Der letzte Admiral 3: Dreigestirn. Dirk van den BoomЧитать онлайн книгу.
Schnee zu Boden rieselte. Aus dem gleichen Fach wie das Handtuch holte der Mann dann eine Uniform und zog sie an. Mit jeder Minute wurden seine Bewegungen sicherer, als würde sich der Körper an alles erinnern. Als er fertig angezogen dastand, sah er exakt so aus wie das Exemplar, das sie hierhergeführt hatte. Lächelte genauso. Redete genauso.
»Sie haben gewartet. Das ist ein vorbildliches Verhalten. Ich habe jetzt großen Hunger. Bitte entschuldigen Sie mich, wenn ich mich erst einmal stärken muss. So eine Geburt ist eine aufreibende Sache und verbrennt eine Menge Energie. Aber setzen wir uns doch wieder. Ah, Moment.«
Rothbard drehte sich um, drückte eine Taste und der Tank schloss sich. Unmittelbar danach waren ein Pumpgeräusch und ein Gurgeln zu vernehmen. Die Vorbereitungen für die nächste Geburt waren in vollem Gange. Der Reinigungsroboter erschien und begann, die auf dem Boden verteilte Sauerei zu beseitigen.
Als sie alle saßen und Rothbard sich ein stattliches Menü aus dem Automaten geordert hatte, begann dieser, unterbrochen durch heftiges Kauen, mit seinen Erklärungen. »Sie werden sich gewiss über die Art unserer Begegnung wundern. Aber ein Teil des Rätsels ist ja bereits aufgelöst, wenn Sie alles aufmerksam beobachtet haben und nicht völlig verblödet sind: Ich bin ein Klon, eine Kopie des Originals, basierend auf der DNA, die im Tank vor unsagbar langer Zeit gespeichert wurde. Mit jeder Geburt werden Erinnerungsinhalte in mein Gehirn transferiert.« Er klopfte sich seitlich an den Schädel. »Ist weniger, als man denkt. Seit der Tank in Betrieb ist, wurde ich sieben Mal geweckt. Meine Lebensspanne darf nicht länger als acht Stunden betragen. Dann muss ich mich töten. Unangenehme Sache. Seit dem vorletzten Mal sind Jahre vergangen, aber Ihre Ankunft hat den Tank getriggert. Sieht so aus, als hätte ich jetzt noch einige dicht aufeinander folgende Zyklen vor mir. Will jemand vom Eiertoast? Ist ganz köstlich.«
Alle schüttelten den Kopf. Rothbard mampfte weiter. Kleine Stücke Eiertoast flogen von seinen Lippen, als er wieder das Wort ergriff.
Er war nicht so, wie Ryk sich das erträumt hatte. Aber jeder Held wirkte seltsam, wenn er gerade geboren worden war und großen Hunger verspürte. Ryk ermahnte sich. Er musste sich doch langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass alles nicht so war, wie er sich das vorstellte.
Nichts war so, wie er sich das vorstellte. Alles war anders.
»Warum nur acht Stunden?«, fragte er.
»Weil danach der Tank denkt, ich wollte ewig leben und sich dauerhaft abschaltet. Es soll verhindern, dass ich mich multipliziere und es mich mehr als einmal gibt. Dagegen gibt es ein Gesetz.« Er hielt inne. »Gab. In der alten Union. Nur ein Klon pro Person. Das war streng programmiert, dagegen konnte niemand etwas tun. Ich habe Angst, dass ich den Tank, wenn er sich ganz runterfährt, nie wieder anbekomme. Das wäre nicht so gut, meinte mein Erzeuger. Er hat diverse Schutzmechanismen etabliert, ehe er diese Station verließ. Also, das Original. Der echte Rothbard. Er hat den Tank hier platziert, falls es notwendig sein sollte, dass er persönlich eingreifen muss. Passierte eher selten. Alles ist tot, alles wartet, dass etwas passiert, es gibt da eine Art Pattsituation.«
»Zwischen dem Hive und dieser Station?«
»Exakt. Und zwischen mir und der Station. Mit der Zeit … Es gibt da einige Macken in der Programmierung. Jedenfalls ist es für mich besser, wenn ich nicht allzu lange hier herumspaziere. Die Achtstundengrenze kommt mir ganz zupass.«
»Es gibt also keine Gegenmittel gegen den Hive? Die Forschungen sind gescheitert?«
Rothbard hörte auf zu kauen. Er sah Ryk neugierig an. »Jetzt wird es interessant«, sagte er dann. »Erklären Sie mir das. Sie sind hier, um den Hive zu bekämpfen?«
»Er hat die Union vernichtet.«
»Hat er das? So, so. Jaja. Das ist wirklich sehr bedauerlich.«
Rothbard begann wieder zu essen, langsamer und weniger getrieben als eben noch, und nickte Ryk zu, der das zu Recht als Aufforderung wahrnahm. Er erzählte die Geschichte ihrer Expedition, nicht in allen Details, nicht von ihrer Hilflosigkeit, dem Scheitern und den Enttäuschungen. In seiner Darstellung, die sich ansonsten nah an der Wahrheit orientierte, war die Gruppe eine Spur heldenhafter, etwas mehr in Kontrolle über die Ereignisse, entscheidungsfreudig und aktiv. Er log nicht, das war nicht nötig, aber er entwarf ein Selbstbild, dem niemand von den anderen widersprach.
Rothbard ließ sich nicht anmerken, ob er beeindruckt war, aber er nickte bisweilen und grunzte beifällig, wenn eine Ausschmückung des Erzählenden besonders gut gelungen war. Zumindest hoffte Ryk das. Er trug doch nicht zu dick auf?
Wer wollte schon ein großes Baby beeindrucken?
»Danke«, sagte Rothbard, als Ryk geendet hatte. »Eine faszinierende Geschichte. Mein Erzeuger könnte das sicher besser kommentieren als ich. Mir fehlt es nicht an Wissen, aber an Lebenserfahrung.« Er schaute auf seine Uhr, die in die Uniformjacke eingelassen war. »Bin erst eine Stunde alt. Aber faszinierend, ohne Zweifel. Ich fange mal von meiner Seite damit an, Ihnen allen zu gratulieren. Es war die Hoffnung meines Originals, dass jemand wie Sie eines Tages auftauchen würde, um die Dinge wieder in Gang zu setzen, an denen er am Ende scheitern musste.«
»Admiral Rothbard ist also gescheitert, wie ich vermutet habe?«, hakte Ryk nach, dem allein bei dieser Vorstellung heiß und kalt wurde. »Uns sagte man, er sei nie hier angekommen.«
»Wer sagt das?«
Ryk schilderte kurz ihre Erlebnisse auf der Perlenwelt und wie Rothbard dort verehrt wurde. Der Klon nickte mehrmals, lächelte dann.
»Das Flottendepot, die erste Station der letzten Reise meines Originals«, sagte er. »Er war froh, als er von dort wegkam. Da hatten nach dem Zusammenbruch der Union schnell ein paar richtig Irre das Sagen. Glauben Sie bitte nicht mal die Hälfte der Geschichte, vor allem nicht den Teil, in dem er dort friedlich an Altersschwäche gestorben ist.«
»Er kam also hierher«, führte Sia das Gespräch auf die Ursprungsfrage zurück, »und scheiterte?«
»Es ist nicht so einfach.« Der Klon lehnte sich zurück und strich sich mit der Hand über den Bauch. »Das ist das Beste an jeder Geburt, die erste Mahlzeit. Manchmal habe ich sogar Zeit für eine zweite, obgleich das eigentlich Ressourcenverschwendung ist. Man muss sich auch mal was gönnen. Sie alle haben keinen Hunger?«
»Vielleicht können wir jetzt erfahren, was passiert ist und was wir tun können«, sagte Sia mit nur schwer gezügelter Ungeduld in der Stimme.
Rothbard nickte. »Aber ja. Fangen wir mit dem Wichtigsten an: Was Ihre Legenden und die Geschichten Ihrer Vorfahren völlig falsch mitbekommen haben … und das ist kein Vorwurf, das ist aus dem Erlebten auch völlig logisch ableitbar … ist Folgendes: Der Hive ist nicht der Feind. Der Hive will uns retten.«
Starren. Schweigen. Unglauben. Alle hielten sie den Klon für verrückt, zumindest in diesem Moment. Er lächelte verständnisvoll, als Ryk laut aussprach, was ihnen allen als Erstes einfiel: »Der Hive hat unsere Zivilisation zerstört.«
»Das stimmt.«
»Er hat die Union zerschlagen und in ein beinahe schon prätechnologisches Zeitalter zurückgeworfen.«
»Das ist wahr.«
»Millionen Menschen starben.«
»Sehr bedauerlich.« Rothbard hörte sich die Vorwürfe mit absolut unbewegter Miene an und ließ jede Empörung an sich abperlen.
»Und Sie behaupten ernsthaft …?«, wollte Uruhard fortfahren, doch jetzt hob Rothbard eine Hand und unterbrach jede weitere Aufzählung vergangener Gräueltaten.
»Alles, was passiert ist, ist nicht halb so schlimm wie das, was der Zivilisation sonst geblüht hätte. Der Hive war der letzte verzweifelte Versuch, eine umfassende Katastrophe aufzuhalten, und wie ich gerade von Ihnen habe hören müssen, ist das offenbar nur teilweise gelungen. Das macht mir große Sorgen, sehr große sogar, und ich bin ratlos, was das weitere Vorgehen angeht.«
»Es ist lange her, seit Sie das letzte Mal … inkarniert waren?«, fragte Sia.
»Verdammt lange. Die Ankunft