Aristoteles: Gesammelte Werke. AristotelesЧитать онлайн книгу.
gewöhnlichen Leuten, mit näheren und entfernteren Bekannten verhalten und ebenso die sonstigen Unterschiede berücksichtigen, indem er jedem gibt was ihm zukommt. An und für sich macht er sich lieber angenehm und scheut sich zu verletzen, berücksichtigt dabei jedoch die Folgen, wenn sie größer sind, ich meine das Gute und Nützliche. Auch wird er gegebenen Falls wegen einer darauf folgenden großen Freude eine kleine Unlust hervorrufen.
So also ist beschaffen wer die Mitte hält, doch hat er keine eigene Bezeichnung erhalten. Von denen, die sich angenehm machen wollen, ist derjenige, der nur hierauf und auf sonst nichts bedacht ist, gefallsüchtig; wer es aber dabei auf seinen Vorteil, auf Geld und Geldeswert, abgesehen hat, ist ein Schmeichler. Wer aber gegen jedermann unangenehm ist, der ist, wir haben es schon gesagt, eigensinnig oder launenhaft und streitsüchtig oder zänkisch.
Der Gegensatz scheint hier nur in den Extremen zu liegen, weil die Mitte unbenannt ist99.
Dreizehntes Kapitel.
So ziemlich auf gleichem Gebiete liegt jene Tugend, die der Prahlerei gegenüber die Mitte darstellt. Auch sie ist unbenannt, doch schadet es nicht, auch dergleichen Eigenschaften zu erörtern, da man durch die Behandlung des Einzelnen eine bessere Erkenntnis der Moral erlangt, und man weiter auch in der Überzeugung, daß die Tugenden Mitten sind, bestärkt wird, wenn man sieht, daß es überall so ist. Was nun die gesellschaftlichen Tugenden betrifft, so ist von denen, die es mit dem Angenehmen und Unangenehmen des Umgangs zu tun haben, die Rede gewesen, und so wollen wir denn jetzt von denen handeln, die der Wahrheit und Unwahrheit in Wort und Werk und Gebahrung zugetan sind.
Der Prahler scheint sich den Anschein rühmlicher Eigenschaften zu geben, solcher, die er nicht hat, und größerer als er hat; der Ironische umgekehrt scheint seine wirklichen ehrenvollen Eigenschaften zu verläugnen oder zu verkleinern; derjenige endlich, der die Mitte hält, der als Mann der Wahrheit in Wort und Tat immer er selbst ist, gibt was er Lobenswertes an sich hat, zu, ohne es zu vergrößern oder zu verkleinern. Dies aber kann man freilich so wohl zu einem besonderen Zweck tun als ohne das. Doch jedermann spricht und handelt und lebt so, wie er habituell ist, so lange er keinen besonderen Zweck verfolgt.
Nun ist die Lüge an sich schlecht und tadelnswert und die Wahrheit gut und lobenswert. Und so ist auch der Wahrhaftige, der die Mitte hält, lobenswert; die aber mit Lügen umgehen, verdienen beide Tadel, nur der Prahler in höherem Maße. Wir wollen also jeden für sich betrachten, und zwar zuerst den Wahrhaftigen. Wir haben es aber wohlgemerkt jetzt nicht mit dem zu tun, der in Verträgen oder überhaupt in Dingen, die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit (1127b) betreffen, wahrhaft ist – denn solches geht eine andere Tugend an –, sondern mit demjenigen, der auch wo nichts derartiges in Frage steht, in Rede und Leben bei der Wahrheit bleibt, weil er habituell so ist. Ein solcher Mann muß wohl billig gesinnt sein. Denn der Wahrheitsliebende, der auch wo nichts darauf ankommt, die Wahrheit sagt, wird dies um so eher tun, wenn es darauf ankommt. Denn er wird sich vor der Lüge als einer Unsittlichkeit hüten, weil er sie an sich schon verabscheut. Ein solcher Mann aber ist des Lobes würdig. Er weicht von der Wahrheit (wenn sie nicht ganz feststeht) lieber nach Seiten des Zuwenig ab. Denn dies scheint passender zu sein, weil Übertreibungen widerwärtig sind.
