Deutsche Geschichte. Ricarda HuchЧитать онлайн книгу.
Im Kloster sollte ein Grundgedanke des Christentums verwirklicht werden: die Ausschaltung des Privateigentums. Auch nicht ein Buch, nicht einen Griffel sollte der Mönch zu eigen besitzen, allen sollte alles gemeinsam sein. Die meisten Kirchenväter stimmten darin überein, dass der Gemeinbesitz gut, von der Natur und von Gott gewollt sei, dass die Habsucht der Menschen das Sondereigentum eingeführt habe. Damit hing das Gebot der Ehelosigkeit zusammen, denn in der Familie bildet sich die Neigung aus, Vermögen zu erwerben und den Kindern zu vererben, wodurch es der Gemeinde entzogen wird. Dem germanischen Bauer, besonders dem sächsischen, der gern allein auf seinem Hof saß, war die kirchliche Lehre von der Gütergemeinschaft durchaus entgegengesetzt. Auch wurde das strenge Gebot im Kloster oft durchbrochen, da es immer solche gab, die etwas Eigenes zu verheimlichen wussten, worüber es dann zu hässlichen Zankereien kam. Allein wenn auch Heuchelei und Schwäche das Vorleben des christlichen Gedankens trüben und die Unmöglichkeit, ihn rein zu verwirklichen, beweisen mochten, er leuchtete doch von dieser Stätte in die von Habgier zerrissene Welt, einen Hafen allen denen öffnend, die ihm dienen wollten. Hier in diesem geheiligten Bezirk sollte das Gold nur dem Schmuck des Altars dienen, die weißen Hände des Mönchs sollten sich nie um eine erraffte Münze schließen, nur sich öffnen, um sie dem Bedürftigen auszuteilen. Das zur Erhaltung des Lebens Notwendige war da, gab es etwas darüber hinaus, wurde es mit Dank genossen, aber im Allgemeinen sollte die Lehre der Kirchenväter gelten: wer etwas Überflüssiges hat, entzieht es dem Armen. Die Begabung sollte innerhalb der Gemeinschaft zwar anerkannt und gepflegt werden und sich entfalten, aber keinen Vorzug der Ehre oder der Einkünfte zur Folge haben. Alle standen unter gleichem Gesetz, wohnten gleich, nährten und kleideten sich gleich, einzig die Persönlichkeit, deren Wurzel sich menschlichem Eingriff entzieht, göttliche Prägung, die kein irdischer Despot verwischen kann, machte sich durch größeres Lieben und Geliebtwerden geltend, trotz aller Bestimmungen, die auch die Freundesliebe gegenüber der Nächstenliebe beschränken sollten. Soweit es menschliche Leidenschaft und menschliche Schwäche zulassen, wurde hier christliche Brüderlichkeit verwirklicht.
Nicht immer ertrugen die jungen Männer die Vergewaltigung, die ihrer Natur durch das Mönchtum angetan wurde, gutwillig. Oft waren es solche, die schon als Kinder durch Kränklichkeit, Zartheit, Neigung zum beschaulichen Leben, geistige Begabung für die klösterliche Laufbahn vorbestimmt schienen; war das nicht der Fall, so mussten die adligen Knaben, deren Väter und Brüder das Schwert führten, sich im Kriege auszeichneten, Abenteuer erlebten, hart mit sich ringen, bis sie inneren Frieden fanden oder wenigstens sich zu fügen lernten. Zwischen den Klostermauern versiegte manche Träne des Zorns, verhallte mancher Fluch der Verzweiflung. Nur zufällig ist uns das Schicksal des jungen Grafensohnes Wolo überliefert, der, um von ferne die blauen Berge zu sehen, dem Verbote trotzend einen Turm bestieg, stürzte und das Genick brach, im Sterben wohl das Geschick segnend, das ihn befreite. Unseliger endete der sächsische Grafensohn Gottschalk, der auf einem Konzil in Mainz Entlassung aus dem Kloster verlangte, weil er des mönchischen Lebens überdrüssig geworden war. Das Konzil, dem er selbst seine Sache vortrug, war weitherzig genug, seinem