Ida Pfeiffer: Ausgewählte Werke. Ida PfeifferЧитать онлайн книгу.
keine geognostischen Kenntnisse, um behaupten zu können, daß diese Höhle ein ausgebrannter Vulkan sei. Wenn man sich aber in einem Lande befndet, wo jeder Hügel und Berg, Alles was man sieht, aus nichts als Lava besteht, so wird auch der Laie die Oeffnungen zu entdecken suchen, aus welchen sich diese ungeheure Massen ergoßen. Da betrachtet man neugierig jede Spitze der Berge, und glaubt überall einen Krater sehen zu müssen, findet aber Berg und Thal glatt und geschlossen. Wie froh ist man daher nicht, in dieser Höhle dem Dinge doch ein bischen auf die Spur zu kommen! Ich wenigstens träumte, hier in der einstigen Feuerstädte eines nun ausgebrannten Vulkans zu wandeln, denn Alles was ich sah, die aufgehäuften Steinmassen unter meinen Füßen, so wie die gewaltige Decke und die Becken oder Krater über mir — Alles war Lava. — Ob ich recht habe, weiß ich nicht; ich spreche nur nach meinen Begriffen und nach meinen Ansichten.
Diese Nacht mußte ich in einer Kothe zubringen; das Oertchen Kalmannstunga zählt deren drei, aber keine Kirche. — Zum Glück war eine der Kothen etwas größer und reinlicher, als die gewöhnlichen; es war schon eine Art sogenannter Hof. Auch waren die Leute so aufmerksam, während der Zeit, als ich nach der Höhe ritt, das beste Gemach zu säubern, und zu meinem Empfange mit möglichster Sorgfalt herzurichten. — Dieses Kämmerchen hatte 11 Fuß in der Länge und 7 in der Breite; das Fenster war so klein und verschmutzt, daß ich, obwohl die Sonne noch in voller Pracht erglänzte, kaum zum Schreiben sah. — Die Wände, ja selbst der Fußboden waren mit Holz getäfelt, der höchste Luxus in diesem von Holz so entblößten Lande. Die Einrichtung bestand aus einem breiten Bette, zwei Truhen und einem kleinen Tischchen. Stühle oder Bänke sind den isländischen Bauern eine terra incognita; sie sitzen auf den Betten oder Truhen; auch wüßte ich wirklich nicht, wo in einer solchen Kammer ein derlei Möbel Platz fände.
Meine Hausfrau, die Wittwe eines wohlhabenden Bauern, stellte mir ihre vier Kinder vor, die recht hübsch und sehr nett gekleidet waren. Ich bat die Mutter mir die Namen der Kleinen zu sagen, damit ich doch auch einige isländische Namen in meinem Vaterlande zu nennen wüßte. Sie war über diese meine Bitte sehr erfreut, und nannte sie mir, wie folgt: Sigridur, Gudrun, Ingebör und Lars.
Ich würde mich da recht behaglich gefunden haben, indem ich gewohnt bin, Entbehrungen jeder Art mit Gleichmuth zu ertragen, hätte man mich nur allein gelassen. Aber man stelle sich mein Entsetzen vor, als nach und nach alle Inwohner, sowohl dieser, als auch der andern Kothen zu mir herein drangen, und sich theils im Gemache, theils vor demselben an der Thüre aufpflanzten und mich da noch viel enger umlagert hielten, als zu Krisuvik. — Ich war diesen guten Leuten eine gar zu neue Erscheinung, und da kamen sie und gafften mich an; — und erst die Frauen und Kinder, die waren gar sehr zutraulich, sie betasteten meinen ganzen Anzug, und die Kleinen legten sogar ihre beschmutzten Gesichtchen auf meinen Schooß. Dazu die Ausdünstung dieser Menschen, ihre schreckliche Unreinlichkeit, ihr beständiges Schnauben ohne Sacktuch, ihr immerwährendes Umsichspucken — — ach, es war wirklich furchtbar! -— Ich that und erlitt durch diese Besuche mehr Buße, als durch das längste Fasten, — und doch blieb auch dieses nur selten aus, indem ich die meisten ihrer Gerichte nicht genießen konnte. — Die Kochkunst der isländischen Bauern umfaßt aber auch nichts als — trockene Fische; dazu genießen sie gegohrne Milch, die oft Monate alt ist, — höchst selten gekochte Grütze und dazu Flachbrod, gebacken aus fein geriebenem isländischen Moos.
Merkwürdig kam es mir vor, daß die meisten dieser Leute bei mir eine Menge Kenntnisse voraussetzten, die sonst nur den Männern eigen sind; wahrscheinlich glaubten sie, im Auslande seien die Frauen so gelehrt wie die Herren.— Die Priester fragten mich z. B. stets, ob ich lateinisch spräche, und schienen sehr verwundert, diese Kenntniß nicht bei mir zu finden. — Die gemeinen Leute baten mich um Rath für dieß oder jenes Uebel; — ja einmal, als ich auf meinen einsamen Wanderungen um Reikjavik in eine Kothe trat, führte man mir sogar ein Wesen vor, das ich kaum für ein Geschöpf meines Gleichen gehalten hätte; — so war es durch den Ausschlag Lepra entstellt. Nicht nur das Gesicht, sondern auch der ganze Körper war damit behaftet; Letzterer war ganz abgezehrt, und an manchen Stellen mit Beulen bedeckt. — Für einen Arzt wäre dieß sicherlich ein höchst interessantes Exemplar gewesen; jedoch ich wandte mit Entsetzen meinen Blick davon ab.
