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Maigret und Pietr der Lette. Georges SimenonЧитать онлайн книгу.

Maigret und Pietr der Lette - Georges  Simenon


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der die Kette eingehängt hatte.

      »Polizei! Was ist los?«

      »Ein Verbrechen … Gerade haben wir entdeckt …«

      »Wagen 5?«

      »Ich glaube, ja …«

      Im Bahnhof ging es zu wie immer. Nur an Gleis 11 bot sich ein ungewohnter Anblick. Etwa fünfzig Reisenden wurde der Durchgang verwehrt. Sie verloren die Geduld.

      »Lassen Sie sie durch«, sagte Maigret.

      »Aber …«

      »Lassen Sie sie durch!«

      Er beobachtete, wie dieser letzte Strom sich in Bewegung setzte. Der Lautsprecher kündigte die Abfahrt eines Vorortzuges an. Irgendwo rannten Leute. Vor einem der Wagen des Étoile du Nord wartete eine kleine Gruppe auf irgendetwas. Drei Männer in der Uniform der Eisenbahngesellschaft.

      Zuerst kam der Bahnhofsvorsteher herbeigelaufen, wichtigtuerisch, aber beunruhigt. Dann wurde eine Rollbahre durch die Halle geschoben, quer durch die Wartenden, die ihr mit unbehaglichen Blicken folgten. Vor allem die Abreisenden.

      Maigret ging den Zug entlang, mit schweren Schritten, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen, von Wagen zu Wagen. Wagen 1. Wagen 2 … Er erreichte Wagen 5.

      Dort standen die drei Eisenbahner vor der Tür. Die Bahre hielt an. Die Männer redeten auf den Bahnhofsvorsteher ein.

      »Polizei! Wo ist er?«

      Man sah ihm sichtlich erleichtert entgegen. Er schob seinen massigen Körper gelassen in die aufgeregte Gruppe, und mit einem Mal waren die anderen nur noch Nebenfiguren.

      »In der Toilette …«

      Maigret stieg ein und sah die offene Toilettentür zu seiner Rechten.

      Auf dem Boden lag ein Körper, zusammengekrümmt, seltsam verdreht.

      Draußen auf dem Bahnsteig gab der Zugführer Anweisungen:

      »Der Wagen wird auf ein Abstellgleis gefahren … Wartet! … Gleis 62 … Und sagt der Aufsicht Bescheid!«

      Zuerst sah er nur den Nacken des Mannes, dann, als er die schief sitzende Mütze zurückschob, auch das linke Ohr.

      »Äußerer Ohrmuschelrand auffällig geformt, Ohrläppchen groß, anliegend, Gegenleiste schmal …«, murmelte er.

      Auf dem Linoleum waren ein paar Blutspritzer. Er sah sich um. Die Eisenbahner standen auf dem Bahnsteig und auf dem Trittbrett. Der Vorsteher redete und redete.

      Da drehte Maigret den Kopf des Mannes um und biss noch fester auf seine Pfeife.

      Wenn er nicht den Reisenden im grünen Mantel am Ausgang gesehen hätte, wenn er nicht gesehen hätte, wie er zusammen mit einem Dolmetscher vom Hôtel Majestic zu einem Wagen ging, wären ihm vielleicht Zweifel gekommen.

      Dieselben Kennzeichen. Derselbe kleine blonde, bürstenartige Schnurrbart unter einer geraden Nase mit breiter Basis. Dieselben hellen, dünnen Augenbrauen. Dieselben graugrünen Pupillen.

      Mit anderen Worten: Pietr der Lette!

      Maigret konnte sich in der winzigen Toilette nicht bewegen. Der Wasserhahn tropfte; jemand hatte vergessen, ihn zuzudrehen, und aus einer porösen Dichtung dampfte es.

      Seine Beine stießen gegen den Leichnam. Er richtete ihn halb auf und sah auf der Brust, auf Hemd und Jacke Schmauchspuren eines aus nächster Nähe abgegebenen Schusses.

      Ein großer schwärzlicher Fleck, in den sich das Purpurrot des Blutes mischte.

      Ein Detail fiel dem Kommissar auf. Zufällig sah er einen der beiden Füße, verrenkt und verdreht wie der ganze Körper, den man zusammengedrückt haben musste, um die Tür zu schließen.