Wer sich ohne besondere Absicht größer macht als er ist, gleicht zwar etwas einem schlechten Manne, weil er sonst nicht gern löge, ist aber wohl mehr ein leerer und eitler als ein böser Mensch. Hat er aber eine Absicht dabei, so ist er, wenn dieselbe auf Ehre und Ansehen gerichtet ist, wie der Prahler nicht allzusehr zu tadeln, geht sie aber auf Geld und Geldeswert, so zeigt er sich in einem häßlicheren Lichte. Die Prahlerei liegt aber nicht in dem Vermögen zu prahlen, sondern in dem freien Willen. Man ist ein Prahler auf Grund eines Habitus, weil man nämlich entsprechend beschaffen ist, wie man auch ein richtiger Lügner ist, weil man am Lügen selbst Freude hat, während ein anderer um des Ansehens oder des Gewinns willen lügt. Die also prahlen, um sich ein Ansehen zu geben, schreiben sich Eigenschaften zu, wegen deren man gelobt oder glücklich gepriesen wird. Die es aber des Gewinnes wegen tun, schreiben sich solche zu, von denen einmal ihre Nebenmenschen Vorteil haben, und deren Nichtvorhandensein sich sodann verbergen läßt; sie geben sich z. B. für kluge Wahrsager oder Ärzte aus. Darum legt man sich meistens grade dieses bei und tut groß damit. Denn hier treffen die genannten Bedingungen zu100.
Die Ironischen, die sich in der Rede kleiner machen, geben sich als Leute von feinerer Sitte. Denn sie scheinen sich nicht aus Gewinnsucht solcher Rede zu bedienen, sondern um alle Aufgeblasenheit zu vermeiden. Am liebsten verläugnen sie was ihnen große Ehre macht, wie auch Sokrates zu tun pflegte. Die sich aber in kleinen und offenkundigen Dingen verstellen, nennt man »Baukopanurgen« (sich zierende Schlauköpfe) und findet sie lächerlich, und zuweilen erscheint diese Eigenschaft als Prahlerei, z. B. wenn man ein lakonisches Kleid trägt. Denn wie in dem Übermaß, so steckt auch im übertriebenen Mangel Prahlerei. Die aber die Ironie mit Maß und in nicht gar zu handgreiflichen und offenkundigen Dingen anwenden, erscheinen als freie und anmutige Menschen.
Den Gegensatz zur Wahrhaftigkeit scheint die Prahlerei zu bilden, weil sie der schlimmere Fehler ist.
Vierzehntes Kapitel.
Da es im Leben auch eine Erholung gibt und bei dieser eine mit heiterem Scherze verbundene Unterhaltung, so (1128a) scheint es auch hier eine angemessene Art des Verkehrs zu geben, eine Art zu sprechen was und wie man soll, und ebenso zu hören, obschon es auch wieder einen Unterschied macht, ob man bei solchen Gesprächen das Wort führt oder blos zuhört. Offenbar findet sich aber auch hier der Mitte gegenüber ein Zuviel und ein Zuwenig.
Die nun im Scherzen zuviel tun, erweisen sich als Possenreißer und lästige Menschen, indem sie schlechterdings darauf aus sind, Spaß zu machen, und sich mehr Mühe geben, Lachen hervorzurufen, als etwas Anständiges zu sagen und die aufgezogene Person nicht zu verletzen. Die aber selbst niemals scherzen und denen, die einen Scherz machen, böse sind, erscheinen als steif und trocken. Die aber angemessen zu scherzen wissen, heißen artig und gewandt, als wüßten sie sich wohl zu wenden. Denn solche Scherze sind gleichsam Bewegungen des Charakters, des inneren Menschen, und wie man die Körper nach ihren Bewegungen beurteilt, so auch des Menschen sittliche Eigenart101. Da aber das Komische ungemein beliebt ist und die Meisten für Scherz und Spott mehr als gebührlich eingenommen sind, so werden auch wohl die Possenreißer als angenehme Leute artig genannt. Daß sie sich aber von ihnen unterscheiden, und zwar nicht wenig, erhellt aus dem Gesagten.
Dem mittleren Habitus in dieser Beziehung ist auch die Wohlanständigkeit102 eigentümlich. Es verrät den anständigen Menschen, nur solches zu sagen und anzuhören, was sich für einen gesitteten und vornehmen Mann paßt. Gewisse Scherze nämlich geziemt es sich wohl für einen solchen Mann zu machen und anzuhören: es ist ein Unterschied zwischen dem Scherz vornehmer und roher, dem Scherz gebildeter und ungebildeter Personen. Man kann das auch an den Lustspielen der Alten und der Neueren sehen : jenen lag das Komische in der Zotenreißerei, diesen liegt es vielmehr in der Doppelsinnigkeit, was beides in Bezug auf Schicklichkeit nicht wenig verschieden ist103.
Wie ist nun der, der auf die rechte Weise spottet, zu bestimmen? Etwa dahin, daß er sage was für einen humanen Mann paßt, oder dahin, daß er den Hörer nicht kränke oder ihn gar ergötze? Oder sollte auch das zu unbestimmt sein? Ist doch dem dies, dem jenes unangenehm und angenehm, wonach sich dann auch die Aufnahme richtet, die das Gehörte findet. So