Familie Dr. Norden Box 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
denen sie noch nicht klar kam. Ihre Mutter würde dafür Verständnis haben. Jetzt wußte sie auch, daß Ray schuld war an dem ganzen Dilemma.
Sie hätte es wohl noch länger ertragen, wenn sie nicht an Patrick gedacht hätte, aber die kindliche Seele durfte keinen Schaden nehmen. Sie hatte fürchten müssen, daß Ray keine Rücksicht nehmen würde auf das Kind, wenn sie sich weigerte, seine Forderungen zu erfüllen. Es war die schlimmste Demütigung, die ihr widerfahren konnte, als sie erfuhr, daß Ray sie entmündigen lassen wollte, weil sie angeblich das Geld, das monatlich für Patricks Unterhalt zur Verfügung stand, für sich verpraßte und den Jungen vernachlässigte. Ray hatte nicht mit ihrem Widerstand gerechnet, hatte sie doch nie zuvor einen eigenen Willen bekundet. Daß er mit Bess unter einer Decke steckte, hatte sie durch einen Zufall erfahren, als sie einmal versehentlich ihren Tee, den sie abends zu trinken pflegte, verschüttet hatte und noch nicht schlief, als Ray mit Bess darüber sprach, daß sie die Dosis jetzt wohl erhöhen müsse, da er nicht ewig auf den Augenblick warten wolle, daß ihm das Sorgerecht für den Jungen übertragen würde. Schlagartig war ihr bewußt geworden, was sie planten und wie taub und blind sie selbst gewesen war seit dem Tod ihres Schwiegervaters und auch schon vorher. Sie hatte in einem Wolkenkuckucksheim gelebt und sich eingeredet, eine glückliche und geliebte Frau zu sein und ihr Mann nur durch die Krankheit und Tod seines Vaters verändert war.
Ihre Welt war ein einziger Trümmerhaufen geworden, aber daraus wuchs ein Widerstand, den sie nie besessen hatte.
Ray hatte nicht mit diesem Testament gerechnet. Es mußte ihn aus der Bahn geworfen haben, daß sein Vater ihn enterbt hatte, so hatte sie zuerst gedacht, bis sie dann auch begriff, daß James Gambill seinen Sohn schon lange durchschaut gehabt hatte.
Dann erfuhr sie auch, woher ihre Willenlosigkeit kam, als sie eine Probe des Tees an sich brachte und analysieren ließ. Das hatten Bess und Ray ihr nicht zugetraut. Bess war dann sehr schnell verschwunden, bevor sie dazu befragt werden konnte. Ray gelang es, sich damit herauszureden, daß er keine Ahnung von den Machenschaften der Krankenschwester gehabt hätte. Es war ihm nicht zu beweisen, aber gegen die Scheidung unternahm er nichts. Es sprach auch zuviel gegen ihn, vor allem auch die Tatsache, daß er von seinem Vater enterbt worden war.
Maxi wollte sich jetzt nicht zuviel in vage Vermutungen verlieren, aber so manches blieb rätselhaft. Was hatte Bess vorgehabt, warum war sie nach München gegangen? Aber es war auch unklar, wo sie sich in der Zeit nach ihrem Verschwinden aus England aufgehalten hatte, bis sie dann in München auftauchte und die Stellung in der Behnisch-Klinik mit anderem Namen angenommen hatte. War sie da irgendwo mit Ray zusammen gewesen? Hatten sie Pläne geschmiedet, wie er doch an Patricks Erbe herankommen konnte? War die freie Stellung in der Behnisch-Klinik wirklich nur eine zufällige Gelegenheit gewesen, in München Fuß zu fassen?
Maxi sah ein, daß es sinnlos war, sich den Kopf zu zermartern. Wer sollte ihr denn eine Antwort darauf geben?
Jedenfalls war Bess tot und Ray auf sich allein gestellt. Jetzt mußte er damit rechnen, nach dem Überfall auf Monika von der Polizei gejagt zu werden.
Patricks Jauchzen rief Maxi endgültig in die Gegenwart zurück. Er hatte das Gesicht unter den Wasserstrahl der Quelle gehalten und das kühle Wasser getrunken.
»Trink auch, Mami, das ist so gut!« rief er. »Du brauchst nur die Hände aufzuhalten. Ich zeig’ dir, wie du das machen mußt.«
Das kühle Naß belebte Maxi, ihr Gesicht entspannte sich, und Patrick war zufrieden.
Anne sah sie kommen. Sie hatte schon Ausschau nach ihnen gehalten, weil sie lange wegblieben, aber sie lächelte erleichtert, als Patrick so munter an Maxis Hand hopste.
Sie hatte gerade mit Fee telefoniert, weil sie wissen wollte, ob Gambill schon gefaßt worden sei, aber da hatte Fee ihr keine positive Antwort geben können. Wenigstens konnte sie berichten, daß Monika Dannenberg schon bei Bewußtsein gewesen sei.
Das konnte sie Maxi erzählen. »Vielleicht können Sie schon morgen mit ihr telefonieren, Maxi. Haben Sie Patrick gesagt, daß Ihre Mutter in der Klinik ist?«
»Ich habe gesagt, daß sie einen Unfall hatte. Er ist ganz vernünftig, aber er macht sich auch keine schweren Gedanken.«
»Er wird später überhaupt nicht mehr daran denken. Kinder vergessen schnell. Ich habe diese Erfahrung auch bei Mario gemacht. Er konnte sich schon ein paar Wochen später nicht mehr erinnern, daß seine Eltern bei dem Bootsunfall ertrunken waren. Man soll Kinder auch nicht an dramatische Geschehnisse erinnern.«
»Ich fürchte, daß er trotzdem Fragen über seinen Vater stellen wird, auch wenn er sich nicht mehr an ihn erinnern kann.«
»Wenn der eine Bedeutung für ihn hatte, würde er jetzt schon nach ihm fragen«, meinte Anne.
»Jetzt kommt er nicht mit Kindern zusammen, die einen Vater und auch Großeltern haben, aber wenn er zur Schule kommt, könnte das anders werden. Und ich kann doch nicht einfach sagen, daß er tot ist, wenn das gar nicht der Fall ist.«
Wie hätte sie ahnen können, daß dies an diesem Tag schon der Fall sein würde.
Ray Gambill war ziellos herumgeirrt und in einer Kneipe gelandet, hatte Bier und Whisky getrunken und wußte nicht, wohin er eigentlich wollte. Sein Geld ging langsam zur Neige, und er wagte nicht, irgendwo mit einer seiner Kreditkarten zu zahlen, da er doch eine Ahnung hatte, daß man ihn suchte. Nach dem Kneipenbesuch wußte er auch nicht mehr, wo er seinen Leihwagen geparkt hatte. Dann wurde es dunkel, und er landete in einer düsteren Bar, in der es schon turbulent und hitzig zuging. Er war leicht erregbar. Ihn brauchte nur ein anderer beiseite zu drücken, dann schlug er schnell zu. Er hatte damit schon Schwierigkeiten auf den Schulen gehabt und deshalb öfter auch das Internat wechseln müssen. Das hatte Maxi nie erfahren.
Nachdem er weiter zwei Whisky getrunken hatte, gegessen hatte er fast gar nichts an diesem Tag, brauste er schon auf, als ihm ein anderer, bulliger Mann, der auch schon einiges getrunken hatte, sein Glas wegnahm. Ein paar Stöße hin und her, andere begannen zu pöbeln und schon bekam Ray einen Kinnhaken, daß er hintenüber flog, über einen Tisch hinweg. Bewegungslos blieb er am Boden liegen. Mit einem Schlag herrschte atemlose Stille.
»Er ist hinüber«, sagte schließlich einer, der sich über ihn gebeugt hatte.
»Das hat noch gefehlt!« knurrte der Wirt, aber er rief sofort die Polizei. Der bullige Mann hatte sich gleich verdrückt, andere starrten mit glasigen Augen auf den leblosen Körper. Jeder sagte, er sei es nicht gewesen.
Die Funkstreife kam. »Ich will keinen Ärger mit der Polizei haben«, erklärte der Wirt. »Ich habe den Burschen schon x-mal gesagt, daß sie nicht raufen sollen. Das ist ein Fremder, der anscheinend keinen Spaß versteht, er hatte auch schon genug, als er kam.«
Der Notarzt war jetzt eingetroffen und stellte schwache Lebenszeichen fest. Der Polizist hatte einen Paß bei dem Bewußtlosen gefunden und festgestellt, daß es ein Engländer war.
»Das auch noch«, stöhnte der Wirt, »aber gesehen habe ich nicht, wie das passiert ist.«
Keiner hatte es genau gesehen, darin waren alle einer Meinung. Polizisten wußten, wie das bei Raufereien war. Daß der dicke ›Paulke‹ sich verdrückt hatte, sagte keiner, den kannten die meisten schließlich. Den ›Engländer‹ kannte keiner. Es dauerte ein paar Stunden, bis man festgestellt hatte, um wen es sich bei diesem Mann handelte, weil das Kommissariat Fechner die Meldung auf den Tisch bekommen und bald festgestellt hatte, daß es sich um den polizeilich gesuchten Ray Gambill handelte. Da war dieser bereits tot, gestorben an einer Gehirnblutung, die er sich bei seinem Sturz zugezogen hatte, aber bei der Obduktion sollte dann festgestellt werden, daß er schon lange ein bedrohliches Aneurysma hatte.
Dr. Norden erfuhr es noch vor Mitternacht.
»Jetzt können wir wieder ruhig schlafen, mein Schätzchen«, sagte er zu Fee, und sie meinte, daß dies für Maxi erst recht zutreffen würde.
Sie kuschelte sich in Daniels Arm und schnurrte wie ein Kätzchen. Es brachte ihn immer zum Lachen.
»Siehst du, mein Herzallerliebster, jetzt können wir