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Die Orbit-Organisation. Anne M. SchüllerЧитать онлайн книгу.

Die Orbit-Organisation - Anne M. Schüller


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Brauchbares wird in einem laufenden Prozess optimiert. »Permanent Beta« nennt man das auch. Ein prima Nebeneffekt: Über Updates ist man regelmäßig in Kontakt mit seinen Kunden.

      imageVom Kunden her denken: »Raus auf die Straße, Nutzer beim Anwenden beobachten und mit (potenziellen) Kunden reden« ist eine Basisdevise. Wer zum Beispiel eine App für junge Zielgruppen entwickelt, geht in ein Café, spendiert ein paar jungen Leuten einen Drink, schaut ihnen über die Schulter und lauscht ihren Kommentaren, während sie mit der App hantieren. In traditionellen Unternehmen hingegen wird eine vermeintlich perfekte Lösung komplett inhouse entwickelt, dann in den Markt geworfen und in einer Rückschau durch aufwendige Kundenzufriedenheitsuntersuchungen validiert. Repräsentativität sei aber doch wichtig? Unsinn! Wenn zehn von zehn Testern ein Leistungsmerkmal unerträglich oder völlig unnötig finden, ist das ziemlich aussagekräftig.

      imageSkalieren: Skalieren bedeutet, dass sich ein Grundmodell relativ mühelos um einen Faktor X vervielfachen lässt. Digitale Lösungen haben dabei einen entscheidenden Vorteil: Bei ihnen verursacht eine Skalierung kaum Kosten. Ein physisches Produkt oder ein Filialkonzept zu multiplizieren kann sehr aufwendig sein. Das Duplizieren einer Anwendung oder der Zuwachs um ein paar Hunderttausend Webportalnutzer hingegen kostet so gut wie nichts. Oder: Die üblichen Werkstattbesuche sind für einen Autobesitzer mühsam und teuer. Das Aufspielen einer neuen Software, etwa beim Tesla, geht hingegen virtuell, zudem erfolgen die Updates dann bei allen Autos gleichzeitig. Insofern streben Gründer vorrangig nach hohen Skalierungseffekten. Das macht sie für den Kapitalmarkt sehr interessant. Nach einer Durststrecke des Aufbaus sind extrem hohe Wertsteigerungen möglich.

      Alle fünf Vorgehensweisen können auch in klassischen Unternehmen, egal, welcher Größe und Branche, umgesetzt werden. Voraussetzung ist natürlich, dass »Old School« von »New School« lernen will und ein Perspektivenwechsel gelingt. Anthropologisch betrachtet ist es ja neu, dass Wissen von Jung auf Alt übertragen wird. Bislang war das stets umgekehrt. Die Blockaden sitzen also tief eingewoben in unseren Genen. Und genau deshalb sind die zu überspringenden Hürden so hoch.

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      Abb. 6: Wesentliche Vorgehensweisen in New-School-Unternehmen

      Mit Häme wird von Old-School-Managern gern darauf hingewiesen, dass viele Start-ups nicht überleben. Dazu Zahlen von 2017 für Deutschland: In die Insolvenz gingen 11,4 Prozent der Unternehmen mit einem Betriebsalter bis zu zwei Jahren, jedoch 18,3 Prozent der Unternehmen, die mehr als 20 Jahre alt sind.17 Häme ist also ganz gewiss kein guter Plan. In den USA ist seit dem Jahr 2000 bereits gut die Hälfte der Firmen aus der Fortune-500-Liste verschwunden.18 Die Hauptgründe dafür: Selbstherrlichkeit, verpasste Trends und fehlende Anpassungsfähigkeit. Längst stehen neue, junge Player an der Spitze der Wirtschaft. Und die Old Economy fällt immer weiter zurück.

      Zudem floppen beim klassischen Vorgehen Geschäftsmodelle oder Produkte erst ganz zum Schluss, nachdem man sie mit hohen Entwicklungs- und Werbekosten in den Markt gedrückt und die Konsumenten vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Die Flops in jungen Unternehmen hingegen kommen schnell, passieren früh und mit wenig spektakulären Folgen. Die gemachten Erfahrungen werden sogleich dazu genutzt, ein zweites, besseres Unternehmen aufzubauen. Viele Investoren ziehen inzwischen sogar Gründer vor, die schon einmal gescheitert sind. Weil Fehlschläge Lernchancen sind.

      Ambidextrie: Wie sich das Sowohl-als-auch manifestiert

      Kaum ein Wort kann das, was wir derzeit erleben, besser beschreiben als Ambidextrie. Im ursprünglichen Sinn bedeutet es Beidhändigkeit. Philosophisch betrachtet ist es die Gleichzeitigkeit des Ungleichen, eine Paradoxie. Organisationale Ambidextrie beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, zugleich effizient und flexibel zu sein. Das bedeutet, nicht im konkurrierenden Entweder-oder zu agieren, sondern im kollaborierenden Sowohl-als-auch das »Beste aus beiden Welten« zusammenzuführen.

      Ambidextrie umfasst auch das Wechselspiel von Exploitation, dem Ausschöpfen von Bestehendem, und Exploration, dem Erkunden von Neuem auf unbekanntem Terrain. Ferner geht es um das Geschick, zeitgleich in zwei Welten zu wandeln: im Spannungsfeld zwischen Kurz- und Langfristigkeit, Daten und Intuition, Kontrolle und Autonomie, Tradition und Disruption, Alt und Jung, männlicher und weiblicher Psyche, menschlicher und künstlicher Intelligenz. Brückenbauer, zu denen wir später kommen, sind überaus nützlich, um den jeweiligen Spagat mit Bravour zu meistern.

      Im Innovationsvorzeigeland Estland bezeichnet man eine Person als »Sild«, also als Brücke, wenn sie es vermag, zwei unterschiedliche Welten zu verbinden. Das ist dann stets ein Kompliment. Denn eine solche Person versteht beide Perspektiven, so fremd sie auch sein mögen, und schafft Verständnis. Eine estnische Freundin von Alex, Elina, verkörpert genau das. Sie ist einerseits eine knallharte PR-Spezialistin und gut in der estnischen Regierung vernetzt. Außerdem lebt sie ihre Verbindung zur Natur und veranstaltet spirituelle Teezeremonien und Frauen-Workshops. Estlands Wirtschaft hat seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 vor allem durch die frühe Hinwendung zur Digitalisierung eine beeindruckende Erfolgsgeschichte hingelegt. Ambidextrie ist quasi in die Erziehung eingebaut. Analog und digital kommen wie aus einem Guss. »Jeder Este weiß, wie man ein Kartoffelfeld kultiviert, und bedient genauso problemlos die allumfassenden digitalen Bürgerschnittstellen«, so Elina.

      Zweigleisigkeit ist also ein möglicher und zugleich beschleunigender Übergangsweg. Viele Unternehmen stecken nämlich in einem Dilemma: Zerschlagen sie ihr etabliertes Geschäftsmodell, bleiben die Gewinne, die erwirtschaftet werden müssen, um ihren vielfältigen Verpflichtungen nachkommen zu können, zunächst aus. Zudem gibt es vielerorts Restriktionen durch Börsenvorschriften, Tarifverträge und geltendes Recht. So hat Bahnbrechendes in tradierten Organisationen oft sehr schlechte Karten. Der Ausweg aus diesem Dilemma: Man gründet aus, dockt an Innovationszentren an und / oder arbeitet mit passenden Start-ups zusammen, was wir in Kapitel sieben ausführlich betrachten. Disruptionen beginnen immer in einer Nische oder an den Rändern einer Organisation. Kleine Einheiten können zudem die Wachstumschancen in zu Beginn meist kleinen Märkten wesentlich besser nutzen.

      In seinem wegweisenden Werk The Innovator’s Dilemma hat Clayton M. Christensen, Professor an der Harvard Business School, bereits 1997 darauf hingewiesen, dass klassischen Organisationen disruptive Innovationen nur dann gelingen, wenn sie diese in kleine Einheiten auslagern und nach einer komplett anderen als der üblichen Managementlogik entwickeln.19 John Paul Kotter, weltweit anerkannter Experte für Veränderungsmanagement, schlug 2012 in einem viel beachteten Beitrag für die Harvard Business Review eine temporäre Parallelorganisation vor, die er »duales System« nannte.20 Hierbei entsteht neben der klassischen Aufbauorganisation eine zusätzliche Netzwerkorganisation, die sich ohne die Repressalien einer formellen Hierarchie schnellen, lukrativen Innovationen widmen kann. Im Gegensatz zu einem ähnlichen älteren Konzept von Peter Drucker wird dieses Gebilde nicht abgetrennt, sondern es agiert komplementär zur bestehenden Organisation.

      Ambidextrie betrifft die Geschäftsmodelle genauso wie die Arbeitsweisen und das Führungsverhalten. Das Beste aus beiden Welten heißt demnach: Zunächst trennt man sich konsequent von veralteten Produkten, Methoden und Mindsets. Danach sorgt man für ein traditionelles Standbein und ein agiles Spielbein. Man kapitalisiert die derzeitigen Renditebringer und beginnt – abseits des Unternehmenszentrums – vehement mit etwas ganz Neuem. Insofern gilt es einerseits, die Ertragskraft der Kernaktivitäten zu sichern. Das laufende Geschäft muss die Innovationen mitfinanzieren, solange man nicht von Letzteren leben kann. Andererseits geht es darum, Jungunternehmer-Qualitäten und Pioniergeist zu entwickeln, sich also innovativ, rasend schnell und risikoaffin zu bewegen. Organisational gilt das Gleiche: Verschiedene Einheiten agieren noch mehr oder weniger klassisch, andere arbeiten bereits komplett selbstorganisiert.

       Eine Trennung zwischen »Core-Business« und »Future-Business« kann sinnvoll sein.


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