Chefarzt Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
sollte? Fragen über Fragen, auf die er keine Antwort fand. Über die er immer noch nachdachte, als er vor Anette Pastor stand.
Das Beatmungsgerät pumpte Luft in ihre Lungen. Die Elektroden auf ihrer Brust zeichneten die Herztätigkeit auf. Alles deutete darauf hin, dass sich ihr Zustand stabilisiert hatte.
»Das Anti-Serum!«
Das Keuchen hinter ihm riss Matthias aus seinen Gedanken. Er zuckte zusammen. Fuhr herum und starrte den Kollegen Gruber verständnislos an.
»Wie bitte?«
»Das Anti-Serum!« Benjamin hielt das Fläschchen hoch.
»Ach so, natürlich.«
Unter den verwunderten Blicken seines Kollegen griff Dr. Weigand nach dem Medikament.
Durch den Venenzugang an ihrer Hand drückte er das Gegenmittel langsam in die Blutbahn seiner Patientin. Klappernd landete die leere Plastikkanüle im Abfall. Danach überprüfte und notierte er die Werte des Überwachungsmonitors und korrigierte die Tropfgeschwindigkeit der Infusion. Schließlich begann die schwierigste Phase vieler Behandlungen: Den Ärzten blieb nichts weiter übrig, als abzuwarten, ob die Therapie anschlug. Fast alle empfanden diese Stunden, manchmal Tage der Tatenlosigkeit als nervenaufreibend. In dieser Hinsicht unterschied sich der Notarzt nicht von seinen Kollegen. Im Normalfall. Doch was war in diesen Tagen schon normal? Nachdem Matthias seine Notizen in der elektronischen Akte vermerkt hatte, blieb er einfach auf dem Hocker sitzen und starrte vor sich hin.
Benjamin Gruber beobachtete ihn.
»Alles in Ordnung, Dr. Weigand?«
Es dauerte, bis seine Frage zu dem Kollegen durchdrang. Matthias nickte langsam.
»Ja, ja, alles gut. Gehen Sie nur. Ich bleibe hier und passe auf unsere Anette auf.«
Benjamin blieb nichts anderes übrig, als der Anweisung nachzukommen. Gut fühlte er sich nicht dabei. Irgendetwas stimmte nicht mit Dr. Weigand. Wenn er nur gewusst hätte, was es war.
*
»Oh, Dan, es tut mir wahnsinnig leid. Aber mir ist gerade aufgefallen, dass ich mein Handy auf dem Esstisch liegengelassen habe.«
Daniel Norden atmete auf. »Und ich dachte schon, dass etwas Schlimmes passiert ist.« Seit dem Herzinfarkt seiner Frau saß ihm ständig die Angst im Nacken. Jeder ihrer Anrufe aus der Klinik trieben seinen Blutdruck in die Höhe.
»Aber das ist schlimm«, versicherte Fee. »Darauf sind die Passwörter gespeichert, ohne die ich nicht in die verschiedenen Systeme komme.«
Mit dem Hörer am Ohr stand Daniel vom Schreibtisch auf. Er verließ das Arbeitszimmer und ging hinüber ins Esszimmer.
»Manchmal frage ich mich, wie wir früher ohne all die elektronischen Hilfsmittel überlebt haben.«
Felicitas lachte leise.
»Die Frage enthält bereits die Antwort. Früher hatten wir keinen Computer und benötigten ergo auch keine Passwörter.«
Daniel lächelte.
»Ich liebe dich. Aber ich muss dich enttäuschen. Auf dem Esstisch liegt dein Lebenselixier nicht.«
»Dann vielleicht in der Küche auf der Theke. Oder im Wohnzimmer«, zählte Fee jeden Ort auf, an sie an diesem Tag kurz vor dem Aufbruch in die Klinik gewesen war. »Irgendwo dort muss es sein.«
Daniel hörte Stimmen im Hintergrund. Er verstand nicht jedes Wort. Nur so viel, dass Fee gebraucht wurde.
»Bist du so lieb und bringst es mir in die Klinik, wenn du es gefunden hast? Du bist ein Schatz. Kuss.« Dann war die Leitung unterbrochen.
Lächelnd machte sich Daniel Norden auf die Suche und fand das Telefon schließlich auf der Kommode im Flur. Wenig später war er unterwegs in die Klinik. Auf den letzten Metern verfolgte er einen Krankenwagen, der in die Notaufnahme abbog. Er parkte den Wagen und wählte den Weg über die Ambulanz, um etwas über den Notfall zu erfahren. Ein Rollstuhlfahrer kreuzte seinen Weg.
