Der Heidekönig. Max GeißlerЧитать онлайн книгу.
nahe hatte, die hervorträumten unter dem fernen Rande des Himmels. Wo sich die blühende Heide in Büscheln auf schmale Wege wagte — Sträusslein, die der Sommer von weither geworfen hatte, dass man auch hier ihn ahnen sollte. — Dort wohnte Mattheis Maris.
Auf ein Atelier hatte er nun doch verzichtet. Aber die Erlebnisse, die zu diesem Verzichte führten, waren Krieg zweier Welten. Der brach herauf in der Zeit, in der Matheis Maris sein Bauernjungentum verfluchte, sein Paradies — diesen holdseligsten Einfall unter den Sternen! — verfluchte das ganze verlorene Dasein von einst. — Ja, so war das mit ihm. —
Da warf er sich in den Nächten auf seinem Bette herum und presste den Pfühl gegen sein Angesicht, um das Gebet der Einsamkeit und Grösse zu ersticken, das die Verzweiflung aus ihm herausheulte: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!«
Er hatte Bilder von Malern einer neuen Schule gesehen, einer neuen Schule, die grosse Säle für die verrückten Blüten ihrer Jugend brauchte. Die Zeitungen, die in allen Jahren auf die gleiche Weise sündigen, riefen den Ruhm dieser kommenden Männer, als seien sie die Entdecker eines Unerhörten, und als habe es nie die grossen Niederländer gegeben, die Ewigkeit aus ihren Pinseln malten.
Den Odem aus der Brust lief sich Matheis Maris. Und kam in die Ausstellung. Und dachte: „Gott, welch ein Kitsch!“ Aber weil die Zeitungen alle sündigten im gleichen Tone der Überzeugung, so unterwarf sich der biedere Jan van Moor und sagte: „Das also ist es!“ Und eiferte um das Wunder dieses neuen malerischen Sehens und um die neue Technik, die dem Beschauer zumutete — nicht etwa ein Bild, nicht etwa einen Form und Farbe gewordenen Gedanken Gottes, sondern die ihm zumutete, aus Klecksen und einer bestimmten Entfernung zu der Überzeugung zu kommen, das sei nun das in Wahrheit, was der gedruckte Katalog unter der betreffenden Nummer verzeichnete. Zum Beispiel eine Hafenszene aus Amsterdam. Matheis Maris hatte gedacht: es sei das die Schürung des höllischen Feuers durch sieben Teufel ... Oh!
Es bohrte sich in das Gehirn des Matheis Maris, zerbohrte es von allen Seiten; denn er stand natürlich mit den gedruckten Weisheiten der Zeitungen vor den neuen Bildern und las: es sei darin der Bund der Kunst mit der Philosophie geschlossen; er las: da die optische und chemische Wissenschaft mit dem photographischen Apparate die empirische Wirklichkeit restlos wiederzugeben vermöge, habe sich die Kunst in ihr ureigenstes Reich zurückgezogen und verfluche das geniessende Auge und die hinkende Weisheit der Ästheten ... Jawohl, wörtlich so.
Dem Matheis Maris aber lief ein Lachen des Hohns durch die Seele. Freilich: es wurde ein Lachen der Verzweiflung daraus; denn die neue Kunst hatte gefunden, dass die »Gestaltung der einigenden Urwesenheit der Dinge« ihre Aufgabe sei, und dass sich darin der Gegensatz von diesseits und jenseits verliere. Halt! Wurde da nicht aus Erde Himmel gemacht? Und hatte Matheis Maris nicht in dem nichtswürdigen Wahne gelebt, durch sein Schauen ins Herz Gottes diesen Gegensatz ebenfalls auszugleichen? — Es stand geschrieben: Die neue Kunst wolle den Sinn des Lebens gestaltend erfassen ... Matheis Maris versuchte nur den Sinn dieses Worts zu erfassen — aber schon das ging nicht. Er verstand nicht, wie da einer, um diesen Sinn des Lebens gestaltend zu erfassen, »die Macht der Nacht« darstellen konnte als ein paar hundert Keile von Lichtern, die er gegen ebensoviel Keile von Finsternis anprasseln liess. Es sah aus, als sei am Himmel ein Stern geborsten, der gar kein richtiger Stern gewesen war, sondern ein Topf mit einer dicken weissen betäubenden Flüssigkeit. Die klackte nun in die höllische Finsternis der Strasse. Die Menschen fielen stocksteif um. Geborstene Wagenräder, Schattenkringel, einzelne Pferdebeine, Kleckse und Kreuze wimmelten auf dieser Strasse herum. Es war das lächerlichste Tohuwabohu von entgleisten Farben und Vorstellungen — — — ja, eigentlich war es das. Aber dies »eigentlich« bedeutete ein Wort allerverächtlichsten Ketzertums vor dieser neuen Kunst; denn: »Es stehet geschrieben« ...
Matheis Maris senkte seine bis zur körperlichen Pein gequälten Augen auf das bedruckte Papier. Jawohl — es stand geschrieben! Und es stand so geschrieben, dass nur ein bemitleidenswerter, nur ein ganz gottverlorener Dummkopf es wagen durfte zu behaupten: dazu fehle ihm der Glaube ...
Wenn nach fünftausend oder nach zehntausend Jahren jemand diese Geschichte liest — was wahrscheinlich ist — so wird er sich wundern, dass es schon in den grauen Zeiten, in denen der Niederländer Matheis Maris malte, das Schauspiel gegeben hat und dass vor fünftausend oder zehntausend Jahren die Menschen genau so davor zusammengelaufen sind und dass es immer und ewig etwa einen einzigen unter ihnen gibt, der mitten im Stück auflehnerisch hinausrennt ... In diesem einen liegen Ewigkeitswerte robust zutage. — Und es ist vielleicht noch einer unter den Vielzuvielen, der schleicht sich hinaus mit kümmerlichem Weh, verbirgt sich unter die Büsche der Heimaterde, ein wundgeschossenes Wild, und weint das Gebet der Grösse vor sich hin — jawohl, der Kraft und der Grösse: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen! — Also.
Eine Woche lang lief Matheis Maris draussen umher in Einsamkeit und ass Wurzeln. Er schlief unter den Sommerbüschen, wo die Heidebäche rinnen und die grauen Seen sind.
Wenn es einmal recht himmeleinsam um ihn war, ein Schmetterling auf breiten Schwingen vorüberstrich und weithin kaum etwas anderes lebendig zu sein schien als das Flämmern der Luft, dann hörte er auch wohl wieder den Ruf: »Matheis Maris, wo bist du?« ... Fern her klang das, wie aus den anderen Tagen. Und genau wie es von dem ersten Menschen berichtet wird, hätte er antworten können: „Ich schämte mich, darum versteckte ich mich.“ — Alles wiederholt sich in der Welt. Nur die Namen wechseln.
In dieser Zeit geriet er wieder einmal in Nikolaas van der Layens Katakomben in der Westerstrasse.
Er war angetan wie einer, der sich gerüstet hat zu weiter Wegfahrt und sah just aus wie an jenem Tage, an dem er zuerst über die schmale Stiege geschritten war. Dennoch erkannte der Händler die Wandlung, die mit Matheis Maris geschehen war, auf den ersten Blick — was natürlich auch daher kam, dass er über den Kampf, der Maris innerlich zerriss, lange Unterredungen mit ter Meulen gehabt hatte.
Und dennoch — van der Layen schupfte in mitleidloser Härte die Schultern! Er redete von dem Verlust an Geld und von dem bösen Streiche, den ihm seine Gutherzigkeit gespielt habe, als er dem jungen Menschen Bilder abgekauft, um die sich niemand kümmerte. Er habe die Tafeln, die er damals in Rahmen gefügt, längst abgehängt und irgendwo da hinten in einen Winkel geworfen ...
Nach allem, was der Alte daherredete, brachte Maris in seiner Zerknirschtheit den Mut zu der Frage gar nicht auf, ob er etwa einige Gulden zugute hätte bei van der Layen. Vielmehr legte ihm der Mann nahe, es sei wohl angezeigt, dass er von dem armen Jungen so weit als möglich schadlos gehalten würde.
Dem Matheis Maris schrumpfte das Herz ein. Es war der einzige leidlich fröhliche Gedanke gewesen in diesen Tagen, ein paar Gulden mit heimzubringen, damit das Gleichnis vom verlorenen Sohne nicht in allen Stücken auf ihn zuträfe. Nun löschte auch dieser Schimmer einer furchtsamen Hoffnung in ihm aus. Und wiederum schämte er sich — diesmal: seine Armut zu gestehen. Und so sagte er, ein paar Gulden könnte er wohl noch losmachen, wenn auch seine Geldtasche nicht mehr weit reiche ... Schlimmsten Falles konnte er ja den Weg nach Hause über die Heiden suchen, die gegen Süden lagen.
So brachte es der Alte fertig, ihm die paar übrigen Gulden abzunehmen. Dann fiel ihm ein, die Bilder — ja, die Bilder wollte er doch lieber behalten! Natürlich sollte Maris darin eine wohlerwogene Fürsorge erkennen, da es wahrscheinlich die letzte Möglichkeit sei, ein bescheidenes Geld daraus zu lösen. Draussen im Moor, wo der Has und der Fuchs zueinander gute Nacht sagten, würde ja erst recht niemand daran denken, derlei Dinge zu kaufen.
Der unerfahrene junge Mensch, der zuvor die bitteren Klagen des Händlers vernommen, war zwar von dieser Wendung überrascht. Er war aber so zerrieben, so stumpf und so des Kampfes müde, dass er die Verfänglichkeit dieses Vorschlages gar nicht durchdachte. Er nickte also sein Einverständnis und ging davon mit zwei kümmerlichen Gulden in der Tasche, die ihm van der Layen gelassen hatte. — An den Vertrag, den er einst mit ihm geschlossen, hatte der Alte mit keinem Worte gerührt.
An diesem Tage lief Maris in der Richtung gegen seine Heimat gradaus über die Ebene. Hinter sich treten wollte er den Wahnwitz und die Vermessenheit der vorigen Wochen. Er meinte: es sei nun doch so, wie die Leute aus dem Dorfe gesagt hatten: dieser Matheis Maris scheue