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Ahnung und Gegenwart. Joseph von EichendorffЧитать онлайн книгу.

Ahnung und Gegenwart - Joseph von Eichendorff


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ganz die schöne Seele! Aber Sie sollten sich der süßen Melancholie nicht so stark ergeben, die edeln Empfindungen greifen den Menschen zu sehr an. – Sie sieht aber doch, flüsterte Friedrich, blitzgesund aus und voll zum Aufspringen. Das kommt eben von dem Angreifen, meinte Leontin. Er: Ach, in wenigen Stunden scheidet uns das eiserne Schicksal wieder, und Berge und Täler liegen zwischen zwei gebrochenen Herzen. Sie: Ja, und in dem einen Tale ist der Weg immer so kotig und kaum zum Durchkommen. Er: Und an meinem neuen schönen Parutsch gerade auch ein Rad gebrochen. – Aber genießen wir doch die schöne Natur! An ihrem Busen werd ich so warm! Sie: O ja. Er: Es geht doch nichts über die Einsamkeit für ein sanftes, überfließendes Herz. Ach! die kalten Menschen verstehen mich gar nicht! Sie: Auch Sie sind der einzige, mein ädler Freund, der mich ganz versteht. Schon lange habe ich Sie im stillen bewundert, diesen – wie soll ich sagen? diesen ädeln Charakter, diese schönen Sentimentre. – Sentiments wollen Sie sagen, fiel er ihr ins Wort und rückte sich mit eitler Wichtigkeit zusammen.

      Ojemine! flüsterte Leontin wieder, mir juckt der Edelmut schon in allen Fingern, ich dächte, wir prügelten ihn durch.

      Die beiden Sentimentalen hatten einander indes mit den Armen umschlungen und sahen lange stumm in den Mond. Nun sitzt die Unterhaltung auf dem Sande, sagte Leontin, der Witz ist im abnehmenden Monde. Aber zu seiner Verwunderung hub er von neuem an: O heilige Melancholie! du sympathetische Harmonie gleichgestimmter Seelen! So rein, wie der Mond dort oben, ist unsere Liebe! Währenddessen fing er an, heftig an dem Busenbande des Mädchens zu arbeiten, die sich nur wenig sträubte. Nun, sagte Leontin, sind sie in ihre eigentliche Natur zurückgefallen, der Teufel hat die Poesie geholt. Das ist ja ein verwetterter Schuft, rief Friedrich und fing oben auf seinem Baume an, ganz laut zu singen. Die Sentimentalen sahen sich eine Weile erschrokken nach allen Seiten um, dann nahmen sie in der größten Verwirrung Reißaus. Leontin schwang sich lachend, wie ein Wetterkeil, vom Baume hinter ihnen drein und verdoppelte ihren Schreck und ihre Flucht.

      Unsere Reisenden waren nun wahrscheinlich verraten und mußten also auf einen klugen Rückzug bedacht sein. Sie zogen sich daher auf den leeren Gängen des Gartens an den Spazierengehenden vorüber und wurden so, vom Dunkel begünstigt, von allen entweder übersehen oder für Ballgäste gehalten.

      Als sie, schon nahe am Ausgange, eben um die Ecke eines Ganges umbiegen wollten, stand auf einmal das schöne Fräulein, die mit einer Begleitung von der andern Seite kam, dicht vor ihnen. Der Mondschein fiel gerade sehr hell durch eine Öffnung der Bäume und beleuchtete die beiden schönen Männer. Das Fräulein blieb mit sichtbarer Verwirrung vor ihnen stehen. Sie grüßten sie ehrerbietig. Sie dankte verlegen mit einer tiefen, zierlichen Verbeugung und eilte dann schnell wieder weiter. Aber sie bemerkten wohl, daß sie sich in einiger Entfernung noch einmal flüchtig nach ihnen umsah.

      Sie kehrten nun wieder in ihr Wirtshaus zurück, wo sie bereits alles zu einer guten Nacht vorbereitet fanden. Leontin war unterwegs voller Gedanken und stiller als gewöhnlich. Friedrich stellte sich eben noch an das offene Fenster, von dem man das stille Dorf und den gestirnten Himmel übersah, verrichtete sein Abendgebet und legte sich schlafen. Leontin aber nahm die Gitarre und schlenderte langsam durch das nächtliche Dorf. Nach verschiedenen Umwegen kam er wieder an den Garten. Da war unterdes alles leer geworden und totenstill, in der Wohnung des Pächters alle Lichter verlöscht und die ganze laute, fröhliche Erscheinung versunken. Ein leichter Wind ging rauschend durch die Wipfel des einsamen Gartens, hin und wieder nur bellten Hunde aus entfernteren Dörfern über das stille Feld. Leontin setzte sich auf den Gartenzaun hinauf und sang:

      Der Tanz, der ist zerstoben,

      Die Musik ist verhallt,

      Nun kreisen Sterne droben,

      Zum Reigen singt der Wald.

      Sind alle fortgezogen,

      Wie ists nun leer und tot!

      Du rufst vom Fensterbogen:

      Wann kommt der Morgen rot?

      Mein Herz möcht mir zerspringen,

      Darum, so wein ich nicht,

      Darum, so muß ich singen,

      Bis daß der Tag anbricht.

      Eh es beginnt zu tagen:

      Der Strom geht still und breit,

      Die Nachtigallen schlagen,

      Mein Herz wird mir so weit!

      Du trägst so rote Rosen,

      Du schaust so freudenreich,

      Du kannst so fröhlich kosen,

      Was siehst du still und bleich?

      Und laß sie gehn und treiben

      Und wieder nüchtern sein,

      Ich will wohl bei dir bleiben!

      Ich will dein Liebster sein.

      Das schöne Fräulein war in dem Hause des Pächters über Nacht geblieben. Sie stand halbentkleidet an dem offenen Fenster, das auf den Garten hinausging. Wer mögen wohl die beiden Fremden sein? sagte sie gleichgültig scheinend zu ihrer Jungfer. – Ich weiß es nicht, aber ich möchte mich gleich fortschleichen und noch heute im Wirtshause nachfragen. – Um Gottes willen, tu das nicht, sagte das Fräulein erschrocken und hielt sie ängstlich am Arme fest. – Morgen ist es zu spät. Wenn die Sonne aufgeht, sind sie gewiß längst wieder über alle Berge. – Ich will schlafen gehen, sagte das Fräulein, ganz in Gedanken versunken. Gott weiß, wie es kommt, ich bin heute so müde und doch so munter. – Sie ließ sich darauf entkleiden und legte sich nieder. Aber sie schlief nicht, denn das Fenster blieb offen, und Leontins verführerische Töne stiegen die ganze Nacht wie auf goldenen Leitern in die Schlafkammer des Mädchens ein und aus.

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