Sigurd 3: Im Auftrag des Königs. Thomas KnipЧитать онлайн книгу.
griff er nach dem Körper und zog ihn auf das rettende Ufer zu.
Dagmar sackte neben ihm auf dem kalten Fels zu Boden und rang um Atem. Gubo sah sich um und erkannte seine Schergen, von denen einer Bettina, der Zofe, ans Ufer half. Er lachte auf. Wieder einmal war das Glück ihm hold. Nie im Leben hätte er damit gerechnet, dass sie alle unbeschadet mit dem Leben davonkommen würden!
»Dem Teufel sei Dank«, murmelte Bruno, während er seinen Griff um Bettinas Arm löste und nach Luft schnappte. »Wir haben es geschafft …«
Noch bevor Gubo etwas erwidern konnte, fauchte Dagmar ihn an. »Schämt Ihr Euch nicht? Wehrlose Frauen ins Verderben zu stürzen?« Trotz ihres aufgelösten Haars und der Erschöpfung der vergangenen Stunden hatte sie sich nach wie vor die Haltung einer Gräfin bewahrt und funkelte den Gauner aus zornerfüllten Augen an.
Unwillkürlich fühlte Gubo sich schuldig, doch dann straffte er seinen Körper und fand zu seiner gewohnten Selbstsicherheit zurück. »Es lag nicht in meiner Absicht, Euch Ungemach zu bereiten, Gräfin Dagmar«, erwiderte er und schwor sich, sich nicht den Schneid abkaufen zu lassen und zuckte dann mit den Schultern. »Aber nun ist es nicht mehr zu ändern.«
Dagmar sah ihn nach wie vor wuterfüllt an. »Und was gedenkt Ihr, jetzt zu tun?«
Gubo sah sie mehrere Augenblicke lang forschend an, bevor er antwortete. »Beruhigt Euch, Gräfin. Bestimmt finden wir Menschen, die uns helfen können.«
Dagmar antwortete ihm nichts darauf, sondern ging auf Bettina zu, die schluchzend auf dem Fels saß. Sie nahm sie in die Arme und sprach ihr tröstende Worte zu. Gubo unterdrückte das erneut aufbrandende Schuldgefühl und sah sich um. Er hatte die Hoffnung, dass noch etwas von der Ladung an Bord des Boots an den Strand gespült worden war, doch das Meer hatte alles mit sich in die Tiefe gerissen.
Er stemmte die Hände in die Hüften und sah zu seinen Männern, die ihn erwartungsvoll anblickten. Ohne ein Wort zu sagen, riss er den Arm hoch und deutete ins Innere der Insel.
*
Die Schiffbrüchigen machten sich auf den Weg. Nachdem sie die Felsklippen erklommen hatten, wurden sie ohne Übergang von einem dicht bewachsenen Urwald umgeben. Knorrige Bäume, deren Wurzeln weit aus dem Erdreich ragten, erhoben sich Dutzende von Metern in die Höhe. Buschwerk, das so dicht wuchs, dass es ein Durchkommen fast unmöglich machte, bedeckte den Boden. Nur ein schmaler Pfad, der fast so wirkte, als sei er von Menschenhand angelegt worden, führte durch das dicht stehende Blattwerk.
Und trotz der üppigen Natur fehlte eines … kein Vogel war zu hören, kein Tier, das aufgeschreckt durchs Unterholz davonpreschte. Es war eine gespenstisch anmutende Ruhe, die die Gruppe umgab.
Mit einem Mal öffnete sich das Unterholz und gab den Blick auf eine kleine Lichtung frei. Doch der Anblick ließ die Menschen erschaudern. Statuen, die die Menschen um mehr als einen Kopf überragten, blickten von beiden Seiten der Lichtung aus dämonisch wirkenden Augen auf sie herab. Sie waren grob gearbeitet und wirkten wie Ungeheuer aus einer tiefen Hölle.
Bettina drückte sich Schutz suchend an Dagmar.
»Ich fürchte mich, Herrin«, gab sie mit leiser Stimme zu und wagte nicht, zu den Statuen aufzusehen. »Uns steht bestimmt Schreckliches bevor.«
Dagmar suchte nach tröstenden Worten. Doch auch sie fühlte, wie sich die Furcht mit Eiseskälte um ihr Herz legte. »Das Gefühl habe ich auch«, konnte sie nur erwidern. »Schau nur diese grausigen Figuren überall!«
Sie wagte kaum, nach vorne zu deuten, in das Dickicht, in dem nun noch weitere dieser unheimlichen Statuen auszumachen waren.
Gubo wollte etwas darauf antworten, als dicht vor ihm ein Pfeil in einen umgestürzten Baumstamm einschlug und federnd stecken blieb. Der Abenteurer zuckte zurück, dann sah er das Stück Papier, das auf den Pfeilschaft aufgesteckt worden war.
