Rein in die Führung. Susanne KleinЧитать онлайн книгу.
durch die Interaktion mit dem Markt überblicken zu können, werden in der Regel Key Performance Indicators (KPI) definiert und als Steuerungssystem genutzt. Es gibt für alle Bereiche zahlreiche Indikatoren. Unterschieden wird beispielsweise zwischen verschiedenen Rentabilitätskennzahlen, Liquiditätsgrößen, verschiedenen Betriebsergebnissen, Messkriterien der Kundenbeziehungen, Marketingkenngrößen, unterschiedlichen Gewinnspannen und verschiedenen Prozess-, Projekt-, und Qualitätsmerkmalen.
Die Fülle dieser Indikatoren zeigt, dass die Komplexität des zu steuernden Systems enorm groß und fast unüberschaubar ist. Die Indikatoren stehen nicht nur für sich, sondern beeinflussen sich auch untereinander. Wenn Sie also an einem der Indikatoren etwas verändern, verändern Sie automatisch andere mit – ob Sie das so wünschen oder nicht.
Viele KPIs: komplexe Steuerung
In den verschiedenen Unternehmen wird sehr unterschiedlich mit KPIs umgegangen: Es gibt Unternehmen, die definieren mithilfe der Indikatoren die Prozesse möglichst im Detail, haben konforme und verbindliche Abläufe und bauen ihre strategische Planung auf ihren Quartalszahlen auf. Das sind meist sehr große Unternehmen, bei denen Abteilungen darauf angewiesen sind, Kennzahlen von anderen zu bekommen, um selbst sinnvoll planen zu können. Mittels dieser Kennzahlen beziehen sich also die Bereiche aufeinander. Die Abhängigkeiten beeinflussen das System – eine Steuerung ist komplex.
Je genauer die einzelnen Prozesse definiert sind, umso eher finden sich Redundanzen und Widersprüche. Mathematiker gehen davon aus, dass jede detailgenaue Prozessbeschreibung diese beiden Phänomene hervorbringt. Das heißt, eine genaue Steuerung bleibt unmöglich.
Wenige KPIs: im Idealfall genau und flexibel
Andere Unternehmen definieren nur insgesamt vier oder fünf KPIs. Sie sind davon überzeugt, dass es sich hier um ihre Schlüsselfaktoren handelt, und steuern mit diesen wenigen Kenngrößen ihr System. Auch hinter diesen KPIs stehen komplexere Prozesse. Die Unternehmen sind in einem solchen Fall gut beraten, diese Prozesse so genau wie möglich und gleichzeitig so flexibel wie nötig zu gestalten. Die Steuerung erfolgt in der Regel über regelmäßige Reviews, die mit Reportingsystemen verbunden sind.
Das ist die betriebswirtschaftliche Seite. Nun kommt das Thema Management ins Spiel: Wie werden die KPIs genutzt? Wie werden sie beeinflusst? Welche Hebel kommen infrage?
Schwierige Ausgangslage
Auf diese Fragen gibt es keine so eindeutigen Antworten. Auch wenn die Zahlen auf dem Tisch liegen, macht sich doch eine gewisse Ratlosigkeit breit, wenn es darum geht, diese erfolgreich – in Abhängigkeit zueinander – zu beeinflussen. Der gerade oder direkte Weg ist oft nicht erfolgversprechend. Dafür gibt es im Unternehmen zu viele gegenläufige Interessen. Auch vordefinierte Umwege bringen nicht recht ans Ziel. Die meisten Führungskräfte suchen nach Ansatzpunkten, die mit wenig Aufwand eine große Wirkung entfalten.
Leverage Points nach Meadows
Darum hat sich auch Donella Meadows bemüht. Sie definierte Leverage Points für komplexe Systeme und glaubt hier erfolgreiche Eingriffsmethoden zu finden. Diese Leverage Points sieht Donella Meadows vor allem in folgenden Bereichen: Parameter, interne Prozesse, Feedback Loops, Grad an Selbstorganisation und Fähigkeit zum Paradigmenwechsel.
Ihrer Meinung nach können Menschen intuitiv erkennen, in welchen Bereichen eine Veränderung notwendig ist, um noch erfolgreicher zu werden. Das ist natürlich nicht ganz befriedigend, weil wir lieber mit vordefinierten Prozessen arbeiten. Wir möchten gerne das Gefühl haben, dass wir sicher ans Ziel kommen und auf diese Weise unsere gefühlte Kontrolle (die meist keine echte Kontrolle ist) unterstützen. Je stärker und je erfolgreicher die Veränderung wäre – so Meadows’ Hypothese –, umso mehr wehrt sich das System dagegen. Denn häufig sind es Paradigmenwechsel (die eine neue Form der Haltung und Einstellung fordern), die tatsächlich eine relevante Veränderung erzielen können.
