Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.
Quartier di Agrate. Es gehörte dem Orden der Humiliatinnen. Dieser Orden war im Jahre 1134 gestiftet worden und zunächst nur für Männer von italienischer Abkunft und von Adel bestimmt gewesen, die Kaiser Lothar II. nach Deutschland geschickt und, nachdem sie ihren Gehorsam und ihre Demut bewiesen, wieder entlassen hatte mit den Worten: »Denique humiliati estis«. Sie nannten sich mit Bezug hierauf Humiliati, stellten sich 1151 unter die Regel des heiligen Benedikt und wurden im Jahre 1200 vom Papste Innozenz III. förmlich bestätigt. Im Laufe der Zeit erwarb der Orden große Reichtümer, insbesondere auch Grundbesitz von bedeutendem Wert. Die Folge davon war, daß die Humiliaten trotz ihres Namens sehr übermütig wurden und sich einem üppigen, schwelgerischen Leben ergaben. Der Erzbischof Carlo Borromeo von Mailand, jener gelehrte und fromme Kirchenfürst, der nachmals heilig gesprochen wurde, griff energisch ein und setzte beim päpstlichen Stuhle die Reform des entarteten Ordens durch. Die Chorherren gerieten darüber so in Zorn, daß einer von ihnen namens Farina am 26. Oktober 1569 in einer Kapelle des Doms zu Mailand während des Gottesdienstes einen Schuß auf den Erzbischof abfeuerte und ihn, zum Glück nur leicht, verwundete. Der Papst Paul V. hob deshalb den Orden im Jahre 1576 gänzlich auf.
Schon früher waren auch Klöster der Humiliatinnen entstanden, die einer ähnlichen Regel folgten wie die der Humiliaten. Sie wurden durch das päpstliche Dekret, das wir eben erwähnt haben, nicht berührt und bestanden fort, auch nachdem die Klöster der Männer eingegangen waren. Das diesem Orden gehörige Kloster in Monza ist, wie schon erwähnt, der Schauplatz unseres Prozesses, dessen Beginn in das Jahr 1607 fällt.
Um diese Zeit herrschte die spanische Linie des Hauses Habsburg über das Herzogtum Mailand. König Philipp III. (1598 – 1621) hatte als Statthalter Don Pietro Enriquez de Acevedo di Fuentes eingesetzt. Er sah es nicht ungern, daß spanische Granden in größerer Zahl sich nach Mailand begaben und dort niederließen. Auch die navarresische Familie de Leyva war dorthin gezogen und mit dem Bezirk, in dem das Kloster di Santa Margherita lag, beliehen worden. Noch jetzt ist eine Urkunde vom 26. Dezember 1596 vorhanden, laut welcher die Schwester Virgina Maria Leyva, auch Principessa del Borgo e del monastero genannt, in Vertretung ihres Vaters, des Don Martino de Leyva, das Recht verleiht, im Flusse Lambro bei Monza zu fischen. Dieser ebengenannte Don Martino de Leyva war ein stolzer Herr, der den Prunk liebte und alles aufbot, um die Würde und den Glanz seines Hauses zu erhalten und zu mehren. Damit das große Vermögen in einer Hand bleiben sollte, hatte er seine einzige Tochter Virginia gezwungen, den Schleier zu nehmen. Sie war in das Kloster der Humiliatinnen zu Monza eingetreten und hatte, einundzwanzig Jahre alt, den Profeß abgelegt. Ausgezeichnet durch vornehme Geburt, durch ungewöhnliche wohnliche Schönheit und durch reiche Geistesgaben, gewann sie sehr schnell die Herzen der anderen Nonnen. In kurzem hatte sie sich eine Stellung erobert, wie sie vor ihr keiner Bewohnerin des Klosters jemals eingeräumt worden war; selbst die Äbtissin fügte sich ihren Wünschen, und ungestraft durfte sie die Hausordnung und die strengen Ordensregeln übertreten.
Aber diese Freiheit wurde ihr Verderben. Die keusche Nonne knüpfte Bekanntschaft an mit einem jungen Manne, der in der Nähe des Klosters wohnte; sie vermittelte, daß er heimlich Zutritt im Kloster erhielt, nahm ihn endlich sogar mit in ihre Zelle und fing ein Liebesverhältnis mit ihm an, das mehrere Jahre von ihr unterhalten wurde und nicht ohne Früchte blieb. Ihr Fehltritt ließ sich nicht verbergen, obschon ihr Geliebter kein Mittel scheute und sogar zum Mörder wurde, um die Zeuginnen ihres verbrecherischen Wandels für immer stumm zu machen. Der Prozeß, der auf Befehl des Kardinals Federigo Borromeo, eines Vetters von Carlo Borromeo, der damals Erzbischof von Mailand war und die Gerichtsbarkeit über das Kloster besaß, eingeleitet wurde, brachte es an den Tag, daß die Humiliatinnen von Monza gleich liederlichen Dirnen gelebt und in schamloser Weise Unzucht getrieben hatten, daß das Kloster nicht eine Stätte demütiger Entsagung und frommer Empfindungen gewesen war, sondern ein Ort, wo Lüge und List, Buhlerei und Brutalität geherrscht hatten.
