Der weite Weg nach Westen. William H. ClarkЧитать онлайн книгу.
in deutscher Sprache zugänglich gemacht, die in den schriftlichen Zeugnissen der Entdeckungsfahrten kaum ihresgleichen findet und als fester Bestandteil der amerikanischen Nationalliteratur gelten darf. Der Übersetzung liegt die auf lange Sicht gültige Kompilation der »Lewis and Clark Journals« zugrunde, die der Herausgeber der wissenschaftlichen Gesamtausgabe des Schrifttums aus den Reihen der Expeditionsmitglieder, Gary E. Moulton von der University of Nebraska, im Jahr 2003 vorgelegt hat. Sie enthält die Essenz der Tagebücher von Meriwether Lewis und William Clark, da und dort ergänzt um Aufzeichnungen anderer Teilnehmer an der »Tour der Leiden«. Mit der Rechtschreibung, gelegentlich mit der Grammatik, taten sich die Autoren schwer, Clark mehr als Lewis. Verlag, Herausgeber und Übersetzer haben der Versuchung widerstanden, die Eigentümlichkeiten ihrer Sprachgestaltung im Deutschen nachzuahmen oder produktiv fortzuspinnen; sie sind der Auffassung, dass der Inhalt der Tagebücher im Vordergrund des Interesses steht.
Seit 2003 zelebrieren die Amerikaner die zweieinhalb Jahre dauernde, zwölftausenddreihundert Kilometer umfassende Reise des »Corps of Discovery« mit Lewis und Clark – Festivals, Ausstellungen und Fernsehserien; seit 2003 nehmen Lewis und Clark-Publikationen Spitzenpositionen auf den Bestsellerlisten ein, haben sich Zehntausende auf den Weg gemacht, um die Lewis- und Clark-Route zu bereisen, mit dem Auto, dem Schiff, zuweilen auf Schusters Rappen. Sie alle beschwören bewusst oder unbewusst im Gedenken an die Captains und deren Truppe den Mythos des Westens, der auch der Mythos Amerikas ist: Pioniergeist, Wagemut, Flexibilität – Tugenden, auf denen die Nation gründet, Tugenden, die eine Gesellschaft »on the road«, stets auf der Suche nach neuen Grenzen, hervorgebracht haben. Die Jubiläumsfeierlichkeiten sind am 18. Januar 2003 im virginischen Monticello, dem Lebensmittelpunkt von Thomas Jefferson, dritter Präsident der USA und Spiritus Rector der Pazifikunternehmung, eingeläutet worden – auf den Tag genau zweihundert Jahre, seit er in einem vertraulichen Schreiben an den amerikanischen Kongress um die Bewilligung von zweitausendfünfhundert Dollar für eine Expedition »den Missouri hinauf und weiter zum Pazifik« ersuchte. Wenngleich der Aufbruch in die unbekannten Weiten des Westens erst am 14. Mai 1804 von Camp Dubois, oberhalb von St. Louis am Ostufer des Mississippi gelegen, erfolgt, werden die notwendigen Vorkehrungen für das große Abenteuer schon 1803 getroffen, könnte man seinen Beginn etwa auch auf den 26. Oktober 1803 datieren, als Lewis und Clark mit einigen Männern des »Corps of Discovery« zum ersten Mal gemeinsam das »keelboat« bei Louisville, Kentucky, besteigen und den Ohio abwärts zum Winterlager in Camp Dubois reisen. Zwar liegen für Teile des Jahres 1803 schon erste Aufzeichnungen von Lewis und Notizen von Clark vor; recht eigentlich beginnen aber die »Journals« als durchgängige Reisebegleitung mit dem 14. Mai 1804.
Der Herausgeber dankt der Verlegerin, Frau Kolb-Rothermel, für die spontane Bereitschaft, die Tagebücher der Captains Lewis und Clark im Rahmen der Edition Erdmann einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dass das Projekt verwirklicht werden konnte, ist auch der finanziellen Unterstützung durch das Deutsch-Amerikanische Zentrum in Stuttgart und seinem Direktor, Ulrich Bachteler, geschuldet.
Der Herausgeber
EINFÜHRUNG
»Das Ziel ihrer Mission ist es, den Missouri und einen mit ihm zusammenhängenden Fluss zu erkunden, der durch seinen Lauf und seine Verbindung zum Pazifischen Ozean, sei es der Columbia, Oregon oder Colorado … den direktesten und brauchbarsten transkontinentalen Wasserweg für Handelszwecke bietet …«, schreibt der amerikanische Präsident Thomas Jefferson am 20. Juni 1803 an seinen Privatsekretär Meriwether Lewis. Er hat kurz zuvor den neunundzwanzigjährigen Virginier, Captain des 1. US-Infanterie-Regiments, für die Leitung einer Expedition ausgewählt, die dem Missouri stromaufwärts folgen, die »Stony Mountains« überqueren und zum Pazifik führen soll. Seit vielen Jahren treiben den Autor der Unabhängigkeitserklärung, den Privatmann auf seinem Herrensitz Monticello und das Mitglied der »Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft« mit Sitz in Philadelphia Pläne zur Erforschung der westlichen Regionen des nordamerikanischen Kontinents jenseits des Mississippi um, immer wieder versucht er, freilich lange Zeit ohne Erfolg, sie in die Tat umzusetzen. Als Delegierter Virginias im Kontinentalkongress hatte Jefferson im Winter 1783 bei seinem langjährigen Freund und hochdekorierten General des Unabhängigkeitskrieges, George Rogers Clark angefragt, ob er gegebenenfalls eine Expedition »zur Erforschung des Landes vom Mississippi bis nach Kalifornien« leiten würde. Drei Jahre später, inzwischen »Minister Plenipotentiary« (Gesandter) der USA am Hof Ludwigs XVI, unterstützte Jefferson das abenteuerliche – bald darauf fehlgeschlagene – Projekt eines jungen Landsmannes, John Ledyard, der an der dritten Weltumseglung James Cooks teilgenommen hatte, und jetzt auf dem Landweg quer durch das Russische Reich zum nördlichen Pazifik zu gelangen hoffte, um dann, auf welcher Route auch immer, vom äußersten Westen Amerikas her dessen Osten zu erreichen. Während seiner Amtszeit als »Secretary of State« im ersten Kabinett George Washingtons überzeugte er die philadelphische Philosophengesellschaft vom Nutzen einer Überlandexpedition in westlicher Richtung und schien am Ziel seines Wunsches angekommen, als der französische Botaniker André Michaux, der bislang im Auftrag seines Königs die »neue Welt« auf nützliches Pflanzen- und Saatgut durchsucht hatte, 1791 an die Sozietät mit der Idee eben einer solchen Expedition zum Pazifik herantrat. Auch dieses Unternehmen kam bloß unwesentlich über das Planungsstadium hinaus, ohne dass Jefferson deshalb der Resignation verfallen wäre.
Jetzt aber, 1803, als dritter Präsident der USA, kann der »Herr von Monticello« seine »West«-Visionen nachdrücklich verfolgen. Dass sich mitten in den Vorbereitungen der Glücksfall des »Louisiana Purchase« ereignet, vertraglich am 2. Mai fixiert und auf den 30. April vordatiert, der den USA die Verdoppelung ihres Staatsgebiets – 2,1 Millionen Quadratkilometer zwischen Mississippi und Rocky Mountains – für den Schnäppchenpreis von 15 Millionen Dollar beschert, ist keinesfalls, wie gelegentlich vermutet, ursächlich für die Realisierung des Projekts gewesen, hat es aber nach Kräften befördert und vielschichtiger dimensioniert. Ein komplexes Motivbündel lässt den Virginier die Promotion seines Lieblingsprojekts mit stupender Hartnäckigkeit verfolgen. Machtpolitische und wirtschaftliche Überlegungen spielen dabei eine zentrale Rolle. Die dreizehn Kolonien, seit 1776 Kern der späteren Weltmacht USA, fühlen sich nach ihrer gemeinsamen Staatsgründung fürs Erste eingekreist von der »Alten Welt«, von den Großmächten der Zeit, von England, Frankreich und Spanien. Mit den Briten im Norden des Kontinents, dem imperialen Ambitionen nachhängenden Napoleon Bonaparte, seit 1800 im Wiederbesitz des vorübergehend spanischen Territoriums »Louisiana« im Westen, und Spanien im Süden und Südwesten, blieb die Existenz der jungen USA fragil, tat macht- und territorialpolitischer Zuwachs not, um der vielfach beschworenen Gefahr der Strangulierung zu entgehen. Vor allem die Mississippi-Region galt es, im Auge zu behalten. Thomas Jefferson hat um die ökonomische Bedeutung des großen Flusses gewusst, auf dem erste Pionier- und Siedlerscharen Felle, Getreide, Holz und Vieh in die geschäftige Handelsmetropole New Orleans oder weiter zur Mündung des Mississippi in den Golf von Mexiko verschifften. Wenn Spanien oder Frankreich die freie Schifffahrt sperrten, wenn sie amerikanische Handelsrechte in und um New Orleans herum aufkündigten oder verweigerten, würde der Separatismus in Staaten wie Kentucky oder Tennessee um sich greifen, war der Bestand der Union gefährdet. Amerikanische Präsenz in der Region schien deshalb geboten, Flagge zeigen auch in Form einer Expedition angesagt.
Ideologische Triebkräfte verstärken Jeffersons Drang nach Westen. Obwohl in seiner kulturellen Lebensart überzeugter Atlantiker, bleibt er als Virginier auch einem »Südstaatlertum« verhaftet, das sich im Drang nach Westen manifestiert, den Aufbruch in das Unbekannte als Chance für eine sich erweiternde Union versteht – im Gegensatz zu den »Neuengländern« des Nordostens, die darin Risiken für Überkommenes erblicken. Der »Herr von Monticello« predigt den Segen des Republikanismus, der solange bewahrt werden kann, wie freie Farmer auf eigenem Grund und Boden als eigenverantwortliche Individuen politische Bürgertugenden entfalten können: territoriale Expansion, Erkundung der »Terra incognita« diesseits und jenseits des Mississippi auch unter landwirtschaftlichem Aspekt geraten zu programmatischen Fixpunkten des Botschafters, Außenministers und Präsidenten Thomas Jefferson. So kräftig nährt die Ideologie des »Empire of Liberty« den Landhunger ihres Advokaten, dass selbst indianisches Schicksal in der Vision vom Westen »aufgehoben« ist: Eine vorläufige Lösung für die anhaltenden Konflikte