Perry Rhodan 2169: Das Lichtvolk. Leo LukasЧитать онлайн книгу.
Sekretär, ein Geflechtpfleger, ein Grundschullehrer oder Kinderkrippner wie sein Vater. Ist doch egal, solange er gesund ist und sich seines Lebens freuen kann.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alle Instrumente optimale Werte anzeigten, leitete Panige die Geburt ein. Diese ging schnell und schmerzlos vonstatten, ganz normal wie immer. Panige genoss das Erlebnis dieses ebenso archaischen wie immer aufs Neue sensationellen Vorgangs.
Doch als das Kind dann erschien, wurde sie jäh aus ihrer hormonell induzierten Euphorie gerissen.
Die Augen des Hebamms, die zuvor in beruhigend kühlem Hellblau gestrahlt hatten, weiteten sich und glühten dunkel auf vor Schreck. Sein Mund verzog sich zu einer Grimasse, sodass die spitzen, dreieckigen, perlmuttfarbenen Zähne sichtbar wurden.
Vor allem jedoch veränderte sich schlagartig seine Aura.
Aufgrund ihrer gesteigerten Parafühligkeit konnte Panige das hyperphysikalische Kraftfeld, das den Hebamm wie jeden Guyar umgab, sehr genau interpretieren. Blankes Entsetzen kam darin zum Ausdruck.
»Was ist?«, rief sie beklommen. »Was ist mit meinem Kind?«
»Es ... lebt«, antwortete der Hebamm stockend. »Aber es ... es leuchtet nicht.«
*
Du wirst die Bestürzung nachvollziehen können, die Panige bei dieser Eröffnung empfand, wenn du Folgendes über uns weißt.
Man nennt uns nicht umsonst Guyar, die Leuchter, oder Guyaam, das Lichtvolk. Unsere Körper sind semitransparent und senden Licht in allen Farben des Spektrums aus. Und zwar umso mehr und heller, je höher unsere körperliche oder mentale Aktivität ist.
Zum einen produzieren nämlich viele unserer zellulären Prozesse eine spezielle Form von Biolumineszenz, die auf der permanenten Fluktuation von Para-Staub zwischen dem verstofflichten und dem freien hyperenergetischen Zustand beruht.
Diese mikroskopisch kleinen Staubpartikel heißen in unserer Sprache Tymcal.
Zum anderen besitzen wir zwar ein Gehirn, das – wie bei vielen anderen Humanoiden auch – im Kopf angesiedelt ist; doch werden zahlreiche bewusste und unbewusste Denkvorgänge in das so genannte Tymcal-Geflecht ausgelagert, das sich in feinsten Verästelungen durch den ganzen Körper zieht und am hellsten leuchtet.
Auch Nervenreize werden vorzugsweise durch Lichtsignale weitergeleitet. Natürlich lässt sich ein einzelner solcher Mikroimpuls kaum erkennen. Die kumulative Aktivität indessen wird deutlich sichtbar.
Nun begreifst du, nicht wahr?
Ein Guyar, der nicht leuchtet, ist kein Guyar. Er gehört nicht zum Guyaam.
Paniges Neugeborener bewegte sich wohl. Er zappelte unkontrolliert mit den blutigen Gliedmaßen. Er atmete, brüllte mit seinem dünnen, hohen Stimmchen, sobald Enguarti und der Hebamm die Nabelschnur durchtrennt hatten.
Aber er leuchtete nicht. Dunkel wie die finstere, mondlose Nacht erschien sein kleiner Leib.
Als ihn der Hebamm in Paniges Arme legte, brach sie in lautes Schluchzen aus, und Enguarti, ihr treuer Eheling, weinte mit ihr.
Ihr viertes Kind schien ein Kind ohne Geist und ohne Seele zu sein, wahrscheinlich gar nicht lebensfähig oder höchstens für wenige Gefrin.
»Das Elend! Das Elend!«
Waren es die heimlichen Untersuchungen durch die Genetiker von Kaaf, wird sich Panige in jenen schrecklichen Augenblicken gefragt haben, die dieses Unheil angerichtet haben? Oder ist der Grund möglicherweise in Enguartis relativ hohem Alter zu suchen? Ach Heilige Mutter VAIA, womit habe ich das verdient? War ich dir nicht immer eine gute, pflichtbewusste Ingenieurin, wie so viele Kulalins vor mir?
Ihr Eheling beugte sich herab und umschlang mit einer unbeholfenen, linkisch wirkenden Bewegung Mutter und Sohn.
Er rang nach Worten, brachte nichts heraus. Das war einerlei. Panige verstand auch so, was er ihr mitteilen wollte: Er würde immer zu ihr halten und zu diesem armen, missgestalteten Kind.
Sie drückte ihren Eheling an sich, strich ihm zärtlich über die vorgewölbte Stirn, den Nacken, die bebenden Schultern.
Da gab das Neugeborene zwischen ihnen ein lautes Stöhnen von sich.
Enguarti fuhr auf. »Das Kind!«, rief er erschrocken. Er riss das zierliche, dunkle Wesen hoch.
Auch Panige griff nach ihrem jüngsten Sohn. Zusammen hielten sie ihn, während sich der kleine Körper verkrampfte, wie in einem letzten Aufbäumen des Todeskampfes.
Dann geschah das Wunder.
Vom Herzen her zuckte ein Blitz durch den plötzlich transparenten Leib, verästelte sich dutzendfach, hundertfach, bis in die Spitzen der winzigen Finger und Zehen.
Und der junge Guyar begann zu strahlen. So hell leuchtete er, so intensiv und farbenprächtig, wie man es selten zuvor bei einem Neugeborenen des Lichtvolks gesehen hatte.
Welch eine Erleichterung! Welch eine Freude!
Nicht nur die Eltern heulten vor Glück. Auch der alte Hebamm, der gewiss schon viel erlebt hatte, und seine Assistenten konnten sich lange Zeit nicht fassen. Hemmungslos ließen die Guyar in der Medostation ihren Gefühlen freien Lauf. Über sämtliche sichtbaren Körperteile im Raum spielten Feuerwerke von lichten, heiteren Farben.
Am hellsten aber, so berichten einmütig alle, die damals dabei gewesen sind, leuchtete das Kind.
Panige und Enguarti Kulalin gaben ihm – mir – den Namen »Lichtlos Geborener«, was in unserer Sprache heißt: Anguela.
2.
Unter den Goldenen Kuppeln
840. Burd 5513 Tha
Ich muss nicht lange nachdenken, wenn ich dir das einschneidendste Erlebnis meiner frühen Kindheit nennen soll.
Das war die Burdrin, an der ich hinaus in die Kälte ging.
Doch gestatte mir bitte, dass ich etwas weiter aushole. Wir haben hier ja alle Zeit der Welt und zugleich keine mehr ... Das Verhängnis lässt sich nicht aufhalten, die größte aller vorstellbaren Katastrophen nicht mehr ungeschehen machen. Nur ein wenig abschwächen, vielleicht, in ferner Zukunft.
Und dafür könnte sich manche Information aus der Vergangenheit als nützlich erweisen, die auf den ersten Blick nebensächlich erscheint. Darum verspreche ich dir, gut Acht zu geben, damit ich nichts zu erzählen vergesse.
Die ersten Eindrücke, an die ich mich bewusst erinnere, waren ... Schmerzen. Mir fällt kein besseres Wort dafür ein, obwohl es sich eher um ein psychisches denn physisches Phänomen gehandelt hat.
Jedenfalls meine ich nicht aufgeschlagene Knie oder ähnliche Folgen kleiner Unfälle, wie sie beim Herumtollen mit Gleichaltrigen im Spielhof nun einmal nicht ausbleiben. Auch nicht die Begleiterscheinungen der üblichen Kinderkrankheiten wie beispielsweise Zahnpein oder Pusteljucke.
Nein, was mir von klein auf zu schaffen machte, war eine stark ausgeprägte, permanente Überempfindlichkeit, vor allem gegen Lärm und Gerüche.
Das wirkte sich sehr unangenehm aus.
Von Anfang an wurde mir der Aufenthalt im Spielhof durch das schier pausenlose Geplärr und Gejohle der anderen Jungen vergällt.
Weil ich mich, um der Qual der viel zu schrillen Geräusche zu entgehen, immer wieder in ruhigere Ecken zurückzog, galt ich schnell als Eigenbrötler und Spielverderber.
Zudem war ich schwächlich, geradezu untergewichtig; dies als Folge der Schwierigkeiten, die mir die meisten der Gerichte und Getränke aus der Gemeinschaftsküche unserer Kuppel bereiteten. Fast alle erschienen mir zu scharf, zu aufdringlich gewürzt. Oder sie stanken überhaupt so grässlich, dass ich beim geringsten Hauch mit dem Brechreiz kämpfte.
»Armer kleiner Anguela«, tröstete mich mein Vater mitleidsvoll, als ich vor diesen gnadenlos auf mich einhämmernden Sinneseindrücken