Crash-Kommunikation. Peter BrandlЧитать онлайн книгу.
krümmen. Genauso wie es auf der körperlichen Ebene Auslöser gibt, die geradezu zwangsläufig in einer bestimmten Reaktion münden, gibt es auch auf der psychologischen Ebene und der Verhaltensebene solche Auslöser. Wenn bestimmte Faktoren in einer bestimmten Reihenfolge eintreten, folgen die entsprechenden Reaktionen mit an Sicherheit grenzender und vorhersagbarer Wahrscheinlichkeit. Die Schlüsselfrage lautet daher: Welches sind die Faktoren, die katastrophale Konsequenzen nach sich ziehen?
Wie Luftfahrt, Management und Geschäftsleben zusammenhängen
Dieser Frage geht das Crew Resource Management nach. Seit dem Flugzeugcrash auf Teneriffa hat man bereits viele Antworten gefunden, die das Fliegen sicherer machen. Faszinierend ist, dass sich viele dieser Fragen und Antworten beinahe eins zu eins auf das Management oder das Geschäftsleben übertragen lassen. Welche Lehren können also Manager und Führungskräfte aus den Erkenntnissen der Katastrophenvermeidung in der Luftfahrt (und damit auch aus folgenschweren Flugzeugabstürzen) ziehen? Genau davon handelt dieses Buch.
Über den Autor
Die Idee, Management und Fliegerei zusammenzubringen, drängt sich jemandem, der in beiden Welten zu Hause ist, förmlich auf. Als Führungskraft und Manager konnte ich oft genug erleben, wie kleine Kommunikationspannen sich im Unternehmen zu großen Problemen hochschaukeln. Als Linienpilot habe ich während der Ausbildung zahlreiche Crash-Beispiele analysiert und das Crew Resource Management selbst durchlaufen. Und als Trainer und Managementcoach bekomme ich nahezu täglich bestätigt, dass auch Unternehmen nur selten aufgrund dramatischer Einflüsse von außen in Schieflage geraten: Verantwortlich für den Crash sind auch hier fast immer Fehler im Unternehmenscockpit. Dabei ist systematische Crashprävention im Unternehmen ebenso möglich wie in der Luftfahrt. Aber lesen Sie selbst!
Wangen, im Dezember 2009
Peter Brandl
Einführung: Von Crashs und ihren Ursachen
Menschliches Versagen und »Human Factors«
Über drei Viertel aller Unfälle in der Luftfahrt sind auf »menschliches Versagen« zurückzuführen, also nicht auf schlechtes Wetter, Materialfehler oder Fehler der Flugverkehrskontrolle ATC (Air Traffic Control). »Menschliches Versagen« – diese Formel kennen wir alle aus den Abendnachrichten. Auch bei anderen Unglücken mit vielen Toten, vom schweren Verkehrsunfall bis zum Störfall im Atomkraftwerk, wird sie zuverlässig bemüht. Und fast immer schwingt in ihr eine Schuldzuweisung mit: Jemand trägt die Verantwortung für das Geschehen, weil er sich falsch verhalten hat. Im angloamerikanischen Sprachraum ist man hellsichtiger als bei uns: Dort spricht man nicht von schuldhaftem »Versagen«, sondern schlicht von »Human Factors«, die zu Pannen und Unfällen führen – von menschlichen »Faktoren«. Anders ausgedrückt: Menschen sind so. Menschen übersehen oder missinterpretieren Dinge, sie treffen – besonders unter Stress – übereilte Entscheidungen, sie sind vor Angst wie gelähmt oder blenden offensichtliche Gefahren einfach aus. Salopp gesagt: Shit happens.
Um noch einmal auf den verheerenden Crash von Teneriffa zurückzukommen, der in der Luftfahrt den Anstoß für die systematische Analyse der menschlichen Faktoren, Einflüsse und Begrenzungen gab: Wie kann es sein, dass zwei erfahrene Piloten im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte zwei technisch intakte Flugzeuge am Boden zusammenstoßen lassen? Nachvollziehbar wird das kaum Fassbare, wenn man sich folgende Faktoren vergegenwärtigt:
Teneriffa: ungünstige Faktoren
– Beide Flugzeuge, eine KLM-Maschine aus Amsterdam und eine Maschine der Pan Am aus New York, hatten außerplanmäßig auf Teneriffa landen müssen. Der eigentliche Zielflughafen auf Gran Canaria war wegen einer Bombendrohung kurzfristig gesperrt worden.
– Bei beiden Maschinen handelte es sich um eine Boeing 747, ein Großflugzeug, das auf Teneriffa/Los Rodeos nur auf der Startbahn rollen konnte, da es zu breit für die eigentlichen Rollbahnen (neben der Startbahn) war.
– Während die Maschinen am überfüllten Flughafen warteten, zog Nebel auf.
– Die Flugsicherung dirigierte beide Maschinen auf die einzige Piste. Beide Piloten und die Flugsicherheit wussten voneinander. Sie wussten, dass sie sich in unmittelbarer Nähe befanden, hatten aber keinen Sichtkontakt. Ein Bodenradar gab es nicht.
– Die Besatzung der Pan Am kannte den Flughafen nicht. Das und der Ausfall der Mittelbeleuchtung auf der Piste trugen dazu bei, dass sie die entscheidende Abbiegung verpasste, um die Piste zu verlassen und sich hinter der KLM aufzustellen, als die Flugsicherung sie von der Piste lotsen wollte.
– Der Kapitän der KLM (nebenbei: der damals dienstälteste Pilot der KLM und Chefausbilder für die Boeing 747) missverstand ein Kommando der Flugsicherung, möglicherweise wegen des starken spanischen Akzents des Fluglotsen. Die Flugsicherung gab der KLM zwar die Flugstrecke frei (»Route Clearance«), hatte aber noch keine Starterlaubnis (»Take off Clearance«) erteilt, weil die Position der Pan-Am-Maschine unklar war. Erst nach dem Unfall auf Teneriffa wurden für beide Anweisungen exakte Phrasen eingeführt.1
– Der KLM-Kapitän hatte bereits 3,5 Stunden Verspätung. Damit bestand die Gefahr, dass er die maximal zulässige Dienstzeit überschreiten würde. Er hätte dann auf Teneriffa übernachten müssen, und mit ihm alle Passagiere. Der Kapitän stand also unter Zeitdruck und wollte starten.
– Der KLM-Kopilot widersprach nicht, möglicherweise weil er sich das einem so erfahrenen Piloten gegenüber einfach nicht traute. Dieser war Trainingskapitän und in den Niederlanden so etwas wie ein fliegerischer Halbgott.
Der Zusammenstoß: unvermeidbar?
All das führte schließlich dazu, dass die KLM-Maschine anrollte. Als die beiden Piloten in einer Entfernung von etwa 700 Metern die jeweils andere Maschine sahen, war es bereits zu spät: Obwohl die Pan-Am-Maschine noch versuchte, die Piste zu verlassen, und der KLM-Kapitän sich bemühte, sein Flugzeug vom Boden wegzureißen, kam es zum Crash mit fast 600 Toten.
Bei der Aufarbeitung solcher Vorfälle ist in der Presse oft von einer »Verkettung unglücklicher Umstände« die Rede: die Sperrung eines anderen Flughafens, das schlechte Wetter, die identische Größe der Maschinen, die Bedingungen auf Teneriffa (nur eine entsprechende Startbahn), der Zeitdruck … Doch:
Was wäre wenn? – Gegenfragen
– Was wäre passiert, wenn der Kopilot der KLM-Maschine dem fliegenden Kapitän widersprochen hätte?
– Was wäre passiert, wenn die Cockpitmannschaft der Pan-Am-Maschine bei der Flugsicherung Alarm geschlagen hätte (Wir wissen nicht, wo wir uns befinden!)?
– Was wäre passiert, wenn der spanische Fluglotse besser Englisch gesprochen hätte?
– Was wäre passiert, wenn der KLM-Kapitän sicherheitshalber beim entscheidenden Kommando der spanischen Flugsicherung nachgefragt hätte?
– Was wäre passiert, wenn die KLM sich vorsichtshalber erkundigt hätte, ob die Piste frei ist? (Ist doch ein guter Plan, wenn ich nur 700 Meter weit sehen kann, aber drei Kilometer zum Abheben brauche, oder?)
– Was wäre passiert, wenn der Pilot der KLM für alle hörbar gesagt hätte: »KLM – beginne mit dem Start!«?
Die Rolle der Kommunikation
Wäre nur eine dieser Möglichkeiten genutzt worden, wäre die Geschichte wohl anders verlaufen. Im schlimmsten Fall hätten die KLM-Mannschaft und ihre Passagiere auf Teneriffa übernachten müssen und möglicherweise hätte das manche Passagiere verärgert – aber der Crash wäre wahrscheinlich verhindert worden und alle würden noch leben. Eigentliche Ursache des verheerenden Unfalls war also nicht der Nebel oder eine ausgefallene Pistenbeleuchtung. Die eigentliche Ursache waren Kommunikationspannen.
Pannen im Unternehmen
Was