Aristoteles: Gesammelte Werke. AristotelesЧитать онлайн книгу.
und geht man nicht weiter. Jenes Vermögen für die eigentümlichen Sinnesqualitäten ist mehr Sinn als Klugheit, das hier gemeinte Vermögen aber ist von anderer Art167.
Zehntes Kapitel.
Die Klugheit unterscheidet sich aber vom Verstände dadurch, daß sie sucht und überlegt, da ja das Überlegen ein Suchen ist168.
Wir müssen aber auch ermitteln, was die Wohlberatenheit ist, ob eine Wissenschaft oder Meinung oder richtiger Takt, oder ob sie zu einer anderen Gattung gehört169.
Wissenschaft ist sie offenbar nicht. Denn was man weiß, (1142b) danach sucht man nicht; die Wohlberatenheit ist aber eine Art Beratschlagung, und wer beratschlägt, sucht und schließt.
Ebensowenig ist sie ein richtiger Takt. Denn dieser sucht nicht nach Gründen und bedarf keiner Zeit. Zum Beraten aber gehört viele Zeit, und es ist ein bekanntes Wort, man müsse was man beraten und beschlossen, unverweilt ausführen, zum Beraten aber sich Zeit gönnen. Auch von der schnellen Auffassung oder Findigkeit ist die Wohlberatenheit verschieden, da doch die Findigkeit eine Art von richtigem Takt ist.
Die Wohlberatenheit ist endlich auch keinerlei Meinung170.
Da vielmehr wer sich übel berät, fehlt, und wer sich wohl berät, sich richtig berät, so ist Wohlberatenheit offenbar eine gewisse Richtigkeit, aber eine Richtigkeit weder des Wissens noch der Meinung. Denn dem Wissen kommt nicht noch eine besondere Richtigkeit zu, weil es auch keine Verkehrtheit erträgt, bei der Meinung aber ist Richtigkeit gleich Wahrheit; zugleich steht auch schon alles, was man meint, subjektiv fest.
Aber die Wohlberatenheit entbehrt auch nicht der Gründe und des Denkens. Mithin bleibt nur übrig, daß sie zum Nachdenken gehört, das ja noch kein Behaupten ist. Denn die Meinung ist kein Suchen, sondern schon ein Behaupten, wohl aber ist es von dem, der sich berät, tue er dieses nun gut oder schlecht, wahr, daß er nach etwas sucht und Überlegungen anstellt.
Die Wohlberatenheit ist also vielmehr Richtigkeit des Rates oder der Überlegung, daher zuerst untersucht werden müßte, was Rat und Überlegung ist, und worauf sie sich beziehen171.
Was aber das Moment der Richtigkeit angeht, so hat dieselbe viele Bedeutungen, so daß hier offenbar nicht jede Richtigkeit gemeint sein kann.
Der Unenthaltsame nämlich und der Schlechte wird was er zu erkennen sich vorgesetzt hat, durch seine Überlegung treffen und wird sich somit richtig beraten und doch dabei großen Schaden genommen haben. Das Wohlberatensein gilt aber für etwas Gutes. Denn nur eine solche Richtigkeit des Rates, die uns das Gute treffen läßt, ist Wohlberatenheit.
Aber auch dieses kann man mittelst eines falschen Schlusses treffen, und so zwar treffen was man tun soll, aber nicht durch den rechten Mittelbegriff, sondern durch einen falschen. Und so ist auch das noch nicht Wohlberatenheit, wenn man zwar trifft was man soll, aber nicht durch den Mittelbegriff, durch den man sollte.
Ferner kann man sich lange Zeit beraten, bis man das Rechte trifft, während ein Anderer schnell damit zustande kommt. So ist denn auch dieses noch keine Wohlberatenheit, sondern das ist vielmehr eine Richtigkeit im Sinne des Ersprießlichen, die gleichzeitig das Was, das Wie und das Wann umfaßt.
