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Das Schönste von Max Dauthendey. Max DauthendeyЧитать онлайн книгу.

Das Schönste von Max Dauthendey - Max Dauthendey


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denn ich werde mich nie diesem Mädchen verraten. Meine Gedanken an sie werden mit der Zeit erkalten müssen. Wenn du mich nicht an sie verrätst, werde ich sie vergessen können.«

      Und die Frau versprach ihm, wenn sie heimkommen würde, dem Mädchen, das so unschuldig war wie ihr Mann, nicht gram sein zu wollen und über alles zu schweigen, was sie von ihm in dieser Nacht erfahren. Er wußte, was sie versprochen habe, würde sie auch halten.

      Nachdem die Frau wieder abgereist war, nahm der Mann bald ein Bild nach dem andern von den Wänden herab und rückte die Vasen in eine Ecke eines hohen Schrankes, wo er sie nicht sehen konnte, rollte die seidene Decke zusammen und packte sie fort. Auch die Balladenbücher nahm er vom Brett und legte sie in eine Schublade, die er verschloß. Denn seit jener Aussprache in der Silvesternacht war der Geist des Mädchens, der sonst um die Stunde der Maus in seinem Herzen schwül umgegangen war, von ihm ferngeblieben, und die stille Leidenschaft starb in dem Mann allmählich ab. Der Händler ging eifrig seinen Geschäften nach, vermied es, die Abende allein zu verbringen, suchte Freunde und Bekannte auf und schien allmählich vollständig zu genesen von dem Liebesalb, der ihn so lange heimlich bedrückt hatte.

      Da erhielt er eines Tages ein Telegramm, worin seine Frau ihn bat, schleunigst nach Hause zu kommen, da jener jungen Verwandten ein schweres Unglück zugestoßen wäre.

      Der Mann zitterte einen Augenblick, als er das Papier mit der Nachricht in den Händen hielt. Dann aber machte er sich kühl und hart gegen alte auflodernde Gefühle und reiste mit dem nächsten Zug nach Hause.

      Die Frau empfing ihn mit verweinten Augen und schluchzte an seinem Hals und sagte ihm, daß das junge Mädchen durch einen plötzlichen Unfall getötet worden war. Dabei aber stotterte sie:

      »Du wirst glauben, ich bin schuld an ihrem Tod. Aber ich schwöre dir, ich bin unschuldig.«

      Der Mann erstaunte und fragte, welches Unglück sich ereignet habe, und hörte dann von der schluchzenden Frau, daß das Mädchen durch einen unvorsichtigen Schritt in die geöffnete Falltür, die sich im Fußboden des Ladens befand, abends im Dunkeln, als sie eben die Nachtwache antreten wollte, in den tiefen Keller gestürzt war, auf dessen mit Steinplatten gepflastertem Boden man die Unglückliche mit gebrochenem Rückgrat tot aufgefunden hatte.

      »Aber wer hat denn die Tür in den Keller aufstehen lassen?« fragte der Südfrüchtenhändler entsetzt.

      Die Frau verbarg das Gesicht an seiner Brust und schluchzte von neuem:

      »Ich bin es gewesen, ich. Ich bin wohl an ihrem Tode schuld, aber ich habe ihn nicht absichtlich verschuldet.«

      Da durchlief den Mann ein Schauder, und er zog sich aus der Umarmung seiner Frau zurück.

      Sie aber klammerte sich fest an ihn und rief verzweifelt: »Als es mir plötzlich einfiel, daß ich die Kellertür offen gelassen hatte, bin ich oben aus dem Zimmer in das Stiegenhaus gestürzt und habe ihr nachgerufen, sie solle nicht in den Laden gehen, da die Falltür zu dem Keller offen wäre. Im selben Augenblick aber hörte ich schon einen Schreckensruf und den polternden Aufschlag eines Körpers im tiefen Gewölbe.«

      Die Frau setzte sich auf einen Stuhl und schluchzte in ihre beiden Hände. Und als sie nach einer Weile wieder aufsah, war das Zimmer leer.

      Sie glaubte, der Mann wäre auf den Kirchhof in die Leichenhalle gegangen, um das Mädchen noch einmal zu sehen. Aber er war, ohne Abschied zu nehmen, in sein Geschäft in der Hafenstadt zurückgereist und ließ seine Frau deutlich fühlen, daß er es nicht glauben konnte, sie habe die Falltür ohne Absicht offen stehen lassen.

      Gleich nach der Beerdigung des Mädchens reiste sie zu ihm und erklärte ihm noch einmal, daß sie unschuldig wäre. Er aber ging wieder aus dem Zimmer und wollte nicht mit ihr sprechen.

      Sie kehrte in den Laden in der Provinz zurück, verzweifelt darüber, daß sie ihren Mann nicht zum Glauben an ihre Unschuld bringen konnte.

      Von dem ausgestandenen Schrecken und von dem Schweigen ihres fernen Mannes gefoltert, wurde sie immer schwächer und erkrankte zuletzt an einem Gehirnfieber.

      Eines Tages erhielt der Südfrüchtenhändler einen Eilbrief von einem Arzt, der ihn aufforderte, schleunigst zu kommen, wenn er seine Frau noch am Leben finden wollte, denn ihre Stunden wären gezählt.

      Der Mann kam, aber die Fiebernde kannte ihn nicht mehr. Der Arzt sagte, er solle sich an ihr Bett niedersetzen, es wäre möglich, daß sie kurz vor dem Sterben zum Bewußtsein kommen und ihn erkennen würde.

      Da saß er nun und hörte die Fiebergespräche, in denen sie immer wieder die Worte wiederholte, daß sie unschuldig wäre. Aber er konnte es doch nicht glauben. Sie hat aus Eifersucht getötet, sagte er zu sich selbst.

      Plötzlich richtete sich die Fiebernde im Bett auf und erkannte ihren Mann.

      »Bist du gekommen, mir zu glauben?« rief sie erleichtert aus.

      Da sah er in ihre Augen, und beim Ton ihrer Stimme mußte er glauben, daß sie unschuldig war am Tod der andern.

      Und er bat in seinem Herzen das Schicksal um ein Wunder: Die Sterbende soll leben bleiben und gesund werden, wenn sie unschuldig ist, sagte er in seinem Schweigen.

      Er sah ihr fest ins Auge und beschwor ihr fliehendes Leben mit seinem innersten Wunsch.

      »Ich glaube dir. Du bist unschuldig. Wir haben beide keine Schuld und wollen glücklich und ruhig weiterleben,« sagte er laut zu der Kranken, deren Kopf erschöpft auf die Seite sank, während ihre Augen ihn halbverklärt betrachteten.

      »Ich will schlafen, und wenn ich aufwache, will ich mit dir glücklich sein wie früher,« sagte die Frau mit schwacher Stimme.

      Seine Hände betteten ihren Kopf sorgsam in die Kissen. Er wachte dann zwölf Stunden an ihrem Bette, und in all der Zeit hielt er ihre Hände in seinen Händen.

      Nach zwölf Stunden schlug die Frau einen Augenblick die Augen auf, und als sie sein Gesicht neben sich sah, lächelte sie.

      »Schlafe dich gesund!« sagte ihr Mann. Sie schloß wieder die Augen und schlief noch einmal zwölf Stunden. Und nach der vierundzwanzigsten Stunde saß der Mann immer noch wach an ihrem Bett und hielt ihre Hände fest wie in der ersten Stunde.

      Sie schlug die Augen auf, und als sie ihn immer noch neben sich sah, war sie glücklich und gestärkt und fühlte, daß sie zum Leben zurückkehrte. Und sie fuhr streichelnd mit der Hand über die Augen ihres Mannes. Dann sank sein Kopf zu ihr auf die Kissen, und er schlief ein, und sie schliefen beide noch einmal zwölf Stunden.

      Dann erwachte sie gesund und gestärkt. Und seit dieser Stunde war bei ihnen alles Vergangene vergessen, und ihr Leben wurde von jetzt ab glücklich wie in den ersten Tagen ihrer Ehe.

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