Am 27. November pochte der apostolische Protonotar und Kriminalvikar der erzbischöflichen Kurie zu Mailand, Girolamo Saraceno, an die Pforte des Klosters und begehrte sofortigen Einlaß. Er war versehen mit einem Schreiben des Erzbischofs Borromeo, das ihn ermächtigte, in Begleitung eines Notars sich in das Kloster zu verfügen, dessen Tür der Regel gemäß für gewöhnlich jedem Manne verschlossen blieb, und dort Verhöre vorzunehmen. Im inneren Sprechzimmer erschien vor ihm zunächst die Priorin Angela Margherita, in der Welt Angela Sacchi genannt, um als Informationszeugin ihre Aussage zu erstatten. Sie leistete einen feierlichen Eid auf das Evangelienbuch und wurde hierauf in italienischer Sprache, in der überhaupt die Protokolle, die Urteile und alle zu den Akten gekommenen Schriftstücke abgefaßt sind, vernommen.
Sie sagte auf die einzelnen Fragen des Protonotars hin folgendes aus: »Der Signor Giampaolo Osio, um den es sich handelt, ist ein Glied der angesehenen adeligen Familie degli Osii, die ihre Wohnung nahe bei dem Kloster hat. Daß er öfters im Kloster war, weiß ich. Einige Nonnen wollen ihn gesehen haben, andere hatten schon vor längerer Zeit Verdacht deswegen geschöpft, weil seit dem letzten Allerheiligenfeste die Speisen bald früher, bald später als gewöhnlich in die Zellen der Schwestern Ottavia Ricci, Silvia Casati und Benedetta Homati getragen wurden. Diese drei Schwestern sind Freundinnen der Schwester Virginia Maria de Leyva und wohnen mit ihr zusammen. Die Speisen waren nicht die gewöhnlichen, mußten vielmehr bereitet sein für eine Person, die mit der üblichen Kost der Nonnen nicht fürlieb nahm. Sie wurden heimlich aus der Küche geholt und heimlich in die Zellen getragen. Dies aber würde nicht geschehen sein, wenn sie für die Nonnen bestimmt gewesen wären.
Zwischen Osio und Virginia besteht schon seit etwa sieben Jahren eine innige Freundschaft. Sie haben sich miteinander unterhalten und sich gegenseitig Geschenke gemacht. Er hat ihr Geflügel, Fische, Früchte und anderes geschickt, sie hat ihm Nonnenbackwerk, weiße Halskrausen und ähnliches zukommen lassen. In früherer Zeit bewohnte Schwester Virginia ein Zimmer, dessen Fenster nach dem an das Kloster grenzenden Garten Osios hinausging, so daß, wenn er im Garten war, beide sich unbeobachtet sehen und sprechen konnten. Auf Anordnung von Monsignore Bacca, gelegentlich einer Visitation, die vor zwei Jahren stattfand, ist Virginia in eine andere Zelle versetzt und jenes Fenster zugemauert worden.
Ich weiß auch, daß Osio im Verdacht steht, den Apotheker Reineri Roncini in Monza ermordet zu haben, und daß er das wahrscheinlich deswegen getan habe, weil Reineri sich über die Freundschaft zwischen Osio und Virginia geäußert und dadurch den Zorn des ersteren erregt haben solle.
Zur Zeit des letzten Karnevals hörte ich sagen, Osio sei in Pavia wegen seines Verkehrs mit der Schwester Virginia eingesperrt worden, und zwar sei dies geschehen auf Veranlassung des Fürsten Ascoli, eines Vetters der Virginia, der bei dem Gouverneur Grafen di Fuentes einen Haftbefehl ausgewirkt habe.
Öfters ist auch ein Kind von zwei Jahren, ein kleines Mädchen namens Francesca, in das Kloster gekommen, das Schwester Virginia sehr zärtlich behandelte. Man erzählte, diese Francesca sei die Tochter des Osio und der Virginia. Ich glaube, das Kind hält sich im Hause des Giampaolo OsIo auf und ist als sein Kind anerkannt worden.
Über die Schwester Catterina Cassini von Meda, die aus dem Kloster verschwunden ist, weiß ich folgendes zu sagen. Eine Schwester dieses Namens, die aber noch nicht als Nonne eingekleidet war, ist allerdings im Kloster gewesen und hat die Schwester Virginia bedient. Vor etwa einem Jahre wurde sie auf Anordnung der letzteren in einen verschlossenen Raum neben der Waschküche, etwas entfernt von den Zellen der Nonnen, eingesperrt. Drei bis vier Tage blieb sie in ihrem Arrest, dann aber war sie verschwunden. Sie hatte in die Mauer, die sich an der Hauptstraße entlangzieht, eine Öffnung gebrochen und durch sie die Flucht ergriffen. Das war gerade an dem Tage, an dem Monsignore Bacca in das Kloster kam, um eine Visitation zu halten. Diese Flucht schien uns um so merkwürdiger, als Catterina, die etwas beschränkt war, den Monsignore hatte um Rat fragen wollen, ob sie das Kloster wieder verlassen solle, ohne Profeß zu tun. Ich glaube, Schwester Catterina ist von mehreren Nonnen in Arrest gebracht worden, weil sie ihnen nicht gehorsam gewesen war. Die damalige Priorin Bianca Homati und die Vikarin Virginia müssen dies besser wissen. Es ging das Gerücht um, daß Catterina von allem gewußt habe, was zwischen Osio und Virginia vorgegangen ist. Sie soll nicht reinen Mund gehalten, sondern geplaudert haben und deshalb von Osio entfernt und unschädlich gemacht worden sein.«
Nach dem Verhör wurde die Prioiin entlassen und ihr bei Strafe der Exkommunikation