Endlich kann man teils schlechthin wohlberaten sein, teils mit Beziehung auf ein einzelnes Geschäft. Mithin ist Wohlberatenheit schlechthin diejenige, die für den Zweck des Lebens schlechthin das Richtige trifft, dagegen Wohlberatenheit in einer bestimmten Hinsicht jene, die es für ein einzelnes Geschäft trifft.
Wenn demnach wohlberaten zu sein ein Merkmal des klugen Mannes ist, so kann man sagen: die Wohlberatenheit ist Richtigkeit in Bezug auf das, was zu einem Zweck frommt, von dem die Klugheit eine wahre Meinung hat.
Elftes Kapitel.
Auch die Verständigkeit und die Unverständigkeit, wonach (1143a) man von verständigen und unverständigen Leuten spricht, ist einerseits nicht mit Wissenschaft oder Meinung ganz identisch – denn sonst wäre jedermann verständig –,172 noch ist sie anderseits eine einzelne, partikuläre Wissenschaft, wie die Medizin die Wissenschaft von dem Gesunden oder die Geometrie die Wissenschaft von der Größe ist. Denn die Verständigkeit hat es weder mit dem immer Seienden und Unbewegten, noch mit irgend einem Enstehenden zu tun, sondern mit dem, was Gegenstand des Zweifelns und Überlegens sein kann. Daher hat sie einerlei Gebiet mit der Klugheit, ohne daß jedoch Verständigkeit und Klugheit dasselbe ist; denn die Klugheit ist gebietend, da es ihr Ziel ist, zu bestimmen, was man tun oder nicht tun soll; die Verständigkeit dagegen ist nur beurteilend; denn Verständigkeit und Wohlverständigkeit und verständig und wohlverständig ist dasselbe173.
Verständigkeit ist weder der Besitz noch die Erlangung der Klugheit, sondern wie man beim Lernen von Verstehen spricht, wenn einer die Wissenschaft, die er schon hat, entsprechend anwendet, so auch, wenn man die Meinung anwendet, um über das, was der Klugheit obliegt, fremder Rede gegenüber zu urteilen, das heißt zutreffend zu urteilen. Denn wohl und zutreffend ist einerlei. Und der Name der Verständigkeit, durch die man wohlverständig ist, kommt daher, nämlich von dem Verstehen beim Lernen. Denn wir sagen oft Verstehen für Lernen174.
Die sogenannte Gnome, Diskretion oder Unterscheidung, dergemäß wir von diskreten Personen reden, und sagen, man besitze Diskretion, ist die richtige Beurteilung des Billigen. Ein Zeichen dessen ist dieses. Dem Mann der Billigkeit sagen wir nach, er neige vorzüglich zur Nachsicht (Syggnome), und Billigkeit ist uns soviel als mit manchem Nachsicht haben. Nun ist aber die Nachsicht eben eine richtige Beurteilung des Billigen. Richtig aber ist jenes Urteil, das der Wahrhafte fällt175.
Zwölftes Kapitel.
Man kann aber von allen diesen Eigenschaften mit Recht behaupten, daß sie auf dasselbe Objekt hinzielen.
Denn wir sprechen von Diskretion, Verständigkeit, Klugheit und Verstand, indem wir unbedenklich denselben Personen die Eigenschaft der Diskretion und des Verstandes zuschreiben und sie klug und wohlverständig nennen176. Denn alle diese Potenzen befassen das Letzte und das Einzelne, und einmal zeigt sich der Wohlverständige und der Diskrete oder Nachsichtige darin, daß er über die Dinge, mit denen der Kluge es zu tun hat, urteilt, da das Billige ja bei allem Guten177, das ein fremdes Interesse berührt, in betracht kommt. Alles Praktische aber gehört zum Einzelnen und zum Letzten, da sowohl der Kluge das, was zu tun ist, kennen muß, als auch die Verständigkeit und die Diskretion es mit dem Praktischen zu tun haben; das Praktische ist aber das Letzte. Sodann ist aber auch der Verstand nach beiden Seiten mit dem Letzten befaßt. (1143b) Denn auf die ersten und auf die letzten Begriffe geht der Nus, der Verstand, und nicht der Logos, das Vermögen der Schlußfolgerung; und