»Aydin? Was machen Sie denn hier? Ich dachte …« Daniels Blick fiel auf die leicht bekleidete Frau, die auf der Liege hereingerollt wurde. Das grelle Licht der Kliniklampen war alles andere als vorteilhaft. Trotzdem war die Frau aus der Bar schön wie Dornröschen. Ihr Schlaf schien ebenso tief zu sein.
Milan konnte die Gedanken von den Augen seines Chefs ablesen. Er schüttelte den Kopf.
»Sagen Sie nichts!«
»Hätten Sie nicht etwas pfleglicher mit ihr umgehen können?«
»Ich sagte: Sagen Sie nichts!«
Dr. Norden zog einen Mundwinkel hoch, ehe er sich an die Rettungsärztin wandte.
»Was meinen Sie? Ist der Kollege Aydin schuld an ihrem Zustand?«
Annabel Kunstmann sah kurz hoch, korrigierte die Blickrichtung etwas nach unten und musterte den Mann im Rollstuhl.
»Zwischendurch war sie kurz wach und hat über Übelkeit und Bauchschmerzen geklagt. Außerdem habe ich einen Hautausschlag festgestellt. Ihr Blutdruck ist beängstigend niedrig und reagiert nicht auf IV-Flüssigkeit«, zählte sie die Symptome auf, ehe sie sich wieder an den Klinikchef wandte. »Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein. Ich glaube nicht, dass ein Mann für diese Probleme verantwortlich ist.«
Milan Aydin schnitt eine Grimasse.
»Ist das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung?«
»Das können Sie sich aussuchen.« Annabel lächelte wie die Eiskönigin höchstpersönlich und hielt Dr. Norden das Protokoll zur Unterschrift hin. Ein paar Augenblicke später rumpelte der Krankenwagen vom Hof.
Unterdessen hatte sich Dr. Norden auf den Weg in die Kinderabteilung gemacht. Er lieferte das Mobiltelefon bei seiner Frau ab, tauschte ein paar Sätze mit ihr, gab ihr einen Kuss, ehe er in die Notaufnahme zurückkehrte.
Muriel lag ihm Behandlungszimmer. Sie war wieder bei Bewusstsein. Dr. Lekutat hatte die Behandlung übernommen. Inzwischen lagen die ersten Untersuchungsergebnisse vor.
»Das große Blutbild ist unauffällig, das Abdomen-CT ohne Befund«, teilte sie ihrem Chef im Nebenzimmer mit.
Daniel griff nach dem Tablet. Seine Augen glitten an den Zahlenkolonnen hinab.
»Was könnte ihr fehlen?«
»Fragt der König unter den Diagnostikern.« Dr. Lekutat schmunzelte.
Doch weder Daniel noch Milan Aydin war zum Lachen zumute.
»Vielleicht eine Arthritis. Eine begleitende Vaskulitis verursacht Nervenschäden«, machte Dr. Aydin einen Vorschlag.
Daniel Norden schüttelte den Kopf.
»Das würde keine Blutdruckprobleme auslösen.« Er legte den Zeigefinger an die Wange. Ließ sich alles durch den Kopf gehen, was er zu diesem Fall gehört hatte. »Frau …« Erst jetzt fiel ihm ein, dass er ihren Namen gar nicht kannte.
»Muriel«, erklärte Milan.
»Und wie weiter?«
Die beiden Männer sahen sich ratlos an.
Es war Christine Lekutat, die ihnen aus der Patsche half.
»Muriel Buri. Ein Name wie ein Fischgericht.«
Diesmal konnte sich Daniel ein Schmunzeln nicht verkneifen.
»Frau Buri hat über Bauchschmerzen geklagt. Vielleicht ist ein Karzinom dafür verantwortlich.«
»Dazu passt der Ausschlag nicht.« Milan ärgerte sich darüber, dass ihm die Punkte an Muriels Hüfte nicht aufgefallen waren. Aber hätte das etwas geändert?
»Stimmt«, musste Dr. Norden wohl oder übel einräumen. Seine Gedanken wanderten weiter. Noch einmal ging er im Geiste sämtliche Möglichkeiten durch. Vergeblich. »Problem ist Muriels Blutdruck. Wenn wir den nicht so schnell wie möglich in den Griff