facinora coeli, quantaquanta est, regia Nequit tenere: nee legendis Juppiter Et puniendis par est. Est tamen ultio, Et, si intuemur, illa nos habitat prope.)
Daß nun eine solche ewige Gerechtigkeit wirklich im Wesen der Welt liege, wird aus unserm ganzen bisher entwickelten Gedanken Dem, der diesen gefaßt hat, bald vollkommen einleuchtend werden.
Die Erscheinung, die Objektität des einen Willens zum Leben ist die Welt, in aller Vielheit ihrer Theile und Gestalten. Das Daseyn selbst und die Art des Daseyns, in der Gesammtheit, wie in jedem Theil, ist allein aus dem Willen. Er ist frei, er ist allmächtig. In jedem Dinge erscheint der Wille gerade so, wie er sich selbst an sich und außer der Zeit bestimmt. Die Welt ist nur der Spiegel dieses Wollens: und alle Endlichkeit, alle Leiden, alle Quaalen, welche sie enthält, gehören zum Ausdruck dessen, was er will, sind so, weil er so will. Mit dem strengsten Rechte trägt sonach jedes Wesen das Daseyn überhaupt, sodann das Daseyn seiner Art und seiner eigenthümlichen Individualität, ganz wie sie ist und unter Umgebungen wie sie sind, in einer Welt so wie sie ist, vom Zufall und vom Irrthum beherrscht, zeitlich, vergänglich, stets leidend: und in allem was ihm widerfährt, ja nur widerfahren kann, geschieht ihm immer Recht. Denn sein ist der Wille: und wie der Wille ist, so ist die Welt. Die Verantwortlichkeit für das Daseyn und die Beschaffenheit dieser Welt kann nur sie selbst tragen, kein Anderer; denn wie hätte er sie auf sich nehmen mögen? – Will man wissen, was die Menschen, moralisch betrachtet, im Ganzen und Allgemeinen werth sind; so betrachte man ihr Schicksal, im Ganzen und Allgemeinen. Dieses ist Mangel, Elend, Jammer, Quaal und Tod. Die ewige Gerechtigkeit waltet: wären sie nicht, im Ganzen genommen, nichtswürdig; so würde ihr Schicksal, im Ganzen genommen, nicht so traurig seyn. In diesem Sinne können wir sagen: die Welt selbst ist das Weltgericht. Könnte man allen Jammer der Welt in eine Waagschaale legen, und alle Schuld der Welt in die andere; so würde gewiß die Zunge einstehn.
Freilich aber stellt sich der Erkenntniß, so wie sie, dem Willen zu seinem Dienst entsprossen, dem Individuo als solchem wird, die Welt nicht so dar, wie sie dem Forscher zuletzt sich enthüllt, als die Objektität des einen und alleinigen Willens