Gesuch entsprechen zu wollen, nicht so der Abt des Klosters Fulda, dem er angehörte, Hrabanus Maurus. Der Mann, den die Mit- und Nachwelt wegen seiner Kenntnisse und seiner Frömmigkeit bewunderte, zeigte sich Gottschalk gegenüber bis zur Grausamkeit starr. Er focht das Urteil des Konzils an, indem er sich darauf berief, dass die Gelübde der Eltern, die Kinder dem Kloster darbrächten, nicht gelöst werden könnten. Um Gottschalks Klage über Freiheitsberaubung zurückzuweisen, sagte er, man verliere seine Freiheit nicht, wenn man sich dem Dienste Christi weihe, was Gottschalk doch gar nicht getan hatte. Ludwig der Fromme gab, wie zu erwarten war, dem Abte nach, doch wurde Gottschalk gestattet, in ein anderes Kloster zu gehen, und er wählte Orbais in der Diözese Soissons. Mit der Heftigkeit eines aufgestauten Tatendranges vertiefte er sich in die Schriften des heiligen Augustinus und entdeckte die Lehre von der Gnadenwahl, die er kampflustig und trotzig zu verbreiten suchte als eine Wahrheit, die die Kirche der Christenheit vorenthalten habe. Er überzeugte manche, gewann namhafte Anhänger; aber da sich zwei mächtige Feinde gegen ihn verbündeten, sein alter Gegner, Hrabanus Maurus, der inzwischen Erzbischof von Mainz geworden war, und der gewalttätige Hinkmar, Erzbischof von Reims, beide starke Persönlichkeiten, gelehrt und herrschsüchtig, unterlag er. Durch Geißelhiebe zum Schweigen gebracht, verfiel er schließlich in Wahnsinn. Dass die Lehre von der Gnadenwahl als ketzerisch verurteilt wurde, entsprach dem klugen und milden Geist der katholischen Dogmatik, die den Laien vor dem Gift allzu tief bohrender Gedanken bewahren wollte; den persönlichen Hass, der sich in der Art, wie man ihn behandelte, erweist, mag zu einem Teil das stolze und rechthaberische Wesen des Unglücklichen, der um seine Lehre als um seine Rache kämpfte, verschuldet haben.
Anderen wurde der Zwang zur Läuterung, wie dem jungen Rhätier Viktor in Sankt Gallen, der sehr gelehrt, aber auch anmaßend und widerspenstig war, von seinen Feinden geblendet wurde, dann als Lehrer an die Schule des Bischofs von Straßburg kam und im Rufe der Heiligkeit starb. Für diejenigen, die angeborene starke Kräfte des Geistes und Gemütes nicht vom Irdischen auf das Himmlische übertragen konnten, wurde das Kloster zum Gefängnis; und als Gefängnis diente es auch absichtlich. Das war seine düstere, seine unheimliche Seite. Die Könige benutzten die Klöster, um gefährliche Gegner, etwa Anführer überwundener Völker oder Stämme oder Prätendenten aus der eigenen Familie, Brüder, natürliche Söhne, Neffen, verschwinden zulassen. So endeten Thassilo, der letzte bayrische Herzog aus der Dynastie der Agilolfinger, im Kloster Lorsch, König Lothar, der Sohn Ludwigs des Frommen, im Kloster Prüm in der Eifel.
Übte das Kloster auf die Widerstrebenden Kerkerdruck aus, so konnte es denen, die sich einordneten, zum Paradiese werden. Die regelmäßige Einteilung des Tages und der Nacht, der Wechsel zwischen Tätigkeit, beschaulicher Betrachtung und Gespräch wirkten beruhigend. Vor allen Dingen milderte das tröstende Wort des Freundes auch herbstes Leiden. Gab es neidische, gehässige, bösartige Mönche, so waren doch auch solche da, die durch Güte Frieden und durch Begabung Glanz über ihre Umgebung ausgossen. Dem Umstände, dass Schwaben von jeher Dichter erzeugte, ist es zu verdanken, dass uns Kunde denkwürdiger Persönlichkeiten überliefert ist, die die Zierde schwäbischer Klöster waren. In Sankt Gallen lebte Notker, der trotz seines Zungenfehlers