Der Goldene Topf. E.T.A. HoffmannЧитать онлайн книгу.
— Was hilft es, daß mir der Konrektor Paulmann Hoffnung zu einem Schreiberdienste gemacht hat? Wird es denn mein Unstern zulassen, der mich überall verfolgt? — Nur noch heute! — Ich wollte den lieben Himmelfahrtstag recht in der Gemütlichkeit feiern, ich wollte ordentlich was daraufgehen lassen. Ich hätte eben so gut wie jeder andre Gast in Linkes Bade stolz rufen können: Marqueur — eine Flasche Doppelbier — aber vom besten bitte ich! — Ich hätte bis spät Abends sitzen können, und noch dazu ganz nahe bei dieser oder jener Gesellschaft herrlich geputzter schöner Mädchen. Ich weiß es schon, der Mut wäre mir gekommen, ich wäre ein ganz anderer Mensch geworden; ja, ich hätte es so weit gebracht, daß wenn diese oder jene gefragt: wie spät mag es wohl jetzt sein? oder: was ist denn das, was sie spielen? da wäre ich mit leichtem Anstande aufgesprungen, ohne mein Glas umzuwerfen, oder über die Bank zu stolpern; mich in gebeugter Stellung anderthalb Schritte vorwärts bewegend, hätte ich gesagt: Erlauben Sie, Mademoiselle, Ihnen zu dienen, es ist die Ouvertüre aus dem Donauweibchen, oder: es wird gleich sechs Uhr schlagen. — Hätte mir das ein Mensch in der Welt übel deuten können? — Nein! sage ich, die Mädchen hätten sich so schalkhaft lächelnd angesehen, wie es wohl zu geschehen pflegt, wenn ich mich ermutige zu zeigen, daß ich mich auch wohl auf den leichten Weltton verstehe und mit Damen umzugehen weiß. Aber da führt mich der Satan in den verwünschten Äpfelkorb, und nun muß ich in der Einsamkeit meinen Sanitätsknaster — « Hier wurde der Student Anselmus in seinem Selbstgespräche durch ein sonderbares Rieseln und Rascheln unterbrochen, das sich dicht neben ihm im Grase erhob, bald aber in die Zweige und Blätter des Holunderbaumes hinaufglitt, der sich über seinem Haupte wölbte. Bald war es, als schüttle der Abendwind die Blätter, bald als kosten Vöglein in den Zweigen, die kleinen Fittiche im mutwilligen Hin- und Herflattern rührend. Da fing es an zu flüstern und zu lispeln, und es war als ertönten die Blüten wie aufgehangene Kristallglöckchen. Anselmus horchte und horchte. Da wurde, er wußte selbst nicht wie, das Gelispel und Geflüster und Geklingel zu leisen halbverwehten Worten:
Zwischen durch — zwischen ein — zwischen Zweigen, zwischen schwellenden Blüten, schwingen, schlängeln, schlingen wir uns — Schwesterlein — Schwesterlein, schwinge dich im Schimmer — schnell, schnell herauf — herab — Abendsonne schießt Strahlen, zischelt der Abendwind — raschelt der Abendwind — raschelt der Tau — Blüten singen — rühren wie Zünglein, singen wir mit Blüten und Zweigen — Sterne bald glänzen — müssen herab — zwischen durch, zwischen ein schlängeln, schlingen, schwingen wir uns Schwesterlein. —
So ging es fort im Sinne verwirrender Rede. Der Student Anselmus dachte: das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten flüstert. — Aber in dem Augenblick ertönte es über seinem Haupte wie ein Dreiklang heller Kristallglocken; er schaute hinauf und erblickte drei in grünem Gold erglänzende Schlänglein, die sich um die Zweige gewickelt hatten und die Köpfchen der Abendsonne entgegenstreckten. Da flüsterte und lispelte es von neuem in jenen Worten, und die Schlänglein schlüpften und kosten auf und nieder durch die Blätter und Zweige; und wie sie sich so schnell rührten, da war es als streue der Holunderbusch tausend funkelnde Smaragde durch seine dunklen Blätter. Das ist die Abendsonne, die so in dem Holunderbusch spielt, dachte der Student Anselmus: aber da ertönten die Glocken wieder und Anselmus sah, wie eine Schlange ihr Köpfchen nach ihm herabstreckte. Durch alle Glieder fuhr es ihm wie ein elektrischer Schlag, er erbebte im Innersten — er starrte hinauf, und ein Paar herrliche dunkelblaue Augen blickten ihn an mit unaussprechlicher Sehnsucht, so daß ein nie gekanntes Gefühl der höchsten Seligkeit und des tiefsten Schmerzes seine Brust zersprengen wollte. Und wie er voll heißen Verlangens immer in die holdseligen Augen schaute, da ertönten stärker in lieblichen Akkorden die Kristallglocken, und die funkelnden Smaragde fielen auf ihn herab und umspannen ihn, in tausend Flämmchen um ihn herflackernd und spielend mit schimmernden Goldfaden. Der Holunderbusch rührte sich und sprach: »Du lagst in meinem Schatten, mein Duft umfloß Dich, aber Du verstandest mich nicht: der Duft ist meine Sprache, wenn ihn die Liebe entzündet.« Der Abendwind strich vorüber und sprach: »Ich umspielte Deine Schläfe, aber Du verstandest mich nicht: der Hauch ist meine Sprache, wenn ihn die Liebe entzündet.« Die Sonnenstrahlen brachen durch das Gewölk und der Schein brannte wie in Worten: »Ich umgoß Dich mit glühendem Gold, aber Du verstandest mich nicht: Glut ist meine Sprache, wenn sie die Liebe entzündet.«
