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Jockele und seine Frau. Max GeißlerЧитать онлайн книгу.

Jockele und seine Frau - Max Geißler


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Wenn der Wind von Norden dagegenstiess, wehte er wie ein Schleier; denn der Felsen hatte oben eine Nase, die bei zehn Fuss hervorragte. Über diese Nase brauste die Flut hernieder. Deshalb konnte Rolf Krake zwischen der Bergwand und dem Falle stehen mit verschränkten Armen und konnte — hinter sich den Fels und vor sich die brüllende Allmacht des Sturzes — fürchterlich einsam sein.

      Er sagte, er wohne in der Sägemühle, weil er dort an seiner Drehbank drechseln könne, ohne dass er mit seiner Liebhaberei jemandem auf die Nerven falle. Aber es geschah auch deshalb, weil die Sägen, Räder und aufgeregten Wasser lauter redeten als die vielen Stimmen, die in ihm waren.

      Nach alledem könnte man denken, Rolf Krake wäre feindselig gegen seine Mitmenschen gewesen. Aber auch das traf nicht zu; ja es lässt sich sagen, dass er von allen Sturmschwalben der Wohltemperierteste und in seiner Art Liebenswürdigste war. Und der Rücksichtsvollste. Das liess sich schon daran erkennen: er hatte an diesem Vormittage den Gesellschaftsrock angelegt. Es hatte sich in den Strandhäusern wohl herumgesprochen, dass die schöne lichte Frau Do nach der Insel gesegelt sei.

      Do hatte mancherlei Aufträge von Hanna für ihn. Sie spazierte also im Saale mit ihm hin und her. Henrik Tofte trank indessen sehr viel Sekt. Darüber wurde er aber nicht lauter als sonst, und seine Augen verloren nichts von ihrer stahlblauen Klarheit. Wenn er früh zu trinken begann, trank er in der Regel bis in die Nacht, ohne dass seine Hünenkraft erkennbar erschüttert wurde.

      Dieser Vollnatur gab sich Jockele in heller Aufgetanheit hin. Es gab an ihr nichts zu raten. Do aber wurde von Rolf Krakes rätselhaften Dämmerungen aufs tiefste gefesselt. Sie dachte: weder Hanna noch irgendeiner aus diesem Tal ahnt sich heran an seine Seele — und Rolf Krake stand in der Fülle des Lichts, das von ihr ausging, und vergass darüber die Welt und sich selber.

      Nach einer Weile kamen Mister Johnny und Mister James. Beide in grosskarierten hellen Anzügen und in gelben Kalblederschuhen mit dicken Sohlen. Beide in Sportmützen, beide gleich hochaufgeschossen und beide gleich blond und tadellos in der Aufmachung. An dem Malzeug, das sie bei der Tür ablegten, war zu sehen, dass sie Künstler waren oder werden wollten. Zu dieser Zeit waren sie englische Staatsstipendiaten, die von Henrik Tofte jedes Bild von der Staffelei weg erstanden, vorausgesetzt, dass er es nicht mit seinem Namen zeichnete. Mit dem reichlichen Gelde, das sie ihm dafür bezahlten, erwarben sie das Recht, die Bilder als ihre eigenen auszugeben und als Belege ihres Fleisses und Könnens nach England zu senden.

      Dieser Brauch hatte sich aus ihrer Bequemlichkeit einerseits, aus dem andauernden Geldbedarfe Henrik Toftes andererseits entwickelt. Beide Teile fanden ihn angenehm. Aber es war eines der Wasser, die zwischen Gwendolin und Tofte rannen, und über die Gwendolin nicht zu ihm kommen konnte.

      Ihre Shagpfeifen legten sie an diesem Tag auf dem kleinen Tische neben dem Eingang ab.

      „Es ist ein lächerlich schöner Morgen gewesen,“ sagte James King, „ein Morgen mit einer lächerlichen Fülle von Farben.“

      Do und Rolf hatten sich wieder zu dem runden Tische gesetzt; und der Doktor hatte Mühe, sich nicht ausgelassen zu wundern, weil Mister James den Tag und seine Farbenfülle lächerlich fand.

      „Sie malen also eine Nebelstimmung?“ fragte er.

      „Im Gegenteil,“ behauptete James, „dieser lächerliche Reichtum von Licht ist mir erwünscht.“

      „Lächerlich ist das einzige schmückende Beiwort, dessen sich Mister James bedient,“ erklärte Henrik Tofte.

      „Ah soo!“

      „Treten Sie mit ihm in den Metzgerladen, so fragt er: Was kostet diese lächerliche Wurst? Machen Sie mit ihm eine Hochtour, so redet er von lächerlichen Gletschern und Schründen und von einer lächerlichen Herrlichkeit in dem Augenblick, in dem er überwältigt vor der Welt steht. Er hat die Bedeutung dieses Wortes zu eigenem Gebrauch umgeprägt, und es ist für ihn zu einem Universalausdruck seines uneingeschränkten Wohlgefallens geworden. — Dies ist die einzige nennenswerte Eigentümlichkeit an dem grossen Künstler James King.“

      Henrik Tofte allein durste sich eine solche Erklärung erlauben. Er trieb es mit den Menschen, wie er wollte; und man ertrug seine Allmacht. Nur in Gwendolin war eine Kraft über ihn gekommen, vor der diese Allmacht versagte.

      Mister Johnny dagegen fürchtete den starken Henrik noch aus einem anderen selbstsüchtigen Grunde: der Liebe zu Gwendolin. Run ja, die Bilder des Norwegers waren wohl zu allen Zeiten mit Geld zu erkaufen. Und selbst, wenn Tofte der Wandertrieb überkäme, oder wenn er — was noch schlimmer war — sich eines Tages von Gwendolin bereden liesse, seine Lieferungen einzustellen: in einem nahen Augenblick würde er doch an seinen leeren Geldbeutel fassen. Und dann konnte für Tofte und seine beiden „Schüler“ die Sache wieder von vorn anfangen. Aber die lächerlich hübsche, die lächerlich gescheite und die lächerlich mächtige Gwendolin hatte das Schicksal von James und Johnny in der Hand, wenn es ihr einfiel, den genialen Henrik eines Tages zu heiraten!

      Am einfachsten wäre es gewesen, Gwendolin hätte ihre Bilder mit der gleichen stillschweigenden Abmachung dem James und dem Johnny überlassen. Aber die hatte vortreffliche Beziehungen in Deutschland, sie behielt keine fertige Tafel lange im Hause; und zweitens brauchte sie lächerlich wenig Geld.

      Heute morgen hatten James und Johnny droben auf dem Fjeld gelegen, angeblich malenshalber, und hatten sich gesonnt. Dabei hatten sie erwogen, dass sie das mühselige Werken mit Pinsel und Farbe aufgeben und dennoch die berühmtesten Maler Englands werden könnten — nämlich: wenn der starke Henrik ihnen für ein paar Jahre sein Genie verkaufte. Und wenn es nur das war, was er leichtherzig „Kitsch“ nannte ... Seiner Ansicht nach malte Henrik Tofte — wenigstens in dieser Zeit und für James und Johnny — überhaupt nur Kitsch. Er prahlte nie mit seiner Kunst. Aber Gwendolin versicherte den Sturmschwalben: was Henrik eigentlich könne, das wisse kein Mensch, und auch er selbst nicht ... Nun, die Gefahr, dass es die Menschen so bald erführen, war nicht gross; denn was er aus seinem genialen Pinsel strich, das trug einstweilen die Namen John Williams oder James King. Haha! Die beiden hatten in London eine Ausstellung gehabt von „ihren“ Bildern, waren daran zu grossem Ruhme gelangt und waren mit einem Schlage die gesuchtesten Maler ihres Landes geworden. Davon erzählten sie natürlich im Fjord kein Sterbenswörtchen; und es schien, als ob der geniale Henrik nicht einmal die richtige Berachtung für sie aufbrächte.

      Es war ein fabelhafter Bluff. Aber er war lächerlich ungefährlich, solange James und Johnny das Meer zwischen sich und die gläubige Heimat legten und — solange diese Gwendolin Vogelgesang den schönen Pott nicht in Scherben schlug. — Da musste etwas geschehen.

      Jockele und Do, Henrik Tofte und Gwendolin verliessen die erlebnisreiche Tafelrunde schon gegen Mittag; denn Sinsheimers wollten ein Boot kaufen. Die Lockungen des Fjords waren mit unwiderstehlicher Macht über sie gekommen. Aber sie wollten auch nicht immer abhängig bleiben von Nane Thords Fahrzeug, so oft ihnen der Sinn nach der Insel stehen würde.

      Gwendolin musste mit. Das entsprach dem Wunsche Henriks. Wenn er sie nicht in seiner Nähe wusste, geriet er aus seiner „lächerlichen Wurstigkeit“ — wie James King den Normalzustand Henriks in tiefer Bewunderung nannte. Aber wenn er gar einmal nicht wusste, wo sie war, wurde er unfähig zum Schaffen. Dann war ihm sein guter Stern vom Himmel gefallen ... Die Leute wussten das von einem Ende des Fjords bis zum anderen. Sie wussten: dieser Mann, auf den sich die Augen aller richteten, weil er daherschritt wie ein Sieger, konnte Felsen zerdrücken in seinen Händen, und er konnte vor Gwendolin beten. Aber sie hörte ihn nicht. Es war das lauterste Verhältnis, das je zwischen zwei Menschen bestand, und doch wurde zu Land und zu Wasser kaum eines ohne das andere gesehen. Keines betrat die Stube des anderen, die ihnen Nane Thord von ihrem einsamen Fischerhäuschen vermietet hatte. James und Johnny konnten dieses Platzmangels wegen nicht aus dem Eilande wohnen. Die beiden hausten drüben am Festland unter dem Dache der alten Bolette Steensgard, die auch eine Fischerswitwe war. Sinsheimers behalfen sich einstweilen im Gehöft Krokengaard mit zwei kleinen Stuben, die nach dem Fjord hinauslagen. Und Rolf Krake sinnierte in der Sägemühle. —

      Der Wind, der am Morgen die Flut gekräuselt hatte, lag irgendwo schlafen an sonnigem Hange. Deshalb mussten die Männer die Ruder gebrauchen. Es war eine feine


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