Wettbewerbsvorteil Gender Balance. Anke van BeekhuisЧитать онлайн книгу.
und es wird spannend: Vorher spielten die sexuelle Anziehung oder zumindest das Interesse an der Person eine Rolle. Was würde nun dominieren? Neid und Missgunst? Zustimmung und Gemeinsamkeiten? Schauen die beiden Personen einander in gewisser Weise ähnlich, sind Vertrautheit und Wohlwollen spürbar. Wird aber eine Frau als hübscher empfunden als die andere oder ein Mann scheint besser gekleidet als sein Gegenüber, entstehen sofort negative Emotionen.
Das Experiment zeigt: Frauen und Männer vergleichen sich untereinander. Männer neigen zu Fragen wie: Wer hat das größere und bessere Auto, Haus, Bankkonto oder die bessere Familie? Wenn Frauen einander gegenüberstehen, stehen Fragen wie »Wer ist schlanker, attraktiver, hat schönere Haare und das bessere Outfit?« im Vordergrund. Bei Männern geht es meist um den Status, bei Frauen um Äußerlichkeiten.
Durch den höheren Cortisol-Pegel bleiben Mädchen mehr in Sicherheit und sind achtsamer mit ihrer Umgebung und sich selbst.
Einer der interessantesten Bereiche im menschlichen Gehirn in Sachen Verhaltensunterschiede ist der »Nucleus praeoticus medialis«, eine Ansammlung von Nervenzellen, die zum Sexualzentrum gehören. Bei Männern ist der »Nucleus praeopticus medialis« doppelt so groß wie bei Frauen. Tatsächlich ist der Größenunterschied dieser besonderen »Schaltzentrale« so auffällig, dass Forscher anhand dieses Teils feststellen können, ob sie das Gehirn einer Frau oder eines Mannes vor sich haben. Das funktioniert übrigens schon bei einem drei Monate alten Fötus. Gerhard Roth, Experte für Neurobiologie und Verhaltenspsychologie, unterstreicht in einem Interview mit der »ZEIT« die Bedeutung dieser Hirnregion: »Dass dieser pränatale Unterschied zwischen Männern und Frauen auch deutliche Auswirkungen auf das Verhalten hat, bezweifelt heute kaum noch jemand.«
Roth konnte anhand von unzähligen Untersuchungen feststellen, dass es auch hormonelle Zusammenhänge gibt, die für unterschiedliches Verhalten sorgen: Frauen reagieren teilweise stärker auf Stress und sind ängstlicher und besorgter als Männer. Sie schütten mehr vom Stresshormon Cortisol aus. Je höher dessen Pegel, desto mehr Angst haben Frauen. Daher sind manchmal Frauen neurotischer als Männer. Diese Unterschiede im Hormonhaushalt sind seit der Geburt beobachtbar und führen schon bei Säuglingen und Kleinkindern zu unterschiedlichen Verhaltensweisen. Roth hat außerdem festgestellt, dass Jungen zu einem besseren räumlichen Vorstellungsvermögen neigen. Sie klettern, bauen und probieren aktiver als Mädchen. Durch den höheren Cortisol-Pegel bleiben Mädchen mehr in Sicherheit und sind achtsamer mit ihrer Umgebung und sich selbst. Mädchen kommunizieren daher mehr mit den Menschen, da sie dadurch zu Informationen kommen, und können sich in der Regel verbal besser ausdrücken.
Es ist also körperlichen Voraussetzungen zu verdanken, dass Frauen im Berufsleben lieber mit Menschen und Männer lieber mit Dingen arbeiten. Wie ausgeprägt sich das zeigt, ist aber natürlich auch von der Sozialisierung durch die Eltern und das Umfeld abhängig. Zusätzlich sind Hormone bei verschiedenen Menschen unterschiedlich ausgeprägt.
Fazit: Verschiedene körperliche Faktoren sind dafür verantwortlich, dass wir uns so verhalten, wie wir uns verhalten. Meine praktischen Untersuchungen und Analysen der Unternehmenskulturen spiegeln also das natürliche Verhalten von Frauen und Männern wider. Da wir uns als Personen allerdings nur bedingt verändern können, hilft auch das gezielte Empowerment von Frauen kaum dabei, Gender Balance zu erreichen. Es braucht ein komplettes Umdenken hinsichtlich Führung und Führungsqualitäten in Organisationen, um langfristig eine neue Unternehmenskultur zu entwickeln.
Ein neues Führungsbild muss her
Wenn wir über Gender Balance sprechen, ist es also unumgänglich, ein neues Führungsbild zu erzeugen, in dem die Eigenschaften von Männern und Frauen Platz haben. Je früher wir damit in Unternehmen starten und Führung neu definieren, umso leichter ist es, echte Gender Balance umzusetzen. Dies wiederum erfordert jedoch auch eine gesellschaftliche Veränderung, um die gängigen Vorurteile und Denkweisen zu überwinden.
Ein Beispiel gefällt mir da sehr gut: IWF-Chefin Christine Lagarde, die schon als frühere Synchronschwimmerin einen langen Atem bewies, wurde einmal als »Frau mit Kohle im Herzen« bezeichnet. Sie gilt als vernetzte, geschickte Verhandlerin. Vor ihrer erfolgreichen Laufbahn beim Internationalen Währungsfonds hatte sie sich als Anwältin einen Namen gemacht. Sie ist gelernte Juristin, Ökonomin und Amerikanistin und war Wirtschafts- und Finanzministerin. Wäre hier von einem »Herrn Christian Lagarde« die Rede, wäre dessen Erfolg ganz normal. Einer »Frau Christine Lagarde« schreiben wir ein »Herz aus Kohle« und unmenschliches Verhalten zu.
2011 wurde eine HR-Studie veröffentlicht, in der 60 000 Vollzeitarbeitskräfte zu ihrer Haltung gegenüber weiblichen und männlichen Führungskräften befragt wurden. Fazit: Ein erfolgreicher Mann wird mehr akzeptiert als eine erfolgreiche Frau. 46 Prozent der Befragten, Männer wie Frauen, hatten eine Präferenz für das Geschlecht ihres Vorgesetzten. 72 Prozent bevorzugten einen männlichen Chef. Dies wird auch in anderen Studien mit anderen Zielgruppen bestätigt: Dürften sich Befragte für eine Heidi oder einen Howard mit den gleichen Eigenschaften entscheiden (Studie an der Columbia University), würden die meisten Studenten für einen Howard plädieren.
Warum stehen bei so vielen Unternehmen also nur Frauen mit »männlichen Verhaltensweisen« hoch im Kurs? Weil Macht- und Führungskompetenzen von der Gesellschaft überwiegend den Männern zugeschrieben werden. Auch wenn sich die Sichtweisen ändern, wird es noch lange dauern, bis Frauen mit ihren ureigensten Eigenschaften in Führungspositionen akzeptiert werden.
Bei einer meiner Unternehmenskulturanalyse ergab sich eine weitere spannende Situation: In einer Gruppe, in der Frauen überrepräsentiert waren (Verhältnis: 70 Frauen und 30 Männer), sollten Gruppenbefragungen stattfinden. Die Gruppen waren hierarchisch durchmischt. Bei den Männern waren allerdings keine höheren Vorgesetzten anwesend, sondern alle Positionen annähernd gleichwertig. Die erstaunliche Beobachtung war: Obwohl weitaus weniger Männer vertreten waren, wandten sich Frauen in ihren Präsentationen der Gruppenarbeit zu einem bestimmten Thema immer an einen Mann – sowohl in Großgruppen als auch in kleineren Settings. Da sich dieses Verhalten in jeder Gruppenbefragung wiederholte, war es ein wichtiger Teil meiner Analyse. Die Erkenntnis: Frauen hatten in diesem Unternehmen bereits gelernt, dass Männer das Sagen haben – also richteten sie das Wort immer an Männer. Ganz egal ob diese eine höhere Position bekleideten oder nicht.
Für mich als Beraterin war das eine wirklich interessante Beobachtung. Die Erkenntnis dabei war: Wenn ich als Frau in dieses Unternehmen komme, werde ich in kürzester Zeit ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen, da mir das tagtäglich vorgelebt wird.
Bei der Präsentation meiner Analyse vor einer größeren Gruppe wurde mir von den anwesenden Frauen bestätigt, dass dies eine Verhaltensweise ist, die vorgelebt wird und der Frauen sich anpassen. Auch einige der 30 Männer bestätigten diese Situation. Ihnen war das Setting fremd, weil ansonsten der Männeranteil in Besprechungen nie so gering ist. Darum erlebten sie das Verhalten der Frauen zum ersten Mal bewusst.
Wenn ich übrigens Männer und Frauen separat befrage, warum Gender Balance in ihrem Unternehmen nicht funktioniert, erhalte ich ebenfalls seit zehn Jahren die gleichen Antworten. Auch Männer erkennen eine sehr männlich dominierte Unternehmenskultur in sehr konservativ geführten Organisationen. Ich meine damit Organisationen, die einen weiblichen Führungsanteil von weniger als 10 bis 15 Prozent haben.
Eine Studie der Universität von Cincinnati legt allerdings dar, dass es nicht immer nur die Männer sind, die Gender Balance erschweren. Auch Frauen können Frauen in Führungspositionen verhindern. Dies wird in der Wissenschaft als »Queen Bee Syndrome«, also das »Bienenköniginnen-Syndrom«, bezeichnet. Auch dieses Phänomen ist mir nicht fremd. Ich erlebe regelmäßig in Coachings, dass Frauen von weiblichen Führungskräften nicht gefördert oder sogar gemobbt werden und dadurch auf ihrem Karriereweg nicht weiterkommen. Noch schlimmer ist, dass dieses »Heruntermachen« auch von anderen bemerkt, aber in den meisten Fällen als »Zickenkrieg« abgetan wird. Willkommen in einer weiteren Klischeefalle, die sich sehr oft bewahrheitet. Die betroffenen Frauen kämpfen meist seit Jahren erfolglos um eine Beförderung.
Chefinnen haben viele Mobbing-Tricks