Und immer inniger und inniger versunken in den Blick des herrlichen Augenpaars, wurde heißer die Sehnsucht, glühender das Verlangen. Da regte und bewegte sich alles, wie zum frohen Leben erwacht. Blumen und Blüten dufteten um ihn her, und ihr Duft war wie herrlicher Gesang von tausend Flötenstimmen; und was sie gesungen, trugen im Widerhall die goldenen vorüberfliehenden Abendwolken in ferne Lande. Aber als der letzte Strahl der Sonne schnell hinter den Bergen verschwand und nun die Dämmerung ihren Flor über die Gegend warf, da rief, wie aus weiter Ferne, eine rauhe tiefe Stimme:
Hei, hei! was ist das für ein Gemunkel und Geflüster da drüben? — Hei, hei! wer sucht mir doch den Strahl hinter den Bergen! genug gesonnt, genug gesungen. — Hei, hei! durch Busch und Gras — durch Gras und Strom! — Hei, — hei — Her u — u — u nter — Her u — u — u nter!
So verschwand die Stimme wie im Murmeln eines fernen Donners, aber die Kristallglocken zerbrachen im schneidenden Mißton. Alles war verstummt, und Anselmus sah, wie die drei Schlangen schimmernd und blinkend durch das Gras nach dem Strome schlüpften; rischelnd und raschelnd stürzten sie sich in die Elbe, und über den Wogen, wo sie verschwunden, knisterte ein grünes Feuer empor, das in schiefer Richtung nach der Stadt zu leuchtend verdampfte.
ZWEITE VIGILIE.
Wie der Student Anselmus für betrunken und wahnwitzig gehalten wurde. — Die Fahrt über die Elbe. — Die Bravourarie des Kapellmeisters Graun. Conradis Magen-Likör und das bronzierte Äpfelweib.
»Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste«, sagte eine ehrbare Bürgersfrau, die vom Spaziergange mit der Familie heimkehrend, still stand und mit übereinandergeschlagenen Armen dem tollen Treiben des Studenten Anselmus zusah. Der hatte nämlich den Stamm des Holunderbaumes umfaßt und rief unaufhörlich in die Zweige und Blätter hinein: »O nur noch einmal blinket und leuchtet, ihr lieblichen goldnen Schlänglein, nur noch einmal laßt eure Glockenstimmchen hören! Nur noch einmal blicket mich an, ihr holdseligen blauen Augen, nur noch einmal, ich muß ja sonst vergehen in Schmerz und heißer Sehnsucht!« Und dabei seufzte und ächzte er aus der tiefsten Brust recht kläglich, und schüttelte vor Verlangen und Ungeduld den Holunderbaum, der aber statt aller Antwort nur ganz dumpf und unvernehmlich mit den Blättern rauschte, und so den Schmerz des Studenten Anselmus ordentlich zu verhöhnen schien. — »Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste,« sagte die Bürgersfrau, und dem Anselmus war es so, als würde er aus einem tiefen Traum gerüttelt oder gar mit eiskaltem Wasser begossen, um ja recht jähling zu erwachen. Nun sah er erst wieder deutlich, wo er war, und besann sich, wie ein sonderbarer Spuk ihn geneckt und gar dazu getrieben habe, ganz allein für sich selbst in laute Worte auszubrechen. Bestürzt blickte er die Bürgersfrau an und griff endlich nach dem Hute, der zur Erde gefallen, um davon zu eilen. Der Familienvater war unterdessen auch herangekommen und hatte, nachdem er das Kleine, das er auf dem Arm getragen, ins Gras gesetzt, auf seinen Stock sich stützend mit Verwunderung dem Studenten zugehört und zugeschaut. Er hob jetzt Pfeife und Tabaksbeutel auf, die der Student fallen lassen, und sprach, beides ihm hinreichend: »Lamentier' der Herr nicht so schrecklich in der Finsternis, und vexier' Er nicht die Leute, wenn ihm sonst nichts fehlt, als daß Er zu viel ins Gläschen geguckt — geh' Er fein ordentlich zu Hause und leg' Er sich aufs Ohr!« Der Student Anselmus schämte sich sehr, er stieß ein weinerliches Ach! aus. — »Nun, nun«, fuhr der Bürgersmann fort, »laß es der Herr nur gut sein, so was geschieht dem Besten, und am lieben Himmelfahrtstage kann man wohl in der Freude seines Herzens ein Schlückchen über den Durst tun.
Das passiert auch wohl einem Manne Gottes — der Herr ist ja doch wohl ein Kandidat. — Aber wenn es der