Die Karriere-Schmiede. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
meine Erfolge gefeiert: Ich hab die Dinge so gemacht, wie sie funktionieren, nicht so, wie sie in den Regeln vorgeschrieben waren. Wie man es tut, ist dann uninteressant, wenn Sie genau wissen, wie Sie es tun wollen.
Die Welt steht plötzlich kopf
München, 1910: ein mächtiger Eichenschreibtisch, ein kräftiger Stuhl mit dickem Polster, dunkler Dielenboden. Die Türe knirscht, ein Mann mit schwerer Jacke betritt den Raum. Steifer Kragen, üppige Samtkrawatte. Die Hände ragen aus schneeweißen Leinenärmeln mit edlen Manschettenknöpfen, sie umfassen einen Malkasten, dessen Rost sich mit matten grünen, roten, blauen Klecksen mischt.
Tack, tack. Plötzlich bleiben die schwarzen Lederschuhe wie angewurzelt stehen. Gebannt starrt das Augenpaar des Mannes auf das Schauspiel, das sich dort hinten in der Ecke abspielt. Stunde der Dämmerung, durch das Fenster fließt rauschendes Gold. Es sammelt sich – pulsierend, wirbelnd, vibrierend, in allen Farben schillernd – auf einem Stück Leinwand. Zu sehen ist: nichts. Jedenfalls nichts Herkömmliches, nichts Gegenständliches. Stadt, Land, Fluss – alles fehlt und doch ist plötzlich viel mehr als die ewige Staffage aller Malerei vorhanden. Das Bild brennt, es strahlt, es glüht. Später wird der Maler, es ist Wassily Kandinsky, über diesen magischen Moment seines Lebens, ja der Kunstgeschichte, schreiben: »Ich wusste jetzt genau, dass der Gegenstand meinen Bildern schadet.«
Des Rätsels Lösung war ganz einfach. Kandinsky hatte irgendwann ein Gemälde an die Wand gestellt. Als er es an jenem Abend plötzlich neu entdeckte, stand es, stand seine Welt buchstäblich kopf. Alles Herkömmliche war getilgt, der Maler sah reine Form, reine Farbe. Die abstrakte Malerei war erfunden – weil ein Genie im wahrsten Sinn des Wortes etwas ver-rückt hatte.
Wer Durchbrüche erlebt, bricht mit der Sicherheit. Dazu braucht es Wahnsinn – und deswegen fehlt uns dafür so oft der Mut. Wir limitieren unsere Möglichkeiten, wir unterschätzen unsere geistige Potenz. Denken ist so kreativ, so explosiv, so anarchisch wie die Energie des Lichts, die Kandinskys Leinwand durchglühte. Doch meistens denken wir nicht, wir haben bloß Gedanken. Aus Angst vor der eruptiven Gewalt, die in unserem Kopf toben könnte, wagen wir es nur, dort Bilder, Worte, Meinungen zu verschieben, die wir von anderen ausgeliehen haben.
Auch Kandinsky hatte zunächst so gehandelt. Er ließ sich ausbilden an der Münchner Akademie der bildenden Künste und arbeitete bei Franz von Stuck. Dieser Malerfürst prägte mit seinem Hang zu Mythen und zur lasziven Erotik die Kunst der Jahrhundertwende.
Kandinsky folgte ihm. Auch wenn ihm Stucks Ideale fremd blieben, gewann er unter seiner Anleitung solide handwerkliche Grundlagen. Später wurde der Russe zu einem Vorkämpfer des Jugendstils. Doch dieser war damals bereits Mode. Kandinsky zählte sich zur Avantgarde, doch neben ihm marschierten viele. Schon bald scherte er aber aus dem Gleichschritt aus und irritierte selbst künstlerische Freunde mit stilisierten Anklängen an die Volkskunst seiner Heimat.
Auch im persönlichen Umgang zeigte er nun immer mehr Eigensinn und Unangepasstheit, was mitunter zu heftigen Auseinandersetzungen führte. Kandinskys Wahnsinn war also Programm. Wäre er seinen Weg aus der Tradition hin zur unverwechselbaren Individualität nicht konsequent gegangen – wir hätten seinen Namen längst vergessen.
Ein eiskalter Blick, ein scharfer Schnitt
Ich habe gelernt: Manchmal muss ich wie Kandinsky meine bekannten Bilder auf den Kopf stellen. Wir müssen ab und zu die Perspektive wechseln. Dazu braucht es Entschlossenheit.
»Manchmal musst du das Glück schon zwingen«, singt Udo Lindenberg. Wobei es das »Manchmal« in sich hat: Es kommt auf den genau richtigen Augenblick an. Die Widerstände gegen das Neue sind fast immer übermächtig. Aber im magischen Moment genügt dann doch ein kleiner Stoß, um sie fast widerstandslos in sich zusammenfallen zu lassen. Wie traumgesteuert handeln Glückskinder ohne jede Irritation und mit aller Kraft exakt dann, wenn es zu handeln gilt.