Doch hinweg von diesem Bilde! — da will ich lieber mit dem Engelsköpfchen kosen, das ich in Kalmanstunga sah. Es war ein Mädchen von 10-12 Jahren, so über alle Beschreibung anmuthig, lieb und schön, daß ich gewünscht hätte eine Malerin zu sein. Das zarte Gesichtchen mit dem schelmischen Grübchen, und den sprechenden Augen, würde ich gar zu gerne, wenigstens auf der Leinwand, mit in mein Vaterland gebracht haben. Vielleicht ist es aber so besser; das Bild könnte durch einen malitiösen Zufall in die Hände eines gar zu gefühlvollen Jünglings gerathen, und der würde dann gleich — wie Don Sylvio de Rosalva, in Wielands ”komischem Romane” — die halbe Welt durchziehen, um dieß bezaubernde Köpfchen auch in Wirklichkeit zu finden. Nach Island aber würde ihn sein Forschungsgeist wahrscheinlich doch nicht führen, indem man da eine solche Erscheinung gar nicht vermuthen könnte, und da wäre denn der arme Unglückliche zu einer ewigen Wanderung verurtheilt.
20. Juni.
Die Reise von Kalmannstunga nach Thingvalla beträgt 11 Meilen und ist gewiß eine der schrecklichsten und beschwerlichsten, die man in Island machen kann. Von einem öden Thale kömmt man in das andere; stets ist man von hohen Bergen und noch höhern Jokuln umschlossen, und wo man den Blick hinwendet, begegnet man einer todten erstarrten Natur. — Aengstliches Unbehagen bemächtiget sich des Wanderers, er durchirrt mit doppelter Hast die ausgebreiteten Wüsteneien, und ersteigt begierig die vor ihm aufgethürmten Berge, — da hofft er Besseres zu sehen; — vergebens; — dieselbe Oede, — dieselben Wüsten, — dieselben Berge.
Auf den Hochebenen waren noch viele Stellen mit Schnee bedeckt; da mußten wir hinüber, obwohl wir oft unter dem Schnee das Rauschen des Wassers hörten. Auch über Eisrinden mußten wir, die zart und dünn über Flüsse gespannt waren, und jene lichtblaue Farbe hatten, die das Zeichen der Gefahr ist.
Unsere armen Pferde sträubten sich wohl oft dagegen; aber das half nichts, sie wurden solange durch Schläge angetrieben, bis sie uns hinüber trugen. Das Packpferd wurde immer voran geprügelt, es mußte die Bahn versuchen, und uns als Führer dienen. Ihm folgte mein Führer, und zum Schluße kam ich. — häufig sanken die armen Thiere bis über die Kniee in den Schnee, ja zweimal sanken sie bis über den Bauch ein. — Es war dieß einer der gefährlichsten Wege, die ich noch je gemacht habe. — Mein steter Gedanke dabei war, was ich wohl thun würde, wenn mein Führer so tief einsinke, daß er sich nicht mehr heraus helfen könnte. — Meine Kräfte würden schwerlich hingereicht haben ihn zu retten, und wohin hätte ich mich wenden sollen, um Hilfe zu suchen? — Rings umher war nichts als Wüste und Schnee. Mir wäre dann vielleicht der Hungertod als Loos zugefallen. Ich wäre herum geirrt, hätte Wohnungen und Menschen gesucht, und mich dabei so in das Innere der Wüsteneien verloren, daß ich wohl nie wieder heraus gefunden hätte. —
Wenn ich so ein Schneefeld schon von weitem entdeckte, was leider nur zu oft geschah, ward mir gar wunderlich zu Muthe; nur der kann meine Angst ermessen, der sich je selbst in einer ähnlichen Lage befand. —
Wäre ich in einer größern Gesellschaft gewesen, würde ich diese Furcht nicht gekannt haben; da kann man sich doch gegenseitig helfen, und durch dieß Bewußtsein erscheint die Gefahr viel geringer.
Dieser Weg wird aber auch in der Zeit, wo der Schnee schon keine sichere Decke mehr bildet, nur sehr wenig benützt. Wir sahen nirgends eine Spur von Fußtritten, weder von Menschen noch von Thieren; wir waren die einzigen lebenden Wesen, die diese wahrhaft gräuliche Gegend durchzogen. Freilich zankte ich meinen Führer tüchtig aus, mich einen solchen Weg geführt zu haben; aber was half es? — Das Umkehren wäre so gefährlich gewesen, als das Weiterziehen. —
Noch beschwerlicher wurde diese Tour durch den Wechsel der Witterung, die mich bisher so ziemlich begünstiget hatte. Schon als wir Kalmannstunga verließen , fing der Himmel an, sich zu trüben, und die Sonne beglückte uns nur auf Augenblicke mit einigen Strahlen. Noch schlechter war es, als wir auf die höhern Bergen gelangten; da zogen uns Wolken und Nebel entgegen, ließen ihre Wuth über uns ergehen, und zogen nur weiter um wieder andern Platz zu machen. Ein eisiger Sturm von den nahen Gletschern war ihr steter Begleiter,