Mit Leverage Points beschreibt Donella Meadows kleine Dinge, die im Vergleich leicht zu verändern sind, die aber eine große Wirkung entfalten können. Damit schließt sie sich an das systemische Denken an, das – ähnlich wie beim berühmten Schmetterlingseffekt – auch davon ausgeht, dass schon kleine Veränderungen eine sehr große Wirkung entfalten können.
Kalkulierbare Instabilität
Was außer KPIs noch wichtig ist
Kennzahlen helfen also nur bedingt weiter. Sie sind eine Art von unternehmerischer Diagnostik und legen auch nahe, in welchen Bereichen eine Veränderung stattfinden muss. Das Management muss dementsprechend in der Lage sein, Muster aus den KPIs herauszulesen. Gleichzeitig bleibt es der Intuition und der Kreativität des Managements überlassen, Punkte zu definieren, die eine große Wirkung erzielen können. Und darüber hinaus muss bei jedem Eingriff ins System bedacht werden, welche Seiteneffekte erzielt werden, die auch dann eintreten, wenn sie unerwünscht sind.
»Jedes hinreichend mächtige formale System ist entweder widersprüchlich oder unvollständig.« (Gödel 1931)
Denken Sie noch einmal an den Wunsch, Prozesse möglichst genau zu definieren, um die KPIs exakt steuern zu können. Sie werden nicht nur feststellen, dass die Prozesse dann leicht redundant und widersprüchlich werden (Haben Sie schon einmal ein Prozesshandbuch in der Hand gehabt?); die Genauigkeit, mit der sich Führungskräfte und Mitarbeiter an die Vorgaben halten müssen, entbindet sie von jeder Form des Mitdenkens und der Selbstverantwortung: Der Prozess schreibt das eben so vor. Schön. Dann kann ja nichts falsch laufen. Tut es aber. Was auf der einen Seite Sicherheit und Kontrolle bringt, ist auf der anderen Seite der Overkill für Flexibilität, Entscheidungsfreude und für das Nutzen von Marktchancen. Je stärker und besser die Steuerung funktioniert, umso weniger Selbstverantwortung kann erwartet werden. Das soll keine Argumentation gegen KPIs sein. Im Gegenteil. Wir brauchen diese dringend als diagnostisches Basisinstrument. Interessant wird es aber erst dann, wenn es darum geht, diese Zahlen zu interpretieren, zu bewerten und Handlungen daraus abzuleiten.
Das Ziel: kalkulierte Instabilität
Das, was eigentlich erreicht werden soll, funktioniert gerade nicht über ein genaueres Definieren und über ein höheres Maß an Kontrolle. Es funktioniert über Kompetenz und über Vertrauen. Dazu aber mehr an anderer Stelle.
Der Zielzustand ist die kalkulierbare Instabilität. Und dieser gelingt vor allem mithilfe der Leverage Points von Donella Meadows: ein gutes Mittelmaß zwischen Regulierung durch KPIs und dem Chaos, das selbstreflexiv und denkend gestaltet wird.
Nebenwirkungen schneller Lösungen
Jeder Mensch tickt anders
In der Medizin ist das Prinzip der vielen Wirkungen am komplexen System Mensch auch hinlänglich bekannt: Kein Mensch funktioniert wie im Lehrbuch. Alle unsere menschlichen KPIs wie Blutwerte, Stoffwechsel oder Hormone liegen vielleicht im Normbereich, vielleicht auch nicht. Wenn sich Ihre Werte nicht im Normbereich befinden, sind Sie aus medizinischer Sicht erkrankt – was nicht unbedingt richtig sein muss, weil unsere Körperfunktionen sich so eingependelt haben und fein aufeinander abgestimmt sind. Aktivere Menschen haben sicher andere Werte als passivere und Stress – das ist lange bekannt – bedeutet für jeden Menschen etwas anderes und hat auch andere Auswirkungen auf jeden Organismus. Hier zu pauschalieren würde falsche Schlüsse nach sich ziehen.
Greift nun ein Arzt mit einer Medikation in das sensible Gleichgewicht des Organismus ein, um einen entgleisten Wert wieder einzufangen, greift diese in dem chemischen Zusammenspiel automatisch auch auf andere Prozesse zu, beeinflusst diese ungewollt und erzielt auch hier Wirkungen – als Nebenwirkungen bekannt. Insofern müsste jeder gute Arzt vorsichtig eingreifen und über einen längeren Zeitraum beobachten, was geschieht und wie das Zusammenspiel sich langfristig ändert, um das System dann weiter in die gewünschte Richtung zu beeinflussen.
Die Wirkung zu starker Eingriffe in Unternehmen
Genauso funktioniert das im Management auch. Unternehmensführungen neigen dazu, das System komplett auf den Kopf zu stellen, um ihre Markposition