      Der Schuh war schwarz, sehr gewöhnlich und billig und offenbar schon einmal neu besohlt worden. Der Absatz war an der einen Seite abgelaufen, und in der Mitte der Sohle sah man ein durch Abnutzung entstandenes rundes Loch.

      Der Mann von der Bahnhofsaufsicht erschien, in betresster Uniform, selbstsicher, und fragte auf dem Bahnsteig:

      »Was ist jetzt schon wieder? Ein Verbrechen? Selbstmord? Fasst ja nichts an, bis die Staatsanwaltschaft da ist! … Achtung! … Ich habe hier die Verantwortung, ich!«

      Maigret hatte Mühe, aus der Toilette hinauszugelangen, wo er zwischen den Beinen des Toten feststeckte. Mit einer raschen, geübten Bewegung befühlte er noch die Taschen und vergewisserte sich, dass sie leer waren, vollkommen leer.

      Er stieg aus dem Wagen, mit erloschener Pfeife, schief sitzendem Hut und einem Blutfleck auf der Manschette.

      »Sieh da, Maigret! Was halten Sie davon?«

      »Nichts! Sehen Sie selbst …«

      »Ein Suizid, nicht?«

      »Wenn Sie meinen … Haben Sie die Staatsanwaltschaft angerufen?«

      »Gleich als ich davon erfuhr.«

      Eine Stimme krächzte aus dem Lautsprecher. Ein paar Leute, die gemerkt hatten, dass etwas Außergewöhnliches passiert war, betrachteten von fern den leeren Zug, die Männer, die vor dem fünften Wagen verharrten.

      Maigret ließ sie alle stehen, verließ den Bahnhof und winkte ein Taxi herbei.

      »Zum Majestic!«

      Der Sturm verdoppelte seine Wucht. Windböen fegten durch die Straßen und ließen die Passanten taumeln wie Betrunkene. Von irgendwoher stürzte ein Dachziegel auf den Gehsteig. Die Busse stauten sich.

      Die Champs-Élysées hatten sich in eine fast menschenleere Fahrbahn verwandelt. Es begann zu regnen. Der Portier des Majestic stürzte mit seinem riesigen roten Schirm zum Taxi.

      »Polizei! Ist eben ein Reisender vom Étoile du Nord hier eingetroffen?«

      Schlagartig schloss der Portier seinen Schirm.

      »Ja!«

      »Grüner Mantel, blonder Schnurrbart?«

      »Ja, genau. Gehen Sie zur Rezeption.«

      Leute rannten, um dem Platzregen zu entkommen. Maigret betrat das Hotel gerade rechtzeitig, ehe Regentropfen, groß wie Haselnüsse, kalt wie Eis, fielen.

      Die Angestellten und Dolmetscher hinter der Mahagonitheke waren stilvoll und korrekt wie immer.

      »Polizei … Ein Reisender, grüner Mantel, kurzer blonder Schnurrb…«

      »Nummer 17. Sein Gepäck wird gerade hinaufgetragen.«

      2 Der Freund der Milliardäre

      Schon allein Maigrets Anwesenheit im Majestic hatte etwas Feindseliges. Er bildete sozusagen einen Block, den die dort herrschende Atmosphäre nicht in sich aufzunehmen vermochte.

      Nicht dass er ausgesehen hätte wie der typische Polizist, den man aus der Karikatur kennt. Weder trug er einen Schnurrbart noch Schuhe mit Gummisohlen. Seine Kleidung war gut geschnitten und aus gutem Tuch. Zudem rasierte er sich jeden Morgen und hatte gepflegte Hände.

      Sein Körperbau aber war plebejisch. Er war groß, massig und starkknochig. Harte Muskeln zeichneten sich unter dem Jackett ab und zerbeulten schnell auch die neuesten Hosen.

      Bemerkenswert war vor allem sein Auftreten, das sogar einigen seiner Kollegen durchaus missfiel.

      Es war mehr als Selbstsicherheit und war doch nicht Hochmut. Er kam irgendwohin, als in sich geschlossener Block, und von da an schien es, als müsste sich alles an ihm brechen, ob er sich nun bewegte oder breitbeinig stehen blieb.

      Die Pfeife steckte wie festgewachsen zwischen seinen Zähnen. Selbst im Majestic nahm er sie nicht heraus.

      Vielleicht war es im Grunde ein trotziges Bekenntnis zur Gewöhnlichkeit, ein Zeichen von Selbstvertrauen?

      In der hell erleuchteten Hotelhalle, in der sich


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