Gordion in Kleinasien, 334 vor Christus. Hunderte Brustpanzer glänzen in der Sonne, ein Wald von Lanzen ragt in den stahlblauen Himmel, kein freier Platz mehr auf dem Tempelberg an diesem Tag. Schwerter klirren, Pferde schnauben, ein Raunen geht durch die gewaltige Menge. Plötzlich erscheint der junge Feldherr. Mit straffem Schritt geht er auf das Mysterium dieser Stadt zu. Die Priester breiten es in scheinbarer Demut, aber mit listigem Lächeln vor dem Eindringling aus. Mit 30 000 Mann ist er in die einstige Hauptstadt des Phrygier-Reiches einmarschiert, ein stolzes, ein gewaltiges Heer. Doch wie viele Herrscher und Herrschsüchtige haben sie hier schon kommen und wieder gehen sehen!
Assyrer, Lyder, Meder – alles Streitmächte, vor denen einst die Welt erzitterte. Sie alle hatte der Perserkönig Dareios unterworfen und noch zahllose andere Völkerschaften. Und jenen Gewaltigen wollte nun ein dreister Grieche herausfordern? Seit wann waren denn die Götter auf der Seite der Heißsporne! Hundertschaften von Weisen und Mächtigen hatten sich bereits daran versucht, den magischen Knoten der Stadt zu lösen, das stolzeste Rätsel des Weltkreises. Die Götter lockten, so besagte es ein Orakel, mit hohem Gewinn: Es ging um den Besitz des Perserreiches. Aber am Ende standen immer Verzweiflung, Wut, Ratlosigkeit – alles war vergebens.
Deswegen war es wie in Stein gemeißelt: Auch der blutjunge Makedonierkönig würde jener Schmach nicht entgehen. Gedemütigt würden er und die Seinen übers Meer nach Hause fahren, empfangen von ihren bitterlich weinenden Weibern. Denn die Welt war nun einmal undurchdringlich in sich verschlungen wie ein Knoten. Wehe dem, der vermessen genug war, dies zu bezweifeln! Stille.
Jetzt greift Alexander entschlossen zum Schwert – und schlägt den Gordischen Knoten entzwei. Das Orakel behält recht: Er besiegt das Perserreich, doch das genügt ihm nicht, er stürmt weiter bis Indien, erst am Rande des Weltkreises erfährt er seine Grenze.
Die Folgen jenes genialen Siegeszugs lassen sich bis heute in vielen Ländern besichtigen. Die Szene am Tempelberg ist jedoch eine Legende, die niemand belegen kann – genau wie die Erfindung der abstrakten Malerei durch Kandinsky. Doch Legenden sagen mehr über die historische Wahrheit aus als manches Monument.
Feldherrn leben in enger Tuchfühlung mit dem Glück. Schließlich kann das Kriegsglück sich in jeder Sekunde wenden und sie Land, Leute und Leben kosten. Die Lehre von Gordion lautet: Aggression kann tödlich sein, aber sie ist auch – recht verstanden – Bedingung des Glücks. Denken genügt nicht. Gemacht werden muss es!
Jedes scheinbar unlösbare Problem sieht aus wie ein durch und durch in sich selbst verschlungener Knoten. Ohne Willenskraft, ohne Entscheidungsstärke und Instinkt ist dieses Knäuel nie zu durchschlagen. Jeder könnte es tun, doch nur einer hat die nötige Zielstrebigkeit.
Nur einer macht es dennoch und als Erster. Bevor eine völlig neuartige Erfolgsstory beginnt, braucht es offensichtlich einen Gewaltakt, um sich von tausend guten, aber verwirrenden Ratschlägen, von allzu exakten Berechnungen und gewiss auch dem ein oder anderen Selbstzweifel zu trennen.
»Der hat so viel Glück, dass es wehtut« – kaum einer, der diesen Spruch zitiert, ahnt, wie sehr er recht hat.
Für das Glück sind schmerzhafte Schnitte nötig. Glück hat nur, wer sich – ohne zu zögern, ohne Kompromisse – von all dem lähmenden Ballast um ihn herum und in ihm selbst trennt. Alexanders Blick war eiskalt, als er zum entscheidenden Schlag ausholte. Er sah sein Heer der 30 000 nicht mehr, er hatte das Lächeln der Priester ausgeblendet, nicht einmal die gleißende Sonne über sich nahm er wahr. Da waren nur der Knoten und er – und das Schwert. Zack. Das Glück kommt wie ein Fallbeil.
Über den Autor
Hermann Scherer,
Speaker, Business Expert
Über 2000 Vorträge vor rund einer halben Millionen