Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Gunther SchmidtЧитать онлайн книгу.
Süchten, Depressionen, psychosomatischen Problemen etc., gelernte Einstellungen bei. Mit unserem Vorgehen kann nun ermutigt werden dazu, wieder dieses intuitive Wissen achtungsvoll zu nutzen, die Symptommuster werden so wie von alleine schon gemildert oder aufgelöst. Dies sollte aber nicht dazu führen, dass kognitive Kompetenzen nun ihrerseits abgewertet und vernachlässigt werden sollten. Vielmehr kann so in besonders wirksamer Weise eine optimale Kooperation zwischen intuitiven und kognitiven Funktionen unterstützt werden. Dies ermöglicht erst die optimale Synergie im jeweiligen System, nur so können alle wertvollen Kompetenzen des Systems optimal genutzt werden.
Die Fokussierung auf intuitive Stimmigkeit kann hervorragend verbunden werden mit Interventionen, die den Körper und die Körperkoordination einbeziehen. Jedes Erleben geht unweigerlich mit einer bestimmten Physiologie einher, zu der auch die Körperkoordination gehört. Die Körperkoordination stellt ein wichtiges Element im jeweiligen unwillkürlichen Erlebnismuster dar. Musteränderungen können ja auf allen Ebenen der Musterorganisation erfolgen. So könnte es sich als hilfreiche Änderung erweisen, wenn man z. B. die inneren Dialoge oder die inneren „Filme“ ändert, die mit einem Problemerleben assoziiert sind. Solche wichtigen Musterelemente liegen aber meist so weit (jedenfalls mittel- und langfristig) unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle (also so von ihr dissoziiert), dass es bewusst lange kaum bemerkt wird, wenn sie schon wieder aktiviert werden. Sie wirken leider dennoch, auch wenn sie unterschwellig unwillkürlich aktiviert sind. Außerdem ist es für viele Menschen eher schwierig, Einfluss auf sie zu nehmen. Die Körperkoordination aber ist bewusst schneller beeinflussbar, und es ist auch schneller bemerkbar, wenn sie sich ändert. Seit vielen Jahren biete ich deshalb in Therapien und Seminaren (und natürlich im Selbstexperiment) den Klienten an, ihre Körperkoordination willkürlich so lange zu verändern, bis ihre intuitive Rückmeldung ihnen sagt, dass sie stimmig und hilfreich wirkt und ihre Kompetenzen aktiviert. Dabei zeigt es sich praktisch immer, dass diese zunächst nur willkürliche Änderung der Körperkoordination nach kurzer Zeit zu einer erheblichen Verbesserung der unwillkürlichen Prozesse insgesamt beiträgt. Die Körperkoordination wirkt offenbar als starker Attraktor im Erlebnismuster, sie zieht sozusagen die anderen unwillkürlichen Musterelemente nach sich. Man kann ohne Abstriche sagen: „So wie man geht, geht es einem …“ Obwohl es sich zunächst nur um ein So-tun-als-ob handelt: Wenn man während eines Symptomerlebens die als zieldienlich erlebte Körperkoordination einnimmt, bewirkt sie nach relativ kurzer Zeit meist schon eine tatsächlich sehr zieldienliche Umschaltung.
Und umgekehrt stellt es eine große Chance dar, wenn ich die Klienten einlade, extra, willkürlich einmal (am besten sogar leicht übertrieben) die Körperkoordination einzunehmen, die sonst unwillkürlich mit dem Problemerleben einhergeht. So können sie nämlich schnell eher willkürlich das Muster wahrnehmen und beeinflussen, welches bisher dissoziiert auf nicht beeinflussbar erscheinender unwillkürlicher Ebene das Problem stabilisierte. Verbinden sie dann auf meine Einladung hin die Bewegung zur Problem-Körperkoordination mit der hin zur Lösungs-Körperkoordination, können sie gezielt a) schneller das Problemmuster bemerken und unterbrechen und b) ein neues Transfermuster aufbauen, welches ihnen wirksam hilft, die bisherige Dissoziation zwischen Problemmuster und den hilfreichen Lösungskompetenzen aufzulösen. Ich nenne solche Interventionen gerne „Problemlösungsgymnastik“. Sie gehören zu den wirksamsten Interventionen, die ich kenne. Sie zeigen auch, dass hypnotherapeutisch orientierte Arbeit keineswegs mit Entspannung, Katalepsie und einseitig nach innen gerichteter Aufmerksamkeit verbunden sein muss. Solche Interventionen wirken dabei intensiv tranceinduzierend, d. h. aber lösungstranceinduzierend. Die vielfältigen wertvollen Methoden von Skulptur-, Konstellations- und Systemchoreografiearbeit gewinnen mit diesen Methoden noch einmal eine äußerst hilfreiche und interessante zusätzliche Dimension.
Gerade diese Rituale der Fokussierung auf intuitives Wissen bieten auch eine wichtige Chance für alle Interventionsangebote, die ebenfalls in der traditionelleren systemischen Arbeit gemacht werden. Dort wird, wie oben gezeigt, versucht – z. B. durch viele Interventionen, entsprechende Konversation, das Entwickeln vielfältiger Perspektiven – die bisher rigide eingeengten Sichtweisen zu erweitern, problemstabilisierende Muster zu „verstören“ etc. Viele Kritiker systemischer Arbeit weisen (aus meiner Sicht nicht ganz zu Unrecht) darauf hin, dass so eine Tendenz zur Beliebigkeit in die Arbeit kommen könnte. Ich sehe eher den Nachteil, dass die Angebote oft viel zu ungerichtet, zu wenig exakt auf die Anliegen der Klienten fokussiert sind. Mit der Fokussierung auf intuitives Wissen löst sich dieser Nachteil weitgehend auf. Es muss nicht mehr „gerungen“ werden um gemeinsame Wirklichkeitsdefinitionen (von Schlippe 1995), sondern in gemeinsamer, neugierig Anteil nehmender, auch spielerisch kreativer Weise kann wie in einem konstruktiven Forschungsexperiment nach den jeweiligen passenden Wirklichkeitskonstruktionen, Beschreibungen, Bewertungen, Lösungsversuchen, Kommunikationsprozessen, Nähe-Distanz-Regelungen etc. geforscht werden, die den angestrebten Zielen dienen. Und kontinuierlich kann dann jede Entwicklung im Verlauf der Zusammenarbeit als wertvolle Rückmeldung über Stimmigkeit oder ihr Gegenteil verwertet werden. Auch „Rückfälle“ können so optimal als wertvolle Feedbacks genutzt werden (siehe auch das Kapitel über Rückfälle).
Dialektische Hypnotherapie und Probleme bzw. Symptome als kompetente Lösungsversuche mit Preis
Das hier dargelegte Verständnis, dass Symptome und Probleme als vom bewussten, willkürlichen „Ich“ ungewünschte, gegen dessen Zielvorstellungen gerichtete „Problemtrance“-Phänomene verstanden werden können, resultiert in einer zweiten, ebenfalls sehr wichtigen Grundaufgabe für Therapie bzw. Beratung. Es sollten nicht nur alle Bemühungen darauf abgestellt werden, gewünschtes Erleben so detailliert und so intensiv als möglich in den Fokus der Aufmerksamkeit zu bringen. Es sollten außerdem alle Möglichkeiten genutzt werden, um die an Symptomen und Problemen Leidenden dabei zu unterstützen, die „Problemtrance“ wieder aufzulösen. Und da eben unwillkürliche Prozesse so viel stärker und wirksamer sind als willkürliche, genügen dafür oft nicht die Interventionen, die auf die gewünschten Lösungserlebnisse fokussieren („Wunscherlebensinduktion“). In vielen Therapien und Beratungen, dies weiß ich aus zahlreichen Supervisionen, bereitet es Klienten und Therapeuten massive Probleme, dass nach anfänglichen Besserungen wieder die alten Problemmuster auftreten – dann aber, da man von der Erwartung ausging, dass die Probleme nun endlich „vorbei“ seien, wirkt das zusätzlich belastend und oft sogar problemverstärkend.
Die Symptommuster werden deshalb oft als so übermächtig erlebt, weil die dazu beitragenden Fokussierungs- und Assoziationsprozesse dem Einfluss der willkürlichen Möglichkeiten entzogen sind, davon dissoziiert sind und so ein massiver Verlust an Wahlmöglichkeiten erlebt wird. Gleichzeitig ist aber der Erlebende auch intensiv (wie in einem Albtraum) von diesen unwillkürlichen Prozessen absorbiert. Eine hilfreiche Metabeobachterposition (ähnlich, wie wenn man einen Horrorfilm aus der gut distanzierten Loge betrachten würde oder wenn man luzides Träumen praktizieren würde) fehlt.
Als viel hilfreicher erweist es sich deshalb häufig, ergänzend zur Lösungsimagination auch noch Unterstützung anzubieten im Sinne einer Exduktion aus der Problemtrance (also quasi dem Gegenteil einer Trance- oder Bewusstseinsinduktion; selbstverständlich wird jede Exduktion auch wieder zu einer Induktion, da sie ja zu einer anderen Erlebnisweise führt).
Die generelle Zielrichtung dabei ist, entsprechend dem, was ich gerade als Kennzeichen der Problemtranceorganisation beschrieben habe, eine geschützte Beobachterposition aufzubauen, aus der heraus man wieder Wahlmöglichkeiten erleben kann und, damit einhergehend, die Kompetenz, ungewollte Erlebnisprozesse konstruktiv umzugestalten. Um dies zu ermöglichen, erscheint es oft geradezu unablässig, sich auch mit den Problemmustern zu beschäftigen. Allerdings wäre es auch wieder nicht hilfreich genug, wenn man sich einseitig mit den Problemmustern beschäftigen würde. Die nach unseren Erfahrungen optimale Strategie ist es, kontinuierlich Problemmuster mit gewünschten Mustern (z. B. solchen, die bisher schon einmal erlebt wurden) systematisch und strukturiert zu vergleichen. Information entsteht grundsätzlich durch das Herstellen von Unterschieden. Die Unterschiede, welche am meisten zu lösungsrelevanter Information führen, sind gerade solche zwischen Problem- und Lösungsmustern. Das vielfältige Wissen der Hypnotherapie darüber, wie man Erlebnisprozesse beschreibt und gestaltet, kann hierfür in idealer Weise