Mut braucht eine Stimme. Peter HolzerЧитать онлайн книгу.
tropft. Schnell stellen Sie einen Eimer hin, um das Wasser aufzufangen, und tauschen diesen stündlich gegen einen leeren aus – statt das Loch im Dach zu reparieren. All die wunderbaren Errungenschaften unserer modernen Konsum- und Technikwelt werden Ihnen nicht helfen können, Ihre Zeitverschwendung einzudämmen. Denn um aus Ihrer Zeit eine erfüllte Zeit zu machen, brauchen Sie eine neue Sichtweise.
Auch wenn es sich für Sie oft anders anfühlt: Wie Sie auf den Druck reagieren, der auf Ihnen lastet, entscheidet niemand anderer als Sie. Nur Sie selbst bestimmen, wie Sie sich verhalten und was Sie tun. Und vor allem: wie Sie leben wollen.
Ich bestimme selbst!
München, ein Mittwochabend. Ich sitze im Taxi auf dem Weg von einer Konferenz mit Finanzvorständen. Ich habe dort einen Vortrag gehalten darüber, wie Unternehmen noch schneller erfolgreich werden können. Alle haben hoch konzentriert zugehört. Hinterher bin ich mit einigen ins Gespräch gekommen. Sie haben mir erzählt, dass sie sich nach mehr Fokus und Wirksamkeit sehnen. Ich habe gespürt, wie sehr sie im Tornado stecken: Sie kontrollierten ständig mitten im hektischen Stimmengewirr den Maileingang auf ihren Smartphones und erledigten Rückrufe. Dann stopften sie viel zu hastig die kleinen Häppchen vom Buffet in sich hinein, bevor sie sich zum nächsten Termin verabschiedeten.
So ein Tag zehrt auch an meinen Reserven. Die Technik war mitten im Vortrag ausgefallen. So musste ich den Raum ohne Mikro beschallen. Nach diesem Kraftakt für meine Stimmbänder freue ich mich auf einen Moment der Ruhe und falle erschöpft ins Taxi. Sehne mich nach zu Hause, nach einer Umarmung meiner Frau und ein bisschen sportlichem Gerangel mit meinem Sohn.
Mein Taxifahrer wirft mir im Rückspiegel einen freundlichen Blick zu – schon beim Einsteigen ist mir seine warme Stimme aufgefallen und seine heiter-gelassene Ausstrahlung. Ich bin neugierig und stecke mein Telefon wieder in die Tasche. Wir unterhalten uns, obwohl meine Stimme schon etwas heiser ist. Ich erfahre, dass er Syrer ist, seit vielen Jahren in Deutschland lebt und dieses Jahr bereits siebzig wird. Aber er arbeitet noch immer. Weil die Rente nicht reicht.
Mit siebzig noch Taxifahrer? Ich frage ihn: »Und – sind Sie glücklich?« Er zögert keinen Moment und antwortet mit einem Funkeln in den Augen: »Aber ja!« Ich will wissen, was für ihn Glück bedeutet. Er nennt, ohne zu zögern, drei Aspekte: Er führt eine gute Ehe, seine Familie ist gesund – und er ist finanziell unabhängig. Der letzte Punkt lässt mich stutzen: »Wie meinen Sie das? Sie sagten doch gerade, dass Sie zu wenig Rente bekommen …«
Er lächelt und erklärt es mir mit ruhigen Worten. Er meint »finanziell unabhängig« nicht im Sinne von »reich«. Nein, das ist er nun wirklich nicht. Er hat harte Zeiten hinter sich und es gibt gute und weniger gute Tage. Aber, hey, er ist sein eigener Boss, er kann selbst bestimmen: »Ich fahre mein eigenes Taxi – das ist meine Firma! Ich bestimme selbst, wann und wie lange ich fahre. Ich bin der Herr meiner Zeit!« Wie er das so erzählt, wirkt er nicht naiv und weltfremd, sondern klar und geerdet. Und ganz und gar nicht hektisch. Mir fällt auf, dass er der erste entspannt wirkende Mensch ist, der mir heute über den Weg gelaufen ist.
Welch ein Kontrast! Ein einfacher Taxifahrer strahlt mehr Selbstbestimmtheit aus als Menschen, in deren Händen die Verantwortung für millionenschwere Budgets und Tausende von Mitarbeitern liegt. Ist das Rezept so einfach? Wissen, was einem wichtig ist, sein Leben und seine Zeit darauf ausrichten – und schon bin ich glücklich?
Ein harter Weg ist kein Hindernis für Glück. Im Gegenteil!
Keine Sorge, ich bin kein Romantiker. Ich behaupte keineswegs, dass alle Finanzvorstände unglücklich und fremdbestimmt sind. Viele von ihnen führen genau das Leben, das sie immer führen wollten. Und wenn das so ist, finde ich das großartig. Aber das Leben in solchen Jobs ist kein Ponyhof. Und im Businesstornado verlieren auch sie immer wieder mal ihren Horizont aus den Augen. Und nein, bei diesem Taxifahrer gibt es nichts zu verklären. Er hat kein leichtes Leben, denn er ist einen verdammt harten Weg gegangen und geht ihn noch immer. Aber ein harter Weg ist kein Hindernis für Glück. Im Gegenteil!
Nur wenn Sie Ihre Zeit selbstbestimmt nutzen, verschwenden Sie sie nicht sinnlos auf Ihrem Lebensweg. Und nur dann sind Sie in der Lage, subjektiv Glück, Erfolg und Reichtum selbst dort zu finden, wo andere nur – wie im obigen Beispiel – einen bettelarmen Taxifahrer mit hartem Los sehen würden. Und dann, nur dann, werden Ihnen die Menschen auch zuhören und glauben, wenn Sie selbst das Wort ergreifen und sich mit Ihrer Stimme in die Gespräche und Debatten einmischen. Wer hört schon gerne einem Weichei zu, dem man einen harten Weg und die Entschlossenheit, eigene Ziele zu verfolgen, nicht abkaufen mag? Ich bin sicher: Wenn dieser Taxifahrer die Gelegenheit bekäme, vor größerem Publikum von seinem Leben und seiner Lebenseinstellung zu erzählen, wäre es mucksmäuschenstill im Saal – so wie damals im Taxi, nachdem ich diese Worte gehört hatte und sie überhaupt nicht mehr aus dem Kopf bekam.
Der neue Luxus
Was ist so faszinierend an Menschen, die ihre Zeit selbstbestimmt nutzen? Warum werden sie bewundert und beneidet? Wegen ihres wahren Reichtums. Eines Reichtums, der vielen unerreichbar erscheint, mehr noch als alle materiellen Besitztümer und alle Machtpositionen. Ein Reichtum an selbstbestimmter Zeit ist kein Ergebnis einer noch so ehrgeizigen Karriere. Er kann nicht im Lotto gewonnen und nicht vererbt werden. Er ist das Ergebnis einer inneren Haltung, die Sie sich nur auf einem harten Weg erarbeiten können.
Selbstbestimmte Zeit ist der neue Luxus.
Selbstbestimmte Zeit ist der neue Luxus. Ein Luxus, der vielen Menschen heute erstrebenswerter erscheint als ein prall gefülltes Bankkonto. Und das Tolle ist: Dieser Reichtum ist in Wahrheit für alle Menschen viel leichter erreichbar als sein materielles Pendant. Denn so hart der Weg dahin auch ist und egal, in welcher Situation Sie gerade stecken – Sie können ihn gehen. Sie benötigen dafür keine besonderen materiellen Ressourcen. Genau wie der syrische Taxifahrer können Sie Ihre Möglichkeiten auf das ausrichten, was Ihnen wirklich wichtig ist.
Ich benutze dafür gerne ein Bild aus dem Roman »Der Herr der Ringe« von J.R.R. Tolkien. Der alt und müde gewordene Bilbo Beutlin klagt dort beim Zauberer Gandalf, dass er sich fühlt wie Butter, die viel zu dünn auf zu viel Brot verstrichen worden ist: »Why, I feel all thin, sort of stretched, if you know what I mean: like butter that has been scraped over too much bread.«
Als ich diesen Satz zum ersten Mal las, entstand sofort die Assoziation zu der großen Müdigkeit und Überforderung, die sich die Menschen in der heutigen Zeit permanent zumuten. Das Bild von zu wenig Butter auf zu viel Brot beschreibt ihre Lage recht treffend. Immerzu versuchen sie, mit ihren begrenzten Ressourcen – ihrer Zeit, ihrer Energie, ihrer Arbeitskraft – das ganz große Rad zu drehen und gleichzeitig mit einem Schlag all das zu erreichen, wovon sie glauben, dass es für sie erstrebenswert sein muss: Familie, Kinder, beruflicher Erfolg, ein schönes Haus, ein tolles Auto, viele nette Freunde, viele gute Beziehungen, gutes, gehaltvolles und zugleich genussreiches Essen, wertvolle kulturelle Impulse und, und, und.
Alle möchten sie so schnell wie möglich ein möglichst großes Stück Brot. Ich weiß nicht, ob Sie all das, was ich soeben aufgezählt habe, wirklich im Einzelnen benötigen. Gut möglich, dass auch Sie das nicht so genau wissen. Aber der Wunschkatalog, den unsere Gesellschaft uns allen permanent wie Hunden das Leckerli vor die Nase hält, hat eine ungeheuer große Anziehungskraft. Und ehe Sie sichs versehen, ertappen Sie sich dabei, ebenfalls diesen Wünschen nachzulaufen und dafür die nächste Anstrengung und Überforderung in Kauf zu nehmen. Denn Ihre Ressourcen sind längst nicht so groß wie die immer länger werdende Liste Ihrer Wünsche.
Passen Sie die Größe des Brotes Ihrer Buttermenge an.
Genau dazu passt das Bild von Bilbo Beutlin: Das Brot Ihrer Wünsche ist so groß, dass die Butter, die darauf verteilt wird, immer dünner und dünner ausgestrichen werden muss. Sie reicht