Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus. Alexandre DumasЧитать онлайн книгу.
für die geistigen Genüsse danken sollte, die ich ihr angeblich bereitet hatte.
Fünf bis sechs Personen, die sich bald darauf einfanden, sprachen gut Französisch, besonders die Damen.
Ich sah mich nach dem Kommandanten um. Frau Polnobokow kam meiner Frage zuvor.
»Haben Sie auf dem Wege hierher keine Schüsse gehört?«, fragte sie.
»Jawohl, drei Schüsse«, antwortete ich.
»Ganz recht; sie fielen in der Richtung des Terek, und dort haben sie immer eine gefährliche Bedeutung. Mein Mann ist beim Polizeimeister. Ich glaube, man hat Kosaken abgeschickt.«
»Dann werden wir bald etwas Näheres darüber erfahren.«
»Gewiss, sehr bald.«
Die übrigen Gäste schienen an die Schüsse nicht im Mindesten zu denken; man plauderte und lachte wie in einem Pariser Salon.
Bald kam der Kommandant mit dem Polizeimeister, und beide nahmen am Gespräch teil, ohne dass sie im Mindesten zerstreut oder aufgeregt schienen.
Zum Tee wurde verschiedenes armenisches Backwerk gereicht, das wegen der Zutaten einen sonderbaren, für europäische Gaumen fremdartigen Geschmack hatte.
Ein Diener, der mit einer Tscherkesska bekleidet war, flüsterte dem Kommandanten etwas zu. Dieser gab dem Polizeimeister einen Wink, und beide entfernten sich.
»Ist die Antwort angekommen?«, fragte ich die Frau des Hauses.
»Wahrscheinlich«, antwortete sie. »Nehmen Sie noch eine Tasse Tee?«
»Sehr gern.«
Ich tat Zucker in meine Tasse, schüttete Rahm auf den Tee und begann langsam zu schlürfen, denn ich wollte nicht neugieriger scheinen als die anderen. Aber mein Blick war beständig auf die Tür gerichtet.
Der Kommandant kam allein zurück.
Da er kein Französisch sprach, so musste ich warten, bis Frau Polnobokow meine Neugierde befriedigte. Sie erriet meine Ungeduld, die sie wahrscheinlich für übertrieben hielt.
»Man hat zweihundert Schritte von Ihrer Wohnung die Leiche eines Mannes gefunden«, sagte sie; »er ist von zwei Kugeln getroffen worden; aber da er völlig ausgeplündert war, so weiß man nicht, wer er ist. Es ist vermutlich ein Kaufmann, der heute seine Waren in der Stadt feilgeboten und sich verspätet hat. Heute Abend vergessen Sie nicht Ihre Fensterläden zu schließen, wenn Sie Licht behalten; man könnte durchs Fenster auf Sie schießen.«
»Was könnte es aber einem Räuber nützen?«, erwiderte ich; »die Tür ist doch verschlossen.«
»Er würde es vielleicht zum Zeitvertreib tun. Es sind sonderbare Leute, die Tataren.«
Ich schrieb einige Verse in das Album und dachte an den Toten nicht mehr als die anderen.
Vierzehn Tage nachher begriff ich diese Gleichgültigkeit, die mich anfangs so in Erstaunen gesetzt hatte.
Um elf Uhr gingen alle Gäste fort. Die Abendgesellschaft hatte länger gedauert als üblich; man war vielleicht seit Jahr und Tag nicht so lange beisammengeblieben.
Das Vorzimmer sah aus wie eine Wachstube; jede der zum Tee geladenen Personen war mit einem bis an die Zähne bewaffneten Diener gekommen.
Die Droschke des Kommandanten hielt wieder vor dem Haus mit den beiden Laternenträgern und den beiden Kosaken. Sie kostete mich drei Rubel: einen für den Kutscher, einen für die zwei Laternenträger und einen für die zwei Kosaken; aber die Sache war mir neu, das Geld reute mich nicht.
Ich brauchte meine Fensterläden nicht zu schließen. Unser junger Wirt, der ungemein aufmerksam war, hatte schon dafür gesorgt.
Ich legte mich auf meine Bank und hüllte mich in meinen Pelz. Mein Mantelsack diente mir als Kopfkissen.
DIE GAWRIELOWITSCHE
Wenn man sich abends auf ein Brett gelegt und nur einen Teppich als Matratze und einen Pelz als Decke hat, so steht man morgens nicht ungern auf. Ich verließ bei Tagesanbruch mein Lager, wusch mir Gesicht und Hände indem in Kasan gekauften kupfernen Waschbecken – denn ein solches findet man in Russland nur selten – und weckte meine Reisegefährten.
Die Nacht war ruhig verlaufen.
Wir mussten in aller Eile frühstücken und schleunigst abreisen; denn bis nach Schukowaja, unserem nächsten Nachtquartier, hatten wir einen weiten und teilweise äußerst gefährlichen Weg zurückzulegen.
Die gefährlichste Stelle war ein Wald, der sich von der Landstraße bis ans Gebirge erstreckt. Erst vor acht oder zehn Tagen war ein Offizier, der auf der Station Novo-Utschregdemaja keine Kosaken zur Bedeckung gefunden hatte, trotz der Warnungen weitergereist, um zeitig in Schukowaja einzutreffen. Er saß in einer Kibitka, die mit einem Lederdach versehen war. Mitten im Wald sprengte ein Tschetschene auf ihn zu. Er machte seine Pistole schussfertig; als ihm der Tschetschene auf vier Schritte nahegekommen war, drückte er ab. Die Pistole versagte. Der Räuber hatte ebenfalls eine Pistole in der Hand, er schoss aber nicht auf den Offizier, sondern auf das eine Pferd der Kibitka. Das Pferd stürzte, der Wagen musste halten. Zehn Tschetschenen zu Fuß kamen nun aus dem Dickicht hervor und griffen den Offizier an. Dieser verwundete zwei von ihnen mit seinem Säbel, wurde aber schnell überwältigt, ausgeplündert und mit dem Hals am Schweif des Pferdes festgebunden. Die Tschetschenen besitzen eine ungemeine Geschicklichkeit für solche Handstreiche. Sie haben immer einen Strick mit einer Schlinge in Bereitschaft; der Gefangene wird ans Pferd gebunden und der Reiter jagt im Galopp davon, ehe jener Zeit hat, um Hilfe zu rufen.
Zum Glück für den Offizier kamen die Kosaken, die er auf der letzten Station nicht gefunden hatte, von der nächsten Station zurück. Sie sahen von Weitem den Kampf, setzten ihre Pferde in Galopp, erreichten die Kibitka, erfuhren von dem Kutscher, was vorgefallen war, und eilten den Tschetschenen nach.
Die unberittenen Banditen warfen sich auf die Erde und ließen die Kosaken vorbeireiten; der Berittene trieb sein Pferd mit den Sporen und seinen Gefangenen mit der Peitsche an; aber dieser leistete Widerstand und hielt den Reiter auf.
Als der Räuber den Galopp der Kosakenpferde hinter sich hörte, zog er seinen Handschar. Der Offizier glaubte, es sei um ihn geschehen; aber der Räuber durchhieb nur den Strick, mit dem der Gefangene an den Schweif seines Pferdes festgebunden war.
Der Offizier fiel halb erdrosselt zu Boden. Der Räuber stürzte sich zu Pferde in den Terek. Die Kosaken feuerten auf ihn, trafen ihn aber nicht.
Der Tschetschene erreichte mit lautem Triumphgeschrei und seine Flinte hoch über dem Kopf schwenkend das andere Ufer und schickte den Kosaken eine Kugel herüber, die einem von ihnen den Arm zerschmetterte.
Zwei Kosaken leisteten ihrem Kameraden Hilfe, die beiden anderen dem Offizier. Ein Kosak gab ihm sein Pferd und seine Burka, und er kam halbtot in Schukowaja an. Frau Polnobokow hatte uns den Ort bezeichnet und die Geschichte erzählt, und wir hatten ihr versprochen, diesen womöglich am hellen Tage zu passieren.
Aber ohne gefrühstückt zu haben, konnten wir nicht abreisen. Als ich das eine Huhn rupfen ließ und die Bratpfanne hervorsuchte, kam der Polizeimeister und lud uns zum Frühstück ein. Es sei alles bereit, wir brauchten nur über die Straße zu gehen.
Ich wollte mich entschuldigen, aber er gestand mir, dass seine Frau meine Bekanntschaft zu machen wünsche, und er mache die Einladung in ihrem Namen. Sie habe den gestrigen Abend nicht bei ihrer Schwester, der Kommandantin, zubringen können, weil keine Kosaken zur Verfügung gestanden hatten.
Es blieb mir nichts übrig, als zu gehorchen.
Wir fanden zwei Damen statt einer. Eine Schwägerin hatte sich zum Frühstück eingefunden, um den Verfasser des »Monte-Christo« und der »Musketiere« kennenzulernen.
Beide Damen sprachen Französisch. Die Frau des Polizeimeisters setzte sich ans Piano und sang einige sehr hübsche russische Lieder, unter anderen Lermontows »Gornaja Werschini«.