Familie Dr. Norden Box 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Professor auf, dem gleich der Angstschweiß auf die Stirn trat, als er zum Dekan geholt wurde. Dort wartete bereits Kommissar Fechner.
Mit den Tatsachen konfrontiert, die Fechner inzwischen bekannt geworden waren, brach Schwerdt fast zusammen. Er hatte genügend Verstand, um einzusehen, daß er sich da nicht hinter Ausreden verschanzen konnte. Er war das verkörperte schlechte Gewissen. Der erfahrene Kriminalbeamte, der auch ein guter Psychologe war, hatte es im Gefühl, daß er mehr zu verbergen hatte, als er zugeben mußte.
»Bess hat mich erpreßt«, erklärte Schwerdt mit zitternder Stimme. »Wir hatten damals eine enge Beziehung, und sie hat mich auf raffinierte Art ausspioniert. Ich glaubte, Ruhe vor ihr zu haben, als sie Gambill kennenlernte, von dem sie mehr erwartete, als sie von mir bekommen konnte. Als sich mir in München die Chance meines Lebens bot, dachte ich, ich würde sicher vor ihr sein. Aber dann kehrte Gambills Frau nach München zurück. Die Ehe war geschieden, sie lebt jetzt bei ihrer Mutter mit ihrem Sohn. Es ging Gambill sicher nicht um das Kind, sondern darum, seine Frau zu erpressen. Wahrscheinlich hat Bess ihn auf die Idee gebracht. Sie war ein Teufel.«
»Sie sagen ›war‹«, stellte Fechner fest, und Schwerdt zuckte zusammen. »Sie wird sich wahrscheinlich nie ändern«, sagte er überstürzt.
»Wann haben Sie Bess Melvin zuletzt gesehen?«
»Als sie vor zwei Wochen bei mir erschien und die Referenzen verlangte. Sie hatte einen Paß auf den Namen Bridget Mellet. Als ich sie fragte, woher sie den hätte, sagte sie lachend, daß Ray alles besorgen könnte, auch Dokumente über ein abgeschlossenes Medizinstudium. Ich müsse ihr nur Referenzen für die Behnisch-Klinik geben. Ich habe sie gefragt, weshalb es für diese Klinik sein müsse. Weil sie eine Ärztin suchen, erwiderte sie. Mein Name und meine Stellung wäre ausreichende Protektion, und alles andere wäre ihre Sache. Ich hätte wissen müssen, daß sie mir Schwierigkeiten macht. Es geht um meine Existenz.«
»Die haben Sie längst verspielt«, erklärte Kommissar Fechner. »Frau Dr. Behnisch, auch Dr. Norden und seine Frau sind über alles informiert. Gegen Sie wurde Anzeige erstattet.«
»Und Sie sind ab sofort suspendiert«, warf der Dekan ein.
»Aber sie konnte doch Dokumente über das Arztstudium vorlegen.«
»Unter anderem Namen, so dumm werden Sie doch nicht sein, immerhin haben Sie ein abgeschlossenes Studium«, sagte Kommissar Fechner sarkastisch.
»Sie kennen diese Frau nicht!« stöhnte Schwerdt.
»Wir werden sie schon finden«, erwiderte Fechner.
Schwerdt fuhr sich nervös mit dem Taschentuch über die Stirn.
»Sie verlassen sofort die Universität«, sagte der Dekan mit zornesrotem Gesicht.
»Aber Sie werden in München bleiben und sich zur Verfügung halten«, beendete Fechner dieses Gespräch.
*
Er fuhr zur Behnisch-Klinik. Bess Melvin hatte sich nicht blicken lassen und sich auch nicht gemeldet. Hatte sie bereits das Weite gesucht auf eine Ahnung hin? Eigentlich konnte sie nicht wissen, was inzwischen unternommen wurde. Aber in ihrer Wohnung fand man keinen Hinweis auf eine plötzliche Flucht. Ihre Kleidung war vorhanden, anscheinend fehlte auch kein Koffer, keine Tasche. Nur ihr Auto war nicht da, und ein paar Hausbewohner hatten sie gesehen, als sie gegen zehn Uhr wegfuhr. Ob sie sich irgendwo mit Gambill getroffen hatte? Doch das konnte man nur vermuten, einen Beweis dafür gab es auch nicht. Nichts ließ auf eine überstürzte Flucht schließen, und es sollte ziemlich lange dauern, bis man wieder etwas über Bess Melvin erfuhr.
In der Klinik ging der Betrieb ohne Zwischenfälle weiter, wenngleich Jenny und Michael auch kaum zum Schlafen kamen. Sie konnten sich nicht gleich für einen neuen Assistenten entscheiden. Ein paar Bewerbungen hatten sie vorliegen, aber diesmal wollten sie ganz sichergehen.
Fee hatte ihren Besuch bei Maxi verschoben und ihr nur telefonisch Bericht erstattet, was sich inzwischen getan hatte, aber Maxi machte sich jetzt erst recht Gedanken, wo Bess Melvin sich aufhalten könnte und ob sie jetzt vielleicht mit Gambill zusammen war und sie gemeinsam etwas ausheckten. Patrick merkte davon nichts. Er fühlte sich wohl bei der Muni, die auch von Maxi so genannt wurde. Monika Dannenberg war glücklich, ihren Enkel bei sich zu haben. Über seinen Vater wollte sie nicht nachdenken.
Daß Ray Gambill nichts mit dem Verschwinden von Bess Melvin zu tun hatte, erfuhr Kommissar Fechner, als er von dem Hausverwalter, der auch die Wohnung von Bess kontrollierte, benachrichtigt wurde, daß schon zweimal derselbe Herr dagewesen sei, der nach ihr gefragt hätte. Seinen Namen hätte er leider nicht genannt, aber er hatte ziemlich erregt reagiert, als ihm gesagt wurde, daß die Wohnungsinhaberin bereits von der Polizei gesucht würde.
Auf dem Anrufbeantworter in der Wohnung konnte Fechner dann hören, daß Ray dreimal bei Bess angerufen hatte und sehr verärgert gefragt hätte, wo sie sei, und warum sie sich nicht bei ihm melde. Er würde auf jeden Fall am dritten Mai nach München kommen und im Hotel Residence wohnen.
Danach mußte er bereits drei Tage in München sein und der Mann sein, der nach Bess gefragt hatte.
Fechner fuhr zum Hotel und fragte nach Mr. Gambill. Einen Gast dieses Namens hätten sie nicht, wurde ihm erklärt.
Mehrere Engländer wohnten hier oder hatten hier gewohnt in letzter Zeit. Jetzt sei nur ein Mr. Raymond gemeldet. Gary Raymond.
Er war auch anwesend, und es fiel Kommissar Fechner leicht, ihn nach dem Foto, das ihm Maxi überlassen hatte, als ihren geschiedenen Mann zu erkennen.
Er war sichtlich erschrocken, entdeckt worden zu sein, aber Fechner hatte es mit einem sehr kaltblütigen Mann zu tun, der behauptete, daß es ihm gestattet sei, unter diesem Pseudonym zu reisen.
Er gab unverblümt zu, daß er sich mit Bess Melvin treffen wollte, aber keine Ahnung hätte, wo sie sich aufhielt und auch nicht wußte, was sie in den letzten Wochen getrieben hätte.
»Aber es ist Ihnen bekannt, daß sich Ihre geschiedene Frau in München aufhält.«
»Natürlich ist mir das bekannt, ich möchte ja meinen Sohn besuchen und wüßte nicht, wer mich daran hindern könnte.«
»Zum Beispiel eine gerichtliche Verfügung, die Ihnen verbietet, sich Frau Dannenberg und ihrem Sohn zu nähern.«
»Ich bin englischer Staatsbürger und werde das von unserer Botschaft klären lassen«, erwiderte Ray kalt.
»Sie werden einiges erklären müssen, auch wann Sie Bess Melvin das letzte Mal gesehen haben und wieweit Sie ihr dazu verholfen haben, hier als Ärztin aufzutreten.«
»Keine Ahnung, wie sie das geschafft hat, aber raffiniert genug ist sie ja. Ich möchte selbst wissen, wo sie sich aufhält, sie ist mir manche Erklärung schuldig. Und Ihnen bin ich gar keine schuldig.«
»Wir werden sehen«, sagte Kommissar Fechner, aber momentan hatte er wirklich nichts gegen Ray Gambill in der Hand, außer daß er unter falschem Namen reiste, aber mit einem gültigen Paß.
Er war aber auch sicher, daß Maximiliane Dannenberg vor diesem Mann geschützt werden mußte.
*
Fee Norden hatte die Mappe, in der sie die verschiedensten Zeitungsausschnitte aufbewahrte, gefunden und betrachtete sie. Die meisten bezogen sich auf Hochzeiten in prominenten Kreisen, mit denen sie persönlich zu tun hatten und auch eingeladen worden waren. Auch über ein paar Todesfälle hatte sie Berichte aufgehoben, und manche Erinnerung erwachte.
Sie betrachtete lange die Fotos von Maxis Hochzeit. Sie waren ein wirklich attraktives Paar gewesen. Wieder fragte sich Fee, warum dieser Mann sich so verändern konnte. Ein Mann mit zwei Gesichtern, das gab es öfter, aber auch zwei unterschiedliche Charaktere in einem Menschen? Sein Vater wirkte ausgesprochen vornehm, und so war er ihr auch in Erinnerung. Konnte sein Sohn so ganz anders sein, oder was hatte ihn so verändert? Wie sollte sie darauf eine Erklärung finden, die auch Maxi nicht gefunden hatte, obgleich sie Jahre mit ihm verheiratet war und zusammengelebt hatte, und sie hatte ihn geliebt. Konnte Liebe denn so irren? Aber Maxi