Nathan der Weise. Gotthold Ephraim LessingЧитать онлайн книгу.
Nun, vortrefflich! — Lügt
Das Sprichwort wohl: daß Mönch und Weib, und Weib
Und Mönch des Teufels beide Krallen sind?
Er wirft mich heut aus einer in die andre.
Daja. Was seh ich? —Edler Ritter, Euch? — Gott Dank!
Gott tausend Dank! — Wo habt Ihr denn
Die ganze Zeit gesteckt? Ihr seid doch wohl
Nicht krank gewesen?
Tempelherr. Nein.
Daja. Gesund doch?
Tempelherr. Ja.
Daja. Wir waren Euretwegen wahrlich ganz
Bekümmert.
Tempelherr. SO?
Daja. Ihr war’t gewiß verreist?
Tempelherr. Erraten!
Daja. Und kamt heut erst wieder?
Tempelherr. Gestern.
Daja. Auch Rechas Vater ist heut angekommen. Und nun darf Recha doch wohl hoffen?
Tempelherr. Was?
Daja. Warum sie Euch so öfters bitten lassen.
Ihr Vater ladet Euch nun selber bald
Aufs dringlichste. Er kommt von Babylon,
Mit zwanzig hochbeladenen Kamelen
Und allem, was an edeln Spezereien,
An Steinen und an Stoffen Indien
Und Persien und Syrien, gar Sina
Kostbares nur gewähren.
Tempelherr. Kaufe nichts.
Daja. Sein Volk verehret ihn als einen Fürsten.
Doch daß es ihn den weisen Nathan nennt,
Und nicht vielmehr den reichen, hat mich oft
Gewundert.
Tempelherr. Seinem Volk ist reich und weise Vielleicht das nämliche.
Daja. Vor allem aber
Hätt’s ihn den Guten nennen müssen. Denn
Ihr stellt Euch gar nicht vor, wie gut er ist.
Als er erfuhr, wie viel Euch Recha schuldig:
Was hätt’, in diesem Augenblicke, nicht
Er alles Euch getan, gegeben!
Tempelherr. Ei!
Daja. Versucht’s und kommt und seht!
Tempelherr. Was denn? Wie schnell
Ein Augenblick vorüber ist?
Daja. Hätt’ ich,
Wenn er so gut nicht wär’, es mir so lange
Bei ihm gefallen lassen? Meint Ihr etwa,
Ich fühle meinen Wert als Christin nicht?
Auch mir ward’s vor der Wiege nicht gesungen,
Daß ich nur darum meinem Eh’gemahl
Nach Palästina folgen würd’, um da
Ein Judenmädchen zu erziehn. Es war
Mein lieber Eh’gemahl ein edler Knecht
In Kaiser Friedrichs Heere —
Tempelherr. Von Geburt
Ein Schweizer, dem die Ehr’ und Gnade ward,
Mit Seiner Kaiserlichen Majestät
In einem Flusse zu ersaufen. — Weib!
Wievielmal habt Ihr mir das schon erzählt?
Hört Ihr denn gar nicht auf, mich zu verfolgen?
Daja. Verfolgen! Lieber Gott!
Tempelherr. Ja, ja, verfolgen,
Ich will nun einmal Euch nicht weiter sehn!
Nicht hören! Will von Euch an eine Tat
Nicht fort und fort erinnert sein, bei der
Ich nichts gedacht; die, wenn ich drüber denke,
Zum Rätsel vor mir selbst mir wird. Zwar möcht’
Ich sie nicht gern bereuen. Aber seht,
Ereignet so ein Fall sich wieder: Ihr
Seid Schuld, wenn ich so rasch nicht handle; wenn
Ich mich vorher erkund’ — und brennen lasse,
Was brennt.
Daja. Bewahre Gott!
Tempelherr. Von heut’ an tut
Mir den Gefallen wenigstens und kennt
Mich weiter nicht. Ich bitt’ Euch drum. Auch laßt
Den Vater mir vom Halse. Jud’ ist Jude.
Ich bin ein plumper Schwab. Des Mädchens Bild
Ist längst aus meiner Seele, wenn es je
Da war.
Daja. Doch Eures ist aus ihrer nicht.
Tempelherr. Was soll’s nun aber da? Was soll’s?
Daja. Wer weiß!
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen.
Tempelherr. Doch selten etwas Bessers. (Er [geht.)
Daja. Wartet doch!
Was eilt Ihr?
Tempelherr. Weib, macht mir die Palmen nicht
Verhaßt, worunter ich so gern sonst wandle.
Daja. So geh’, du deutscher Bär! So geh’! — Und doch
Muß ich die Spur des Tieres nicht verlieren.
(Sie geht ihm von weitem nach.)
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