»Was ist das?«, stieß er aus. »Ein Pfeil mit einer Botschaft?«
Vorsichtig sah er in die Richtung, aus der der Pfeil gekommen war, ohne jedoch jemanden – oder irgendetwas – im Dickicht auszumachen. Dennoch sah er sich nach allen Seiten um, bevor er sich nach vorne beugte und das Blatt vom Pfeil zupfte.
»Lies vor!«, forderte Benno ihn auf, der sich nervös über die Lippen fuhr.
Gubo tat sich schwer damit, die Schrift zu entziffern. »Fremdlinge …«, setzte er an, »… wenn euch euer Leben lieb ist, verlasst diese Insel. Die …«, er stockte, »… die Dämonen töten jeden, der den Frieden ihres Reiches stört.«
Der Abenteurer besah sich die Zeilen, bevor er auflachte und das Papier zusammenknüllte. Mit einer schwungvollen Bewegung warf er es von sich und griff nach seinem Schwert.
»Ach was! Dummes Geschwätz!«, brauste er auf. »Davon lasse ich mich nicht einschüchtern!«
Er sah sich zu den Übrigen in seiner Gruppe um. »Kommt, wir gehen weiter!«, forderte er sie auf und wies mit dem Schwert in die Richtung, aus der er den Pfeil vermutete.
Leises Murren war unter seinen Männern zu hören. Keiner von ihnen wagte jedoch, gegen ihn aufzubegehren, und so schlossen sie sich ihm an, die beiden jungen Frauen in ihrer Mitte.
*
Zwei Augenpaare verfolgten im Dickicht, wie sich die Menschen von der Lichtung entfernten. Nahezu geräuschlos erhoben sich die Gestalten und sahen der Gruppe nach. Einer der beiden Männer schloss die Hand fester um seinen Bogen.
»Die Fremden befolgen Euren Befehl nicht, Humba«, stellte er verwundert fest.
Der Mann neben ihm stieß zur Antwort einen unwilligen Laut aus. Er strich sich den Echsenpanzer zurecht, den er wie einen Umhang trug. »Ich sehe es, Kerum«, knurrte er. »Dann werden sie sterben.«
Er sah seinen Begleiter an. »Lass uns gehen«, wies er ihn an.
*
Stunden vergingen, in denen die Gruppe unter Gubos Führung über die Insel irrte. Zu ihrem Glück fanden sie eine kleine Quelle, an der sie zumindest ihren Durst stillen konnten. Der Abenteurer war selbst kurz davor, die Hoffnung aufzugeben, noch auf die Bewohner dieser verfluchten Insel zu stoßen, als vor ihm etwas zwischen den Bäumen aufragte.
»Seht, eine menschliche Siedlung!«, rief er seinen Gefährten zu und deutete auf die Steinbauten. Die grob behauenen Steine wirkten alt und waren teils vom Urwald überwuchert.
Dagmar schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht … es ist alles wie ausgestorben …«
Gubo überhörte ihre Worte und ging auf einen frei liegenden Durchlass im Mauerwerk zu. »Lasst uns hineingehen«, meinte er und deutete in die Öffnung. Ohne auf eine Antwort zu warten, durchschritt er den Torbogen.
»Ich fürchte mich!«, konnte sich Bettina nicht zurückhalten. »Gubo wird uns bestimmt alle ins Unglück stürzen!«
Die Gräfin wollte ihr gerade antworten, als Benno sie zu sich herwinkte. »Was zögert ihr? Kommt her!«, herrschte er die beiden Frauen an, die der Aufforderung nur langsam folgten.
Die Dunkelheit des schmalen Durchgangs wich schnell einem unheimlichen Licht, das flackernd über die Wände zuckte. Säulen, die mit Ornamenten und Reliefs reich verziert waren, stützten das Dachwerk, das sich über ihnen im Dämmerlicht verlor.
»Wir sind im Heiligtum der Inselbewohner«, mutmaßte Gubo und sah sich um. »Aber kein Lebewesen ist zu entdecken …«
Sie passierten einen weiteren Durchgang und betraten eine gewaltige Halle, die von großen Ölbecken erhellt wurde, in denen Flammen hoch zur Decke züngelten. Doch es war nicht die archaische Architektur, die die Menschen in ihren Bann nahm – es war die gewaltige Statue, die am anderen Ende der Halle über allem thronte. Sie mochte gut zehn Meter an Höhe betragen, und ihre prankenhaften Arme schienen die Decke zu stützen. Eine Fratze, die an einen Drachen aus der Fabelwelt erinnerte, starrte