Der neue Dr. Laurin Staffel 1 – Arztroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
sich Leon, als Andreas Brink sein Büro betrat.
»Der Herr Friedrich erinnert sich nicht, das habe ich ihm geglaubt. Bei Herrn Fröbel bin ich beinahe sicher, dass er lügt. Wenn du mich fragst, hat er zugestochen. Das hat ja auch Herr Buder vermutet, wobei der aber leider nicht direkt gesehen hat, wie Herr Fröbel zugestochen hat. Aber offenbar war ja sonst niemand anwesend, also …«
»Na ja, theoretisch kommt auch Herr Buder als Täter in Frage – oder nicht?«
»Die Kollegen hatten ihn im Verdacht, aber er hat überzeugend dargelegt, dass er keinerlei Motiv hat. Während die beiden Herren, die sich geprügelt haben, offenbar nicht zum ersten Mal aneinandergeraten sind.«
Leon nickte, das wusste er bereits, aber dieses Wissen behielt er für sich. Er fand nicht, dass er seinem Schwager Einzelheiten einer offenbar etwas komplizierten Liebesgeschichte erzählen musste, zumal diese Einzelheiten zur Aufklärung sicherlich nichts beitrugen. Stattdessen fragte er: »Fingerabdrücke?«
»Das wäre der Idealfall.« Andreas grinste seinen Schwager müde an. »Aber alles ist verschmiert und verwischt, damit kann vermutlich niemand mehr etwas anfangen. Unsere Spurensicherung hat sich alle Mühe gegeben, aber es ist bislang nichts Vernünftiges dabei herausgekommen.«
»Und was heißt das jetzt? Dass der mutmaßliche Täter ungeschoren davonkommt?«
»Nicht so schnell, nicht so schnell, Herr Doktor! Diese Kneipe, vor der das passiert ist, war voller Leute. Ein paar Gäste haben wir schon ausfindig machen können. Zwei haben ausgesagt, dass Herr Fröbel den Herrn Friedrich nicht in Ruhe gelassen hat, obwohl der ihn mehrfach dazu aufgefordert hat. Vielleicht finden wir auch noch jemanden, der zufällig aus dem Fenster gesehen hat.«
»Ich wünsche euch viel Glück. Den Herrn Fröbel entlassen wir übrigens morgen früh. Über Nacht behalten wir ihn noch hier, zur Vorsicht.«
»Gut. Falls noch Fragen auftauchen, komme entweder ich wieder oder ich schicke jemanden anders vorbei. Danke für den Kaffee, Leon.«
»Gerne. Ich wünsche euch viel Erfolg.«
Sobald Andreas gegangen war, wählte Leon die Privatnummer von Schwester Marie. Sie meldete sich schon nach dem ersten Klingeln.
»Sie haben doch nicht etwa auf meinen Anruf gewartet, Marie?«
»Chef! Ist etwas passiert? Wenn Sie anrufen …« Sie unterbrach sich. »Ist etwas mit Eva Maischinger?«
»Seltsam, dass Sie nach ihr fragen, Marie. Über Frau Maischinger wollte ich nämlich mit Ihnen sprechen. Sie haben doch wieder Nachtdienst?«
»Ja, noch die ganze Woche.«
»Wenn Sie etwas früher kommen könnten? Dann hätten wir Zeit für ein Gespräch. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Es könnte wichtig sein.«
»Sie verstehen es, jemanden neugierig zu machen«, stellte Schwester Marie fest. »Ich werde früher da sein, bis nachher also.«
Leon stand auf und streckte sich, dann bat er Moni Hillenberg um eine weitere Tasse Kaffee.
*
»Klar hat er dich niedergestochen«, sagte Sascha, »wer denn sonst? War ja niemand da außer ihm. Und mir natürlich. Die Bullen hatten zuerst mich im Verdacht, weil ich dieses blöde Messer mitgenommen habe.«
»Dich?«, fragte Marco. »Warum hättest du mich denn niederstechen sollen?«
»Das habe ich sie auch gefragt. Ich habe kein Motiv. Es war auf jeden Fall blöd von mir, dass ich das Messer mitgenommen habe. Ich dachte irgendwie, es würde euch Ärger ersparen. Also, vor allem natürlich Tom, der das eigentlich gar nicht verdient hat. War so ’ne Art Kurzschlusshandlung. Man macht ja manchmal komische Sachen, wenn man unter Druck steht. Zu blöd aber auch, dass du dich nicht erinnerst.«
Marco sah Sascha nachdenklich an. »Ganz ehrlich jetzt: Auch wenn ich mich erinnern könnte, würde ich nichts sagen. Er ist ein Mistkerl, aber dass sie ihm einen Mordversuch anhängen, finde ich übertrieben. Er hat mich bestimmt nicht umbringen wollen. Er hatte zu viel getrunken, und er war sauer, weil ich ihm eins auf die Nase gegeben hatte.«
Sascha nickte, so sah er das auch. »Ich war ja gerade bei ihm, er ist sauer, weil sie ihn erst morgen entlassen. Und er hat nicht nach dir gefragt, das ist mies von ihm. Aber andererseits … er ist ein armes Schwein. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.«
»Aber er hätte nicht über Eva herziehen dürfen«, sagte Marco. »Das verzeihe ich ihm nicht.«
»Ach ja, die Eva … Die war gestern ja auch hier, hat sie dich noch besucht?«
Marco starrte Sascha an, als hätte dieser plötzlich angefangen, Chinesisch zu sprechen. »Eva? Hier in der Klinik? Die weiß doch gar nicht, dass ich hier bin! Wieso hätte sie da auf die Idee kommen sollen, mich zu besuchen? Außerdem redet sie nicht mehr mit mir, seit sie sich von mir getrennt hat.«
»Sie war irgendwie komisch – aber ich habe sie nur ganz kurz gesehen. Eine Schwester war bei ihr, so eine ältere, die hat nicht gewollt, dass ich mit ihr rede und mich aufgefordert, dass ich ihr helfe, sie in ein Zimmer zu bringen.«
»Als wäre sie eine Patientin oder so?«
Sascha dachte nach. »Ja, wir haben sie dann gemeinsam in ein Zimmer gebracht, weil sie nicht gut laufen konnte. Sie sah … also irgendwie elend aus. Krankenhauskleidung hatte sie nicht an, aber sie ist komisch gegangen. Tut mir leid, das ging alles so schnell, und ich war auch so überrascht, sie hier zu sehen, dass ich gar nicht weiter darüber nachgedacht habe. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass sie mittlerweile bei dir war.«
Marco versuchte, aus Saschas Worten klug zu werden, aber es gelang ihm nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Eva seinetwegen hier gewesen war – sie hatte ihn ja gemieden seit ihrer Trennung. Aber was hatte sie dann in die Kayser-Klinik geführt? Und wieso ging sie komisch?
»Bist du ganz sicher, dass es Eva war?«
»Sehe ich aus, als würde ich Eva mit einer anderen Frau verwechseln? Natürlich war das Eva! Aber reg dich ab, ich frage einfach noch mal nach und sage dir dann Bescheid. Alles in Ordnung? Du bist plötzlich ganz blass. Mach mir hier jetzt bloß nicht schlapp – ich weiß ja, dass du letzte Nacht erst operiert wurdest.«
»Ist schon … in Ordnung.«
»Es ist wegen Eva, oder?«
Marco nickte stumm. Dann drehte er den Kopf zur Seite, damit Sascha seine Tränen nicht sah.
Sascha war nicht blind, aber klug genug, sich blind zu stellen – und eine Entscheidung zu fällen.
*
Immerhin, nur Kyra war zu Hause! Antonia atmete auf. Alle ihre Kinder gingen auf Ganztagsschulen, die anderen würden erst in etwa einer Stunde allmählich eintrudeln und mit etwas Glück brauchten sie gar nicht zu erfahren, dass ihre Mutter praktisch den ganzen Tag außer Haus gewesen war.
Kyra saß im Wohnzimmer auf dem Boden und legte ein Puzzle. »Hallo, Mama«, sagte sie. »Da bist du ja endlich.«
»Tut mir leid, dass es so spät geworden ist.« Antonia drückte ihrer Jüngsten einen Kuss auf den Scheitel und warf einen Blick auf das Puzzle. Zum Geburtstag würde Kyra ein neues bekommen, eines, das sie sich sehnlichst gewünscht hatte. »Du bist ja schon richtig weit.«
Kyra wandte sich ihr zu. »Du warst gar nicht bei Frau Lehmann, oder?«
Frau Lehmann war eine frühere Nachbarin, die seit kurzem in einem Pflegeheim war. Antonia besuchte sie tatsächlich häufiger, aber in letzter Zeit hatte die arme Frau Lehmann bei jeder unliebsamen Frage als Erklärung herhalten müssen.
»Wie kommst du darauf?«, fragte Antonia, um Zeit zu gewinnen, während sie in einem Sessel Platz nahm.
Kyra grub ihre Zähne in die Unterlippe. »Weil ich dich gesehen habe«, sagte sie schließlich.
Scham und Erschrecken ließen Antonia das Blut in